Al Bagdadi auf einem Archivbild
Reuters/Reuters TV
Trump schildert

Wie IS-Anführer Bagdadi starb

Der Anführer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), Abu Bakr a-Bagdadi, ist tot. Er starb laut Angaben aus dem Weißen Haus bei einer Militäroperation Samstagnacht in Syrien. US-Präsident Donald Trump schilderte bei einer Pressekonferenz am Sonntag in Washington Details, auch zum Tod des zuletzt weltweit meistgesuchten Terroristen. US-Spezialkräfte hatten ihn offenbar seit Wochen im Visier gehabt – auf Basis von Daten aus dem Irak.

Internationale Medien hatten bereits vor der Pressekonferenz vom mutmaßlichen Tod des gebürtigen Irakers und selbsternannten „Kalifen“ berichtet. Er sei das Ziel eines Angriffs der US-Armee in der nordwestsyrischen Provinz Idlib gewesen, hatte es geheißen. Schließlich bestätigte Trump die Berichte und versicherte, dass es nunmehr keine Zweifel am Tod des IS-Anführers gebe.

Bagdadi sei bei einem Angriff auf eine – nicht näher definierte – „Anlage“, mutmaßlich auf einen IS-Stützpunkt in einem Tunnel ohne Ausgang, von Hunden gestellt worden. Anschließend habe er einen Sprengstoffgürtel gezündet und sich selbst getötet. „Letzte Nacht“, sagte Trump, hätten US-Kräfte die Nummer eins des weltweiten Terrors seiner Strafe zugeführt. „Abu Bakr al-Bagdadi ist tot.“ Leibwächter und „zahlreiche“ IS-Kämpfer hätten sich ergeben oder seien bei dem Angriff erschossen worden.

Vorsicht nach mehreren falschen Todesmeldungen

Mit Bagdadi seien auch noch drei seiner Kinder, die er bei sich gehabt habe, und zwei Frauen gestorben. Die Frauen hätten wie er Sprengstoff am Körper getragen, dieser sei aber nicht gezündet worden. Mehrere Kinder seien in Sicherheit gebracht worden. Bagdadis Körper sei durch die Explosion verstümmelt worden, forensische Tests hätten allerdings keine Zweifel an der Identität des Toten offengelassen.

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APA/AFP/Omar Haj Kadour
Der Schauplatz des Angriffs auf den IS-Posten in Nordsyrien

Nachdem der Iraker bereits einige Male totgesagt worden war, wollte diesmal auch das US-Militär vor dem Gang an die Öffentlichkeit diese Tests abwarten. Bereits 2014, dann 2015 sowie 2017 und zuletzt im Vorjahr hatte es mehrfach Berichte gegeben, der Terrorpate sei schwer verwundet oder getötet worden.

„Gestorben wie ein Feigling“

Vor der Bestätigung durch Trump hatten US-Medien berichtet, der Einsatz gegen den selbsternannten „Kalifen“ sei – streng geheim – auf Anweisung Trumps vorbereitet worden. Auch das bestätigte der Präsident. Er habe nicht den gesamten Kongress in die Pläne eingeweiht gehabt, sagte er – und begründete das mit möglichen undichten Stellen, „Leaks“, in Washington. Bagdadi sei seit Wochen unter Beobachtung von US-Kräften gestanden, zwei bis drei geplante Militäroperationen seien wieder verworfen worden, bis man nun zugeschlagen habe.

Reaktionen aus Washington und Kairo

Die ORF-Korrespondenten Christophe Kohl in Washington und Karim El-Gawhary in Kairo analysieren die Folgen des Todes von IS-Anführer Abu Bakr al-Bagdadi.

Nun sei der IS-Anführer gestorben „wie ein Hund“, „wie ein Feigling“, sagte Trump. Er gab an, dass er den Einsatz zusammen mit Verteidigungsminister Mark Esper sowie führenden US-Generälen verfolgt habe. Er habe seit drei Tagen von der bevorstehenden Operation gewusst. Trump unterstrich, die USA würden die Jagd nach IS-Anführern fortsetzen. Man habe bereits die Nachfolger Bagdadis im Visier. Bei dem nächtlichen Einsatz von US-Spezialkräften habe es sich um eine gefährliche Mission gehandelt, unterstrich Trump. Aufseiten des US-Militärs habe es allerdings keine Verletzten gegeben.

Trump kündigte etwas „sehr Wichtiges“ an

Wie US-Medien unter Berufung auf die Streitkräfte berichteten, soll es ein kurzes Gefecht gegeben haben, als US-Spezialkräfte ein Gelände in Idlib angriffen. Trump hatte am Wochenende mit seiner Nachricht erst noch zugewartet und vorerst im Kurzbotschaftendienst Twitter lediglich wissen lassen: „Gerade ist etwas sehr Wichtiges passiert!“ Einzelheiten verriet er nicht.

