Libanesischer Ministerpräsident Saad Hariri
APA/AFP/Stringer
Krise im Libanon

Regierungschef Hariri gibt auf

Nach zwei Wochen lang anhaltenden Protesten gegen die politische Führung im Libanon gibt sich diese geschlagen: Ministerpräsident Saad Hariri hat am Dienstag seinen Rücktritt angekündigt. Er sehe im Ringen um eine Lösung aus der wirtschaftlichen Krise keinen Ausweg mehr.

Er werde mit seiner gesamten Regierung bei Präsident Michel Aoun den Rücktritt einreichen, sagte Hariri in einer Ansprache. Von den Demonstrantinnen und Demonstranten, die den Auftritt live im Fernsehen verfolgten, wurde die Ankündigung mit Jubel aufgenommen.

Hariri und sein Kabinett hatten zuvor unter hohem Druck nach Auswegen aus der Krise gesucht, um den Protesten ein Ende zu bereiten. Als Teil der angekündigten Reformvorhaben sollten etwa Gehälter von Ministern und Parlamentsabgeordneten um die Hälfte gekürzt werden. Außerdem sollten Regierungseinrichtungen geschlossen oder zusammengelegt werden und kommendes Jahr keine neuen Steuern erhoben werden.

Die Proteste hielten nach diesen Versprechen aber an. Die Libanesen erteilten den Reformversprechen eine Absage und forderten ein neues politisches System samt Rücktritt der gesamten Regierung. Am Montag hatte es aus Regierungskreisen noch geheißen, die Regierung wolle an der Macht bleiben und so verhindern, dass das Land ins Chaos abdriftet.

1,5 Millionen Flüchtlinge

Das kleine Mittelmeer-Land mit rund sechs Millionen Einwohnern kämpft mit einer Wirtschafts- und Finanzkrise. Verschärft wird die angespannte Situation durch die Anwesenheit von derzeit 1,5 Millionen syrischen Flüchtlingen. Die Staatsverschuldung liegt bei 86 Milliarden US-Dollar (gut 77 Milliarden Euro), was einer Quote von etwa 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht. Es ist eine der höchsten Schuldenquoten weltweit. Kritiker werfen der Regierung vor, Reformen über Jahre verschleppt zu haben.

Die Proteste hatten sich am 17. Oktober an der Ankündigung der Regierung entzündet, WhatsApp-Anrufe zu besteuern. Inzwischen richten sie sich jedoch gegen die Eliten des Landes, denen es in den 30 Jahren seit Ende des Bürgerkriegs nicht gelungen ist, den Alltag der Menschen zu verbessern.

Religiös und ideologisch zersplittert

Viele Demonstrantinnen und Demonstranten geben der religiösen und ideologischen Zersplitterung der herrschenden Klasse die Schuld an der Misere des libanesischen Alltags. Sie halten deren Vertreter für korrupt und inkompetent und werfen ihnen vor, vorwiegend von Eigeninteressen getrieben zu sein. Im politischen System des Libanon sind die Spitzenposten unter den wichtigsten Religionsgruppen aufgeteilt. So ist der Präsident ein Christ, der Regierungschef ein Sunnit und der Parlamentspräsident ein Schiit.

Proteste in Beirut
AP/Hussein Malla
Anhänger der Hisbollah zerstörten am Dienstag Zelte der Protestierenden im Stadtzentrum von Beirut

Schlägertrupps im Stadtzentrum

Zentrum der Proteste war der am Dienstag gewaltsam geräumte Platz inmitten der Hauptstadt. Schwarz gekleidete Männer gingen mit Stöcken gegen Demonstranten vor. Diese riefen die Polizei um Hilfe, die nach Augenzeugenberichten jedoch nicht einschritt. Die Schlägertrupps zogen durch die Straßen und riefen in Sprechchören „Schia, Schia“ und bekannten sich damit zur Hisbollah und zur einflussreichen schiitischen Miliz Amal.

Erst vor einer Woche hatte der einflussreiche Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah gefordert, dass die Straßenblockaden der Regierungskritiker aufgehoben werden müssten, und angedeutet, die Demonstranten würden von ausländischen Feinden bezahlt.

Mit seiner Rücktrittsankündigung forderte der Sunnit Hariri den Schiiten Nasrallah heraus, mit dem er in einer Regierungskoalition verbündet ist. Nasrallah hatte zweimal erklärt, er sei gegen einen Rücktritt des Regierungschefs. Nach der libanesischen Verfassung bleibt das Kabinett von Hariri zunächst geschäftsführend im Amt, bis eine neue Regierung gebildet werden kann.