Lois Renner, „Heliogabalus 4000“, 2017
Lois Renner
Vienna Art Week

Auf Wahrheitssuche im Künstleratelier

Die 15. Ausgabe der Vienna Art Week (VAW) kreist um Wahrheit und Fake. Unter dem Titel „Making Truth“ werden Arbeiten vorgestellt, die um Manipulation, Heilsversprechen und Verschwörungstheorien kreisen. Die Kunst ist nicht in einer einzigen Ausstellung, sondern bei einem Parcours durch 14 Ateliers zu sehen. Daneben setzt die Kunstwoche auf Diskurs: Neben Starsoziologin Eva Illouz holt sie kritische Kollektive wie das Zentrum für politische Schönheit (ZPS) nach Wien.

Als Anna Jermolaewa 2015 zur Moskauer Kunstbiennale eingeladen wurde, organisierte sie eine hintersinnige Aktion. Die in Wien lebende gebürtige Russin heuerte 120 Personen an, die für oder gegen die Biennale demonstrieren sollten. Zeitgenössische Kunst ist in Russland oft ein Politikum und Manifestationen für oder gegen Zensur hat es dort schon viele gegeben.

Jermolaewa stellte aber auch einen direkten Link zur russischen Regierung her: Sie fand ihre Demonstranten über eine Website, auf der im Jahr 2011 Bezahlung für die Teilnahme an Pro-Putin-Kundgebungen angeboten wurde. Jermolaewa ließ ihre „Performer“ allerdings selbst wählen, ob sie mit Transparenten pro oder kontra Kunst auftreten wollten.

Von inszenierten Demos zu „Making Truth“

Die russischen Fake-Demos passen bestens zum Motto „Making Truth“ der Vienna Art Week 2019. Die diesjährige Kunstwoche erforscht die zunehmend verschwimmende Grenze zwischen Fakt und Fiktion. „Schon Friedrich Nietzsche hat die Wahrheit als eine ‚abgegriffene Münze‘ bezeichnet“, erläutert die Kuratorin Angela Stief zum heurigen Schwerpunkt. Die von Stief ausgewählten Arbeiten beschäftigen sich mit Fake News und politischer Manipulation ebenso wie mit den Heilsversprechen der Konsumwelt oder der Esoterik. Das heurige Experiment: Die Kunst wird nicht in einer Ausstellung, sondern in 14 Ateliers präsentiert.

Fotostrecke mit 6 Bildern

Karin Ferrari „DEC iPhone delphin“
Karin Ferrari
Karin Ferraris „DEC iPhone delphin“ – bei der Vienna Art Week steht ein Gespräch mit der Künstlerin auf dem Programm
Atelier Beatrice Dreux
VAW/E. E. Zanzinger
Die Vienna Art Week ist in diesem Jahr auf 14 Ateliers in der Stadt verteilt – hier ein Blick in jenes der Malerin Beatrice Dreux
Atelier Bernhard Cella
VAW/E. E. Zanzinger
Das Atelier von Bernhard Cella erinnert an eine Bibliothek – der in Salzburg geborene Multimediakünstler hat bereits mehrere Ausstellungen mit und über Bücher kuratiert
Sophia Süssmilch, „Kokon“
Sophia Süssmilch und Krobath Wien; Foto: Sophia Süssmilch
Sophia Süssmilchs „Kokon“ ist in der Wiener Galerie Krobath zu sehen
Zentrum für politische Schönheit: „Holocaust Mahmal in Bornhagen“
Zentrum für politische Schönheit
Das „Holocaust-Mahnmal in Bornhagen“, errichtet vom Zentrum für politische Schönheit. Das Kollektiv ist bei der Vienna Art Week zu Gast. Das Potenzial für aufsehenerregende Aktionen ist gegeben.
Dorotheum
VAW/eSeL
Hauptsponsor der Vienna Art Week ist das Dorotheum. Mit seinem Engagement versucht das Auktionshaus sich ein „contemporary“, ein zeitgemäßes, Image zu verpassen.

„Wir nutzen das künstlerische Netz, das sich über die ganze Stadt spannt“, sagt die Kuratorin, die mit den Ressourcen der Stadt und des Festivals operieren wollte. Die „Open Studio Days“ sind das erfolgreichste Format der Kunstwoche, die seit 2005 veranstaltet wird. Die Vienna Art Week wurde gegründet, um der heimischen Kunstszene mehr Sichtbarkeit zu verschaffen. Bei den ersten Ausgaben flog man noch Museumsleute, Sammlerinnen und Sammler sowie Fachleute ein und führte sie unter der Devise herum, dass Wien mehr als den Musikverein und Gustav Klimts „Kuss“ zu bieten hat.

Atelierluft schnuppern

Was als exklusiver Event begann, mobilisiert mittlerweile Tausende Kunstbegeisterte. Im Vorjahr zählte die VAW rund 35.000 Besucherinnen und Besucher. Als Hauptsponsor tritt nach wie vor das Dorotheum auf, das zwei Drittel des Budgets von rund 300.000 Euro berappt. Das einst konservative Auktionshaus hat über die Jahre an seinem zeitgemäßen, „contemporary“ Image gefeilt. Mittlerweile haben auch andere Städte wie Berlin eigene Art Weeks, aber während es dort in erster Linie um Ausstellungen geht, rückt Wien die Stätten künstlerischer Produktion in den Blick.

