Aufnahme von Georgetown, Guyana, aus der Vogelperspektive
AP/Albert Stumm
Plus 86 Prozent

Wachstumsprognose lenkt Blicke auf Guyana

„Guyana wird das reichste Land der Hemisphäre und möglicherweise das reichste Land der Welt.“ Mit dieser gewagt anmutenden Prognose hat der US-Botschafter des derzeit noch zweitärmsten Landes von Südamerika, Perry Holloway, im Vorjahr eine goldene Zukunft prophezeit. Hintergrund sind vor der Küste entdeckte Ölfelder und deren nun anlaufende Ausbeutung, die zuletzt auch zu einer beachtlichen Wachstumsprognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) führten.

Nach beschaulichen 4,4 Prozent Wachstum in diesem Jahr, werde Guyana 2020 die traditionellen Musterschüler in Sachen Wachstum wie China und Indien mit einem prognostizierten Plus von 86 Prozent weit in den Schatten stellen, wie die Wirtschaftsplattform Bloomberg mit Verweis auf den IWF berichtete. „Wir setzen von sehr niedrigem Niveau zu einem Stratosphärensprung an“, zitiert Bloomberg dazu Guyanas Finanzminister Winston Jordan.

Eine Schlüsselrolle beim prognostizierten Wirtschaftswachstum spielt der US-Ölkonzern ExxonMobil, das laut Bloomberg „im nächsten Monat“ die ersten Ölpumpen anwerfen will. Bis 2025 soll die tägliche Förderung dann auf 750.000 Barrel und damit knapp 120 Millionen Liter Rohöl ansteigen. Parallel zur Ölförderung erwartet der IWF dann auch einen Anstieg des Bruttoinlandproduktes (BIP). Bis 2024 soll sich Guyanas Wirtschaftsleistung von derzeit 3,6 auf knapp 13,5 Milliarden Euro fast vervierfachen. Der Ölsektor könnte laut IWF zudem in nur fünf Jahren 40 Prozent der Wirtschaft Guyanas ausmachen.

Zentralbank in Georgetown, Guyana
AP/Bert Wilkinson
Guyanas Zentralbank in der Hauptstadt Georgetown

Auch andere Ölkonzerne vor Guyana aktiv

ExxonMobil sucht seit 2008 und damit ein Jahr nach der Verstaatlichung des Ölsektors im benachbarten Venezuela vor Guyana nach Öl. Medienberichten zufolge hat der US-Konzern mittlerweile 13 Ölfelder mit einem Volumen von insgesamt 5,5 Milliarden Barrel Öl ausgemacht. Die Exploration konzentriert sich dabei auf ein als „Stabroek Block“ bezeichnetes rund 26.800 Quadratkilometer großes Gebiet, in dem das bereits 2015 entdeckte Ölfeld „Liza“ nun auch als erstes angezapft wird.

„Mit an Bord“ ist laut Bloomberg der chinesische Ölkonzern China National Offshore Oil Corporation (CNOOC). Abseits davon seien auch andere Unternehmen wie der französische Total-Konzern, der in London sitzende multinationale Tullow-Konzern und Spaniens Repsol in den Gewässern Guyanas auf der Suche nach Öl.

Weitere Vorkommen „realistisch“

Bereits jetzt ist von den weltweit bedeutendsten Funden seit der Jahrtausendwende die Rede. Geht es nach der US-Behörde United States Geological Survey (USGS), dann ist Stabroek die weltweit zweitgrößte, noch unerschlossene Ölquelle. Experten gehen davon aus, das vor Guyana noch weit mehr Öl entdeckt werden könnte.

Zehn Milliarden Barrel seien „realistisch“, heißt es dazu im Industrieportal VDMA mit Verweis auf eine Studie des Beratungsunternehmens Wood Mackenzie. Guyana könne im nächsten Jahrzehnt „mit Leichtigkeit viertgrößter Ölproduzent in Lateinamerika“ werden „und womöglich sogar an Venezuela und Mexiko vorbeiziehen, um den zweiten Platz (hinter Brasilien) zu belegen“.

Karte von Guyana
Grafik: APA/ORF.at

Vorbild Norwegen

Während der IWF davor warnt, dass bereits kleinste Änderungen der bisher prognostizierten Ölproduktion zu großen Schwankungen in der gesamtwirtschaftlichen Leistung führen könnten, hegt die Regierung Guyanas offenbar große Pläne. Finanzminister Jordan kündigte bereits an, mit einem Teil des aus den Lizenzgebühren erwarteten Geldern Autobahnen zu bauen, um die Küstenstädte mit dem dünn besiedelten Landesinneren zu verbinden.

Die Einnahmen aus dem Ölgeschäft sollen zunächst aber in einen Staatsfonds fließen. Ganz nach dem Vorbild Norwegen soll auch in Guyana damit für kommende Generationen vorgesorgt werden. Allein der Blick auf das Nachbarland Venezuela macht jedenfalls mehr als deutlich, dass Ölreichtum auch mit großen Herausforderungen einhergeht.

Während die von hoher Arbeits- und Perspektivlosigkeit geplagte Bevölkerung auf einen Ölboom hofft, der auch ihnen zugute kommt, wird somit auch vor einem Ölfluch gewarnt, welcher Länder mit großen Ressourcenvorkommen heimsucht. „Wir haben die Erfahrungen in anderen Ländern miterlebt“, zitiert dazu das Onlineportal Latina-Press Vincent Adams von der Umweltschutzbehörde Guyana: „Sie hatten all diesen Ölreichtum, und vielen dieser Länder geht es jetzt schlechter als vor dem Öl.“