Russland hegt Zweifel an Trumps Version

Nach der Mitteilung Trumps forderte das russische Verteidigungsministerium zuerst Beweise für die Operation. Es gebe von den mutmaßlich beteiligten Seiten in Details widersprüchliche Angaben, die Zweifel aufkommen ließen, sagte Generalmajor Igor Konaschenkow in Moskau. Es gebe keine überzeugenden Informationen, dass die USA in der von ihnen nicht kontrollierten Zone in Syrien solch eine Operation durchgeführt hätten, hieß es in einer Mitteilung des Ministeriums. Trump hatte zuvor mitgeteilt, dass der Einsatz mit Russland abgesprochen gewesen sei.

Am Montag bestätigte Russland dann aber doch den Einsatz von amerikanischen Flugzeugen und Drohnen in Syrien. In der Zone Idlib sei ein Einsatz registriert worden, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag der Agentur Interfax. „Wenn sich diese Information über die Liquidierung Bagdadis bestätigt, dann lässt sich insgesamt von einem großen Beitrag des US-Präsidenten zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus sprechen“, sagte Peskow. Er reagierte damit auf die Frage, warum Russland versuche, den Erfolg der Amerikaner herunterzuspielen.

Das Verteidigungsministerium und mehrere Außenpolitiker hatten am Sonntag gesagt, der Tod des IS-Chefs habe keinen Einfluss auf die Lage in Syrien. Die Gefahr gehe vielmehr von vielen Terroristen aus.

Entscheidende Hinweise aus dem Irak

Seitens der irakischen Sicherheitskräfte hatte es zuvor geheißen, dass Bagdadi, nach offiziellen Angaben 48 Jahre alt und seit 2010 Anführer des IS, tot sei. Man habe eine entsprechende Bestätigung aus Syrien erhalten, hieß es. „Unsere Quellen in Syrien haben dem Team des irakischen Geheimdienstes, das nach Bagdadi suchte, bestätigt, dass er zusammen mit seinen Leibwächtern in Idlib getötet wurde.“ Bagdadis Versteck sei entdeckt worden, als er versucht habe, seine Familie aus Idlib heraus zur Grenze zur Türkei zu bringen.

Situation Room mit Donald Trump
AP/The White House/Shealah Craighead
Trump mit Spitzen aus Pentagon und Militär

Der irakische Geheimdienst gab zudem an, entscheidende Hinweise geliefert zu haben. Dieser habe das Versteck des IS-Chefs in der syrischen Provinz Idlib ausfindig gemacht, so die irakische Armee. Man habe den Aufenthaltsort nach einem Telefonat orten können, das eine der Frauen des IS-Anführers führte, während sie sich gemeinsam mit ihm in dem Versteck aufhielt. Ein anderer irakischer Regierungsvertreter berichtete, der Geheimdienst habe Informationen von einer weiteren Frau Bagdadis sowie von der Frau eines seiner Kuriere ausgewertet. Ein Jahr lang habe ein Team aus Spezialisten vorher nach Hinweisen zum genauen Aufenthaltsort Bagdadis gesucht. Der US-Einsatz sei schließlich Ergebnis der Zusammenarbeit mit dem irakischen Geheimdienst gewesen, hieß es.

Nach Angaben der kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) geht der Erfolg auch auf ihre „gemeinsame Geheimdienst-Arbeit“ mit den USA zurück. SDF-Kommandant Mazlum Abdi wies zugleich darauf hin, dass das Dorf Barischa, in dessen Nähe sich Bagdadi versteckt hatte, nahe der Grenze zur Türkei liegt.

Türkei bestätigt „intensiven“ Kontakt zu US-Behörden

Das türkische Verteidigungsministerium bestätigte, dass es in der Nacht zum Sonntag in Idlib einen US-Einsatz gegeben habe. Details zum Einsatz oder den Namen Bagdadis nannte das Ministerium erst am Montag. Die Türkei bestätigte „intensive“ Kontakte ihrer Geheim- und Militärdienste mit den entsprechenden US-Behörden während des Einsatzes.

Der Sprecher der türkischen Präsidentschaft, Ibrahim Kalin, sagte am Montag im türkischen Fernsehen, es habe „in der Nacht der Operation einen intensiven Austausch zwischen den Militärbeamten“ gegeben. Ankara werde den „effektiven Kampf“ gegen die „fehlgeleitete Ideologie“ des IS fortsetzen, sagte Kalin. Die Behauptung, die Kurden hätten den Einsatz unterstützt, nannte er hingegen „inakzeptabel“. Diese diene als „Schritt der Legitimierung der YPG“.

