Der überflutete Markusplatz in Venedig
AP/Luca Bruno
Hochwasser in Venedig

Markusplatz komplett gesperrt

Nach dem schweren Hochwasser in Venedig hat sich die Lage erneut verschärft. Der Markusplatz wurde wegen Überflutung und starken Windes gesperrt, sagte Bürgermeister Luigi Brugnaro am Freitag. Man habe sich zur Sperre des kompletten Markusplatzes entschlossen, um „die Sicherheit der Menschen nicht aufs Spiel zu setzen“, so Brugnaro weiter.

Der Markusplatz ist der tiefste Punkt der Lagunenstadt und daher vom Hochwasser am stärksten betroffen. Auch das Museum im Palazzo Ducale, das Opernhaus La Fenice, mehrere Museen und die Universität sind angesichts der Wetterprognosen gesperrt. Schulen sind ebenfalls geschlossen. In Venedig leben rund 50.000 Menschen, mit ihren malerischen Kanälen und historischen Gebäuden lockt die Stadt jährlich aber 36 Millionen Touristen aus aller Welt an.

Am späten Vormittag stieg das Wasser auf einen Stand von 153 Zentimetern über dem normalen Meeresspiegel und ging dann wieder zurück, teilte das Gezeitenbüro der italienischen Stadt mit. Vor allem der Wind peitschte am Freitag das Wasser wieder in die Stadt. Rund 70 Prozent der historischen Stadt seien überschwemmt, berichteten lokale Medien.

Der überflutete Markusplatz in Venedig
APA/AFP/Filippo Monteforte
Der überschwemmte und gesperrte Markusplatz

Stoßgebet an Schutzpatron Markus

Brugnaro rief die Einwohnerinnen und Einwohner zur Vorsicht auf. Sie sollten zu Hause bleiben und sich über den Wasserstand zu erkundigen. „Ein weiterer Tag des Alarms“, schrieb er auf Twitter. Der öffentliche Verkehr wurde eingestellt. Wegen der Überschwemmungen gab es laut Hotelverband Federalberghi Veneto bereits viele Absagen von Urlauberinnen und Urlaubern. Das Ausmaß der Schäden ist noch nicht abzusehen.

„20 Zentimeter mehr Hochwasser haben den Unterschied gemacht und Venedig zerstört. Ich hoffe, dass uns der heilige Markus (Schutzpatron Venedigs, Anm.) schützt. Wir haben schon öfter Hochwasser erlebt, doch diesmal ist es anders“, so Brugnaro im Interview mit dem TV-Sender Canale 5. Brugnaro sprach von Schäden in der Größenordnung von einer Milliarde Euro.

Keine Besserung in Sicht

„Die Menschen haben alles verloren“, so Brugnaro weiter auf Twitter. Das eindringende Salzwasser mache alles noch viel schwieriger. Denn Meerwasser beschädigt Denkmäler, Marmor und Kunstschätze wesentlich mehr. „Es ist eine Herausforderung für das ganze Land. Die Venezianer beweinen sich nicht selbst, sie arbeiten. Wir sind stolz darauf, die jungen Menschen hier zu halten und ihnen eine Zukunft zu geben.“

Besserung ist in der ohnehin angespannten Wettersituation nicht in Sicht: Im ganzen Norden Italiens und auch in anderen Landesteilen werden für die nächsten Tage weitere schwere Niederschläge erwartet. In der Nacht auf Mittwoch war in Venedig ein Rekordwert von 187 Zentimetern registriert worden. Das war der höchste Wert seit mehr als 50 Jahren. Das bedeutete auch, dass mehr als 80 Prozent der historischen Stadt unter Wasser standen.

Überschwemmung in Venedig 1966
AP
Ein Bild des Hochwassers von 1966

Scala-Benefizkonzert für La Fenice

Die italienische Regierung hatte am Donnerstag den Notstand für die Lagunenstadt beschlossen. Das teilte der Ministerrat nach einer Sitzung mit. Damit werden 20 Millionen Euro an Soforthilfen freigegeben. Ministerpräsident Giuseppe Conte sagte, dass Privatleute mit Soforthilfen von 5.000 und Geschäftsleute von 20.000 Euro rechnen könnten. Conte besuchte am Donnerstag Venedig.

Scala-Intendant Alexander Pereira plant am 29. November ein Benefizkonzert im Mailänder Opernhaus. Die Einnahmen sollen zur Unterstützung von La Fenice dienen. Geplant ist an der Scala eine Aufführung von Ravels „Bolero“. „Der Vorschlag zu einer Aufführung für Venedig kam von den Scala-Mitarbeitern. Pereira und ich haben dem Vorhaben gleich zugestimmt“, teilte der Mailänder Bürgermeister Giuseppe Sala, Präsident der Scala-Stiftung, per Twitter mit. „Ich bin über diese Initiative stolz. Wir wollen Venedig konkret unter die Arme greifen“, so Sala.

MOSE als Segen oder Fluch?

Die Stadt setzt auf ein großangelegtes Flutschutzsystem. Seit mehr als 15 Jahren wird an dem bereits 1984 per Machbarkeitsstudie angedachten und 1996 von der damaligen Regierung beschlossenen Milliardenprojekt MOSE (Modulo sperimentale elettromeccanico), einem Sturmflutsperrwerk, gebaut. MOSE besteht aus Barrieren, die sich bei Hochwasser automatisch aufrichten und bei den drei Laguneneingängen das Meerwasser am Eindringen hindern sollen.