Veranstaltungshinweis

Vienna Art Week, bis Freitag; „Open Studio Days“ am Samstag und Sonntag.

Bei den diesjährigen „Open Studio Days“ am Samstag und Sonntag öffnen 150 von einer Jury ausgewählte Ateliers ihre Pforten. Wer nicht auf eigene Faust losziehen will, kann sich einer der 30 geführten Touren anschließen. Die Karte auf der neuen VAW-Website erlaubt einen Überblick, wo überall Studios zu finden sind. Traditionellerweise ist die Dichte im zweiten Wiener Gemeindebezirk besonders hoch.

Wo die Einhörner reiten

Aber zurück zur Wahrheit und deren Herstellung: Klaus Pichler ist für sein Fotoprojekt „This will change your life forever“ zwei Jahre lang in die Welt der Esoterik eingetaucht. Der 1977 geborene Künstler hat Kurse, Shops und Esoterikmessen besucht, um die moderne Suche nach Spiritualität besser zu verstehen. In seinen Aufnahmen inszeniert sich Pichler selbst mit Produkten wie dem energiespendenden „Orgon-Radionik-Helm“ oder er lässt Einhörner über Wolken galoppieren. Sein Atelier im Bezirk Margareten ist eine der Stationen des „Making Truth Exhibition Parcours“, in dessen Rahmen Künstlergespräche stattfinden.

Klaus Pichler, „Einhörner“, 2016
Klaus Pichler
Einhörner über den Wolken von Klaus Pichler: Der Künstler gewährt bei der Vienna Art Week Einblicke in sein Atelier

Zum Programm zählt auch ein Talk mit der Künstlerin Karin Ferrari, die sich in ihrer Videoserie „Decoding (The Whole Truth)“ seit 2011 mit Verschwörungstheorien und Subkulturen auf Internetplattformen beschäftigt. Auf ihrem eigenen YouTube-Kanal geht die Südtirolerin vermeintlich übersinnlichen Erscheinungen in der Popkultur nach. Das Highlight des „Open Studio Days“-Wochenendes bildet der Vortrag der Starsoziologin Eva Illouz am Sonntag um 18 Uhr.

Die Professorin an der Hebräischen Universität Jerusalem wurde vor allem für ihre Analysen zum Thema Liebe und Konsum im Spätkapitalismus bekannt. In ihrem neuen Buch „Das Glücksdiktat“, das sie mit dem Psychologen Edgar Cabanas geschrieben hat, erforscht sie Glückseligkeit als Ware.

Architektur der Menschenrechte

Wie zufrieden die Kunstschaffenden hierzulande sind, darüber kann man sich während der VAW ein gutes Bild verschaffen. Schließlich führen ihre Touren, Talks und Events quer durch alle Segmente des Kunstbetriebs, vom Museum bis zum Offspace, von der Galerie bis zur Hochschule. „Künstlerinnen und Künstler haben ein hohes Sensorium für gesellschaftliche Entwicklungen und drücken die Veränderungen auch aus“, sagt Robert Punkenhofer, der die Vienna Art Week 2005 gemeinsam mit Dorotheum-Chef Martin Böhm gegründet hat. Am letzten Tag der Kunstwoche hat Punkenhofer für einen gebündelten Auftritt politischer Kunst gesorgt.

Atelier Anna Jermolaewa
VAW/E. E. Zanzinger
Jermolaewas Atelier: Die Fake-Demos der Russin passen gut zur diesjährigen Vienna Art Week

Im Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste werden unter anderem die Kollektive Forensic Architecture und das Zentrum für politische Schönheit auftreten. Bei Forensic Architecture handelt es sich um eine Gruppe von Künstlern, Designern und Forschern rund um den israelischen Architekten Eyal Weizman. Als freie Rechercheagentur greift Forensic Architecture seit 2011 brisante Fälle zu Flucht, Rassismus und staatlicher Repression auf. Mit Hilfe von Architekturmodellen, 3-D-Visualisierungen und Videos kreiert diese Denkfabrik eine Art Raumforensik, mit der etwa offizielle Desinformation und Menschenrechtsverletzungen aufgezeigt werden.

Mahnmal anstatt Gartenzwerge

Die deutsche Gruppe Zentrum für politische Schönheit trat 2009 erstmals in Erscheinung. Auch sie sehen sich als eine Art Denkfabrik, die mit künstlerischen Interventionen die Misere in der Flüchtlingspolitik und faschistisches Gedankengut anprangern will. Für Schlagzeilen sorgte ZPS mit seiner kontroversen Aktion „Bau das Holocaust-Mahnmal vor Höckes Haus!“ im Jahr 2017.

Damals wurde eine Kleinversion des Berliner Denkmals im Garten neben dem Haus des Politikers Björn Höcke von der rechtspopulistischen AfD errichtet. Höcke hatte sich abfällig über Peter Eisenmans Stelenfeld – das Holocaust-Mahnmal in Berlin – geäußert („Denkmal der Schande“). Was das ZPS kommenden Freitag in Wien machen wird, wurde noch nicht verlautbart. Dass es bei einer Lecture bleibt, ist zu bezweifeln.