Erdogan sieht „Wendepunkt“

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan begrüßte den Tod Bagdadis zuvor als „Wendepunkt“. „Der Tod des Daesch-Anführers markiert einen Wendepunkt in unserem gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus“, schrieb Erdogan am Sonntag auf Twitter. Mit Daesch benutzte er eine arabische Bezeichnung für den IS.

Frankreichs Innenminister Christophe Castaner warnte vor Racheakten. Castaner forderte am Sonntag in einem Schreiben an die französische Polizei, in das die Nachrichtenagentur Reuters einsehen konnte, erhöhte Wachsamkeit. Das gelte insbesondere für öffentliche Veranstaltungen in den kommenden Tagen.

Arabische Staaten begrüßen Tötung

Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien begrüßten die Tötung Bagdadis. Alle drei Länder sind Verbündete der USA im Kampf gegen Terrorismus. Sie bekräftigten, ihre Bemühungen voranzutreiben, um extremistische Gruppen auszulöschen. Saudi-Arabien würdigte am Montag die „großen Anstrengungen“ der US-Regierung, Mitglieder der „gefährlichen Terrororganisation“ aufzuspüren.

Der IS habe „das wahre Bild des Islam und der Muslime weltweit verzerrt“. Jordaniens Außenminister Aiman al-Safadi bezeichnete den Tod Bagdadis auf Twitter als wichtigen Schritt im Kampf gegen Terrorismus und gegen die „Ideologie des Hasses“. Ein Sprecher des ägyptischen Außenministeriums forderte „vereintes Handeln“ im Kampf gegen Extremisten.

„Der unsichtbare Scheich“

Über den Aufenthaltsort Bagdadis war bereits seit Jahren gerätselt worden. In der Öffentlichkeit trat der IS-Anführer nur einmal auf, als er im Juli 2014 in einer Moschee im nordirakischen Mossul sein „Kalifat“ in Syrien und im Irak ausrief. Weil es von Bagdadi so wenige Aufnahmen und Lebenszeichen gibt, wurde er immer wieder der „unsichtbare Scheich“ genannt.

Führer des Islamischen Staat, Abu Bakr al-Baghdadi im Jahr 2014
APA/AFP
2014 trat Bagdadi in Mossul das einzige Mal öffentlich auf und rief dabei das „Kalifat“ des IS aus

Zuletzt hatte der IS im April ein Video veröffentlicht, das Bagdadi zeigen sollte. Darin forderte er seine Anhänger auf, den Kampf trotz des Verlusts ihres „Kalifats“ fortzusetzen. Im September rief der IS-Anführer seine Anhänger in einer Audiobotschaft zur Befreiung gefangener Kämpfer und ihrer Familien auf. Idlib ist die letzte Hochburg der Aufständischen in Syrien. Der größte Teil der Region steht unter der Kontrolle des syrischen Al-Kaida-Ablegers Hajat Tahrir al-Scham (HTS).

Seit 2010 an der Spitze des IS

Bagdadi wurde 1971 als Sohn einer Bauernfamilie im zentralirakischen Samarra unter dem Namen Ibrahim Awad al-Badri geboren. Er begeisterte sich für Fußball, studierte in Bagdad Theologie und ging nach der US-Invasion 2003 als Anführer einer Dschihadistengruppe in den Untergrund. Im Februar 2004 wurde er von der US-Armee im Gefängnis von Bucca inhaftiert. Das Gefängnis im Südirak galt als „Universität des Dschihad“, da dort radikale Islamisten mit Militär- und Geheimdienstleuten des gestürzten Baath-Regimes von Saddam Hussein zusammenkamen.

Als er im Dezember 2004 aus Mangel an Beweisen freikam, schloss er sich dem Al-Kaida-Führer Abu Mussab al-Sarkawi an. Als zuerst Sarkawi und dann sein Nachfolger getötet wurden, übernahm der einstige Theologiestudent 2010 unter dem Namen Abu Bakr al-Bagdadi die Führung der Extremisten im Irak. Indem er frühere Offiziere Husseins anwarb, machte er aus seiner Guerillagruppe eine schlagkräftige Truppe und nannte sie 2014 Islamischer Staat (IS). Die Dschihadistenmiliz eroberte in Syrien und dem Irak Gebiete und reklamierte weltweit Terroranschläge für sich.

Nach und nach verlor der IS jedoch sein Herrschaftsgebiet im Irak und in Syrien wieder. Offiziell galt der IS mit dem Fall seines letztes Rückzugsorts im ostsyrischen Baghus als besiegt. Noch vor wenigen Monaten ging die von den USA geführte Anti-IS-Koalition aber in einem Bericht davon aus, dass sich noch zwischen 14.000 und 18.000 IS-Angehörige im früheren Herrschaftsgebiet der Islamisten zwischen Syrien und dem Irak aufhalten sollen.