Das Votum fiel deutlich aus: Mit 405 zu elf Stimmen wurde die Resolution am Dienstag (Ortszeit) von den Abgeordneten angenommen. Es ist das erste Mal, dass der US-Kongress die Massaker der Jahre 1915 bis 1917 als Genozid bezeichnet. Die demokratische Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, begrüßte die Verabschiedung. Es gehe darum, an eine der schlimmsten Gräueltaten des 20. Jahrhunderts zu erinnern: „Die systematische Ermordung von 1,5 Millionen armenischen Männern, Frauen und Kindern durch das Osmanische Reich.“
Während die türkische Regierung verärgert auf die angenommene Resolution reagierte, sprachen Parlamentarier in Armenien von einem „sehr wichtigen Schritt“. Offiziell hat der Staat im Kaukasus keine Lobbyisten in Washington, berichtete das Magazin „AI Monitor“ unter Berufung auf das US-Lobbyregister. Dafür konnte sich Eriwan auf Kardashian West verlassen. Die 39-Jährige setzt sich seit Jahren für das Anliegen der Armenier ein, hat ihre Aktivitäten in den vergangenen Monaten aber nochmals intensiviert, wie „AI Monitor“ berichtete.
Guter Draht zu Trumps Schwiegersohn
Bekannt ist Kardashian West als Geschäftsfrau, Model und Reality-TV-Star. Im Frühjahr kündigte sie an, Anwältin zu werden. Derzeit befindet sie sich in Ausbildung, 2022 dann will sie die Anwaltsprüfung absolvieren. Den Anstoß dazu habe ihr das Engagement für Reformen im US-Strafvollzug gegeben, sagte Kardashian West im April der Modezeitschrift „Vogue“.
Bereits 2018 hatte sich Kardashian West bei einem Besuch im Weißen Haus für die Freilassung einer 63-Jährigen stark gemacht, die seit mehr als zwei Jahrzehnten wegen eines gewaltlosen Drogendelikts im Gefängnis einsaß. Das Weiße Haus veröffentlichte nach dem Treffen ein Foto, das Kardashian West an der Seite eines breit grinsenden US-Präsidenten Donald Trump im Oval Office zeigte. Heuer setzte sich Kardashian West für die Freilassung des in Schweden inhaftierten Rappers ASAP Rocky ein.
Während ihres Engagements für die Strafrechtsreform dürfte der Star einen guten Draht zu Trumps Schwiegersohn Jared Kushner aufgebaut haben. In einem Interview mit dem „Wall Street Journal“ erzählte sie von einem Textnachrichtenwechsel mit Kushner. Thema war der Völkermord an den Armeniern und die politische Reaktion der USA. Kushner war Wahlkampfberater Trumps und ist aktuell der Sonderbeauftragte des Weißen Hauses für den Nahen Osten. Auch in persönlichen Gesprächen mit republikanischen und demokratischen Abgeordneten habe sie ihr Anliegen beworben, so der „AI Monitor“. Die demokratische Abgeordnete Jackie Speier bezeichnete Kardashian West gar als „Geheimwaffe“ der Armenier.
Auf den Spuren des Vaters
Mit ihrem Engagement für die Armenier wandelt die 39-Jährige auf den Spuren ihres Vaters. Der 2003 verstorbene Staranwalt Robert Kardashian wurde als Kind armenischer Einwanderer geboren. Zeit seines Lebens setzte sich der Advokat, der unter anderem OJ Simpson vertrat, dafür ein, dass das Massaker an den Armeniern als Völkermord eingestuft wird.
Im Oktober reiste Kardashian West nach Armenien. Offizieller Grund war eine Verlegung der Produktion ihrer Modelinie Skims. Die Kleidungsstücke werden derzeit in der Türkei hergestellt – was ob ihres Engagements für Armenien scharfe Kritik auslöste. Zudem ließ sie ihre vier Kinder in Armenien christlich taufen.
In Eriwan wurde Kardashian West von Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan empfangen. Die beiden hätten „den Prozess der internationalen Anerkennung und Verurteilung des Genozids an den Armeniern“ besprochen, teilte das Büro des Regierungschefs nach dem Treffen mit.
Türkei kritisiert „bedeutungslosen politischen Schritt“
Die Türkei, die den Begriff Völkermord zurückweist, reagierte unterdessen erbost auf die Verabschiedung der Resolution. Das türkische Außenministerium sprach von einem „bedeutungslosen politischen Schritt“, der sich an die „armenische Lobby und Anti-Türkei-Gruppen“ richte. Der Beschluss des Repräsentantenhauses gefährde die Beziehungen zwischen der Türkei und den USA in Zeiten großer Gefahren für die internationale und regionale Sicherheit.
„Dieser Schritt hat absolut keinen Wert, und wir erkennen ihn ohnehin nicht an“, sagte auch der türkische Präsident Recep Tyyip Erdogan. „Dennoch bedauern wir, dass diese Verleumdung gegen unser Land in einem Parlament eines Landes angenommen wurde. Was ist das für eine Haltung?“ Weiter betonte Erdogan, dass im islamischen Glauben Genozid strikt verboten sei. „Diejenigen, die eine Vertreibung als Genozid darstellen, suchen einen Schuldigen“, sagte er. Er betrachte die Resolution als „größte Beleidigung unseres Volkes“. Das sei ein Schritt, der „allein aus innenpolitischen Erwägungen getroffen“ wurde, sagte er.
Ankara bestellte am Mittwoch den US-Botschafter in der Türkei ein. Der US-Diplomat David Satterfield sei wegen einer „Resolution, die jeder historischen oder rechtlichen Grundlage entbehrt“, ins türkische Außenministerium zitiert worden, teilten Ministeriumsvertreter mit. Ein weiterer Grund für die Maßnahme waren zudem auch die nach der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien verhängten US-Sanktionen gegen Ankara. Die Armenien-Resolution der USA dürfte das nach dem türkischen Einmarsch in Nordsyrien belastete Verhältnis zwischen Ankara und Washington weiter verschlechtern.
Auch in Österreich als Völkermord eingestuft
Als erstes großes europäisches Land hatte Frankreich 2001 die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich offiziell als Völkermord eingestuft. Österreich tat das im Jahr 2015. Die Türkei zog daraufhin ihren Botschafter kurzzeitig aus Wien ab. Deutschland folgte dann 2016, was eine schwere diplomatische Krise mit der Türkei auslöste.