Hochwasser hinterlässt Verwüstung

Die Auswirkungen der verheerenden Überschwemmung in Venedig werden zunehmend sichtbar. Das ganze Stadtzentrum ist von dem Hochwasser betroffen. (Videoquelle APTN)

Bürgermeister Brugnaro drängt darauf, das skandalgeplagte Flutschutzvorhaben fertigzustellen. Er ist der Meinung, dass Katastrophen wie das jetzige Hochwasser mit MOSE hätten vermieden werden können. Jedoch verzögert sich der Bau, der bisher rund sechs Milliarden Euro verschlungen haben soll, seit Jahren wegen Korruptionsskandalen, etwa 2014 mit der Festnahme des damaligen Bürgermeisters Giorgio Orsoni.

Überschwemmungen in Venedig
AP/Luigi Costantini
Ein Vaporetto hängt ob des hohen Pegelstandes an einer Brücke fest

Kritik kommt auch von Umweltschützern: Ein Eingriff in das sensible Ökosystem der Lagune schade mehr, als es nutze. Medien nennen das Projekt „die große Unvollendete“. Regierungschef Conte sagte nun, der Bau sei zu „92 bis 93 Prozent“ fertig. Die italienische Verkehrsministerin Paola de Micheli sagte, 400 Millionen Euro seien zum Fertigbau notwendig. Ziel sei, dass es bis 2021 zur Einweihung des Dammsystems kommen könne.

Stadt unter Wasser als Politbühne

Um das MOSE-Projekt wird sich jetzt die am Donnerstag von der Regierung ernannte Sonderkommissarin und Architektin Elisabetta Spitz kümmern. Die 66-jährige Römerin österreichischer Abstammung, Ex-Direktorin der staatlichen Liegenschaftsagentur, soll dafür sorgen, dass das milliardenschwere Vorhaben, das bereits 2017 in Betrieb hätte gehen sollen, endlich fertiggestellt wird.

Markusdom in Venedig
APA/AFP/Marco Bertorello
Der Markusdom in der Nacht auf Mittwoch

Die Grünen und die in Rom regierende Fünf-Sterne-Bewegung hatten MOSE als „verschwenderisches und nutzloses Mammutprojekt“ aus den 1980er Jahren bezeichnet. Es sei bereits veraltet. Zum fast fertig gebauten Dammsystem gebe es jedoch keine Alternativen: Jetzt bleibe nichts anderes übrig, als es fertigzustellen, so Außenminister und Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio.

Der Chef der oppositionellen rechtspopulistischen Lega und Ex-Innenminister Matteo Salvini besuchte wie zuvor Conte am Freitag Venedig und rief die Regierung in Rom auf, so schnell wie möglich MOSE zur Verhinderung von Hochwasser fertigzustellen. „Venedig schreit um Hilfe, MOSE muss endlich fertig gebaut werden“, so Salvini, der vor der Schließung des Markusplatzes mit Gummistiefeln über den überschwemmten Platz gewatet war.

Bürgermeister für UNO-Agentur zur Klimakrise in Venedig

Brugnaro will die UNO um Hilfe bitten. Er schlug die Gründung einer UNO-Agentur zum Thema Klimakrise mit Sitz in Venedig vor. „Venedig muss zum Ort werden, wo Wissenschaftler, Experten und Politiker zum Thema Klimawandel auf globaler Ebene beraten. Ich fordere die UNO auf, in Venedig eine Agentur des Wassers zu gründen, wo man über Meere, Ozeane und Verschmutzung spricht“, so Brugnaro im Interview mit der italienischen Tageszeitung „La Stampa“ (Donnerstag-Ausgabe). „Venedig ist ein Symbol für die ganze Welt. Wir sind die vorderste Grenze im Einsatz gegen Klimawandel. Wir dürfen nicht die Hoffnung verlieren“, sagte der Mitte-rechts-Bürgermeister.

Angesichts der riesigen Schäden in seiner Stadt zeigte sich Brugnaro kämpferisch. „Ich bin enttäuscht und verzweifelt, doch ich habe nicht die Hoffnung verloren. Ich habe die Regierung gebeten, dass man sich mit der Gemeinde Venedig abstimmt, wenn es um strategische Beschlüsse geht“, sagte der Bürgermeister.

„Venedig werden wir verlieren“

Viele Venezianer und Venezianerinnen werfen Politikern vor, die Stadt an Tourismus- und Kreuzfahrtunternehmen verkauft zu haben und sich nicht wirklich um den Schutz zu kümmern. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen führen die zunehmenden Fluten in Venedig auch auf die Erderwärmung zurück, durch die der Meeresspiegel steigt. „Venedig werden wir verlieren, das ist nicht umstritten“, sagte vor einem Jahr Anders Levermann vom deutschen Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Die Frage sei nur, wann. „Es kann Jahrhunderte dauern.“

Venedig hat nicht nur bei starkem Regen mit Hochwasser zu kämpfen. „Acqua alta“ in der Lagunenstadt entsteht auch, wenn bei starker Flut und niedrigem Luftdruck der aus Afrika kommende Wüstenwind Schirokko das Wasser in die Lagune von Venedig drückt. Bei normalen Gezeiten steigt der Wasserspiegel bis zu 90 Zentimeter. Fällt die Flut höher aus, wird von „Acqua alta“ gesprochen.