Boliviens Interimspräsidentin Jeanine Anez
AP/Natacha Pisarenko
Neue Präsidentin

Weiter Unruhen in Bolivien

Nach dem Rücktritt des Staatschefs Evo Morales hat die Chefin des bolivianischen Senats, Jeanine Anez, das Amt als Interimspräsidentin angetreten. Die Anerkennung durch die Abgeordneten blieb ihr allerdings verwehrt. Die zweite Nacht in Folge gingen nun aufgebrachte Anhänger Morales’ auf die Straße. Die USA begannen bereits, ihr Personal aus dem Land abzuziehen.

„Durch die endgültige Abwesenheit des Präsidenten und Vizepräsidenten übernehme ich als Vorsitzende der Senatorenkammer, wie es in der verfassungsmäßigen Ordnung vorgesehen ist, sofort die Präsidentschaft“, sagte Anez, eine Gegnerin von Morales, unter dem Beifall der oppositionellen Abgeordneten. Als Begründung für ihre Selbstproklamation nannte die Oppositionspolitikerin die „Notwendigkeit, ein Klima des sozialen Friedens zu schaffen“.

„Ich werde alle nötigen Maßnahmen ergreifen, um das Land zu befrieden“, sagte sie. Zugleich kündigte die 52-Jährige an, „so schnell wie möglich Neuwahlen einzuberufen“. Eine Parlamentssitzung, in der Anez offiziell ernannt werden sollte, wurde von den Abgeordneten von Morales’ linker MAS-Partei mit dem Argument, sie sei illegitim, boykottiert. Die Selbstproklamation zur Übergangspräsidentin wurde am Abend jedoch vom Verfassungsgericht gebilligt. Das Gericht verwies in einer Erklärung auf die Notwendigkeit des Funktionierens der Exekutive.

Boliviens Interimspräsidentin Jeanine Anez bei einer Rede
APA/AFP/Aizar Raldes
Anez wurde am Dienstagabend als Interimspräsidentin vereidigt

Aufgebrachte Anhänger Morales’ protestieren

Der zurückgetretene Morales verurteilte unterdessen aus dem mexikanischen Exil die Ereignisse. „Das war der listigste und gefährlichste Staatsstreich der Geschichte. Eine rechte Putschistin ernennt sich selbst zur Präsidentin des Senats und dann zur Interimspräsidentin Boliviens ohne das nötige Quorum, umgeben von Komplizen und Polizisten und Soldaten, die das Volk unterdrücken“, schrieb der Ex-Präsident auf Twitter.

Rauchschwaden und Sicherheitskräfte auf einer Straße in La Paz
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In der Nacht kam es erneut zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten

Auch viele Anhänger Morales’ reagierten aufgebracht. Die Menschen, darunter viele Mitglieder der indigenen Bevölkerung, protestierten in La Paz für die Rückkehr des ehemaligen Präsidenten. Polizei und Militär riegelten das Zentrum des Regierungssitzes ab. Flugzeuge der Luftwaffe flogen über die Stadt hinweg. Auf Videos war auch zu sehen, wie sich Polizei und Anhänger Morales’ Kämpfe in der südöstlich von La Paz gelegenen Stadt Cochabamba lieferten. Der britische „Guardian“ schrieb von erneuten Plünderungen und Brandstiftungen.

USA geben Reisewarnung aus

Die USA rieten angesichts der andauernden Gewalt ihren Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern von Reisen in das Land ab. Zudem werde das Botschaftspersonal in La Paz reduziert, teilte das Außenministerium in der Nacht auf Mittwoch in Washington mit. Sowohl Familienangehörige der Diplomaten als auch nicht unbedingt notwendige Mitarbeiter der Botschaft seien angewiesen worden, angesichts der „politischen Instabilität“ Bolivien zu verlassen.

Unterstützer des Ex-Präsidenten von Bolivien Evo Morales demonstrieren mit „wiphala“-Flaggen
AP/Natacha Pisarenko
Nachdem zuvor Gegner von Morales protestiert haben, gehen nun seine Anhänger auf die Straßen

Der paraguayische Präsident Mario Abdo sagte am Dienstag, sein Land sei ebenfalls bereit gewesen, Morales politisches Asyl zu gewähren, obwohl er mit den Vorwürfen eines Putsches nicht einverstanden sei. „Wenn er zurückgetreten ist, ist das kein Staatsstreich. Dann ist er zurückgetreten“, sagte er.

Nach Angaben der bolivianischen Generalstaatsanwaltschaft wurden nach Morales’ Rücktritt mehr als 30 Wahlbeamte im ganzen Land festgenommen. Der größte Gewerkschaftsbund Boliviens drohte mit einem unbefristeten Streik, falls es Politikern und Vertretern der Bürgergruppen nicht gelinge, die Ordnung im Land wiederherzustellen.