Schüler und Schülerinnen im Bildungunscampus Sonnwendviertel
Hertha Hurnaus, Architektur: PPAG architects
Architektur

Das neue Leben in den Schulen

Was Schule ist und sein soll – bei diesen Fragen ist in den letzten Jahren einiges in Bewegung gekommen. Das wirkt sich immer mehr auch auf die Schulgebäude aus. Denn Schulen, in denen Kinder den ganzen Tag verbringen und in denen moderne didaktische Konzepte umgesetzt werden, brauchen neue Raumkonzepte. Beispiele zeigen: Das geht mit „auf der grünen Wiese“ errichteten Schulen – aber auch im Altbau.

Statt Frontalunterricht in 50-Minuten-Einheiten ziehen – wenn auch langsam – Team- und Projektarbeit, selbstbestimmtes freies Lernen und flexiblere Lehrpläne in die Schulen ein. Im klassischen Schulgebäude, in dem man von einem langen Gang aus in die einzelnen Klassenzimmer gelangt, sind zeitgemäße pädagogische Konzepte aber gar nicht so einfach umzusetzen. Und auch für lange Tage in der Schule – im Winter oft von der Morgen- bis zur Abenddämmerung – braucht es schlicht mehr Wohnlichkeit.

„Am wichtigsten ist Flexibilität“, sagte Christian Kühn, Architekt und Professor an der TU Wien, auf die Frage, was eine zeitgemäße Schule braucht: Lehrerinnen und Lehrer müssten die Möglichkeit haben, unterschiedliche Lernarrangements anbieten zu können – „nicht nur: ich spreche und die anderen hören zu“. So könnten etwa „acht Kinder mit unterschiedlichen Begabungen um einen Tisch sitzen, nicht an denselben aber an ähnlichen Dingen arbeiten und einander unterstützen“.

Bildungscampus Sonnwendviertel
Hertha Hurnaus, Architektur: PPAG architects
Zweiertische in Reihen findet man am Bildungscampus Sonnwendviertel nicht

Denn vieles, wozu Schule diene, gehe über Wissensvermittlung hinaus, „Freude am Lernen und Solidarität zum Beispiel“. Flexibilität heiße auch, dass es Räume gibt, „die unterschiedlich groß und für unterschiedliche Zwecke geeignet sind“, so Kühn im Gespräch mit ORF.at. Mit den Clusterschulen habe sich hier ein neuer Standard im Schulbau etabliert.

Clusterschulen

In Clusterschulen werden zwei oder mehr Klassen zu einem räumlichen Verbund zusammengefasst. Dazwischen gibt es offene Bereiche, die – je nach Form – Marktplatz oder Lernstraße genannt werden. Teamarbeitsräume für die Lehrenden ergänzen die Einheit.

„Lesen, Dösen, Chillen“

Eine dieser Clusterlösungen ist der Bildungscampus Sonnwendviertel in Wien-Favoriten. Im Gegensatz zum klassischen Schulbau gruppieren sich etwa in der Neuen Mittelschule des Bildungscampus vier Klassen, ein Teamraum und ein Projektraum um den zentralen Marktplatz.

Die Möglichkeit, jeweils zwei Klassen miteinander zu verbinden, schaffe mehr Zusammengehörigkeit, und die Öffnung der Bildungsräume durch Falttüren „mehr Raum, Luft und vor allem Entspannung“, sagte Schulleiter Andreas Gruber. In jedem der Bildungsräume gibt es Lesenester – „Nischen die man halb mit Magnetwhiteboards abtrennen kann und die zur freien Nutzung, wie Lesen, Dösen im Sitzsack oder Chillen am Teppich, einladen“.

Schüler am Bildungscmapus Sonnwendviertel
Hertha Hurnaus, Architektur: PPAG architects
Der Bildungscampus Sonnwendviertel besteht aus NMS, Volksschule und Kindergarten

Die von Kühn zitierte Flexibilität steht am Bildungscampus Sonnwendviertel ganz vorne. „Die Kinder können sich selbst aussuchen, an welchem Ort sie die Lernzeit verbringen möchten. Und in den Unterrichtseinheiten laden der Marktplatz und der Projektraum zur Kleingruppenarbeit ein, die – je nach Situation – auch klassenübergreifend durchgeführt werden kann“, so Gruber gegenüber ORF.at.

Trapezförmige, dreieckige und runde Tische

Dass es nicht nur in neugebauten Vorzeigeprojekten möglich ist, den Unterricht räumlich flexibel zu gestalten, wird in der Integrativen Lernwerkstatt Brigittenau deutlich, einer öffentlichen Ganztagesschule für die erste bis achte Schulstufe in Wien-Brigittenau. Baulich sei gar nicht so viel anders als in anderen Altbauten, sagte Schulleiterin Karin Feller – „von der Einrichtung aber sehr viel“.

„Die Tische sind nicht rechteckig, sondern trapezförmig, dreieckig und rund. Und sie lassen sich immer wieder neu gruppieren. Es gibt Regale als Raumteiler, um Nischen und Leseecken zu schaffen. Durch Sitzsäcke, Sofas und Teppiche wird es gemütlicher. Für Gruppenarbeiten und zum Zurückziehen setzen sich die Schülerinnen und Schüler auch einmal mit einem Teppich auf den Gang.“

Klassenzimmer in der Lernwerkstatt Brigittenau
PID/Christian Fürthner
Flexible Tische in allen Formen in einem Klassenzimmer der Lernwerkstatt Brigittenau

Weil es keine fixe Einrichtung gibt, lassen sich die Klassenzimmer je nach Unterrichtssituation verändern. Die Einführung in ein neues Thema finde etwa im Sesselkreis statt, erzählte Feller im Gespräch mit ORF.at – und nicht wie sonst oft üblich durch Frontalunterricht. „Danach wird der Sesselkreis aufgelöst und die Schülerinnen und Schüler ziehen sich in Arbeitsgruppen zurück.“

„Wir würden sofort umziehen“

Ohne engagierte Lehrerinnen, die das Konzept mittragen, ginge es jedenfalls nicht, weil während des Tages immer wieder umgestellt wird. Im Vergleich zu modernen Schulbauten könne man außerdem manches nicht bieten. Und die Akustik am Gang sei im Altbau oft sehr anstrengend – „auch wenn die Kinder gar nicht laut sind“.

Das Konzept der „Schule als Lebensraum“ sollte sich durchsetzen, ist die Schulleiterin überzeugt. Und dieser sollte so gestaltet werden, dass das Bedürfnis nach Geselligkeit, aber auch das Bedürfnis nach Rückzug erfüllt wird. Denn Schülerinnen und Schüler brauchten hin und wieder auch Abstand vom Lärmpegel, der in einer Schule herrscht. Hätte ihre Schule die Wahl, in ein neues Gebäude zu ziehen, sie würde es sofort tun, sagte Feller: „Dann könnten wir noch flexibler sein.“

„Einmottung“ statt Generalsanierung

Trotz aller Widrigkeiten: Architekt Kühn bezeichnet die Lernwerkstatt Brigittenau als innovatives Beispiel dafür, dass man auch in Altbauten unter schwierigen Verhältnissen sehr viel machen kann: „Die zwei Gründerzeitbauten haben die Schule nicht davon abgehalten zu einer der interessantesten Schulen in Wien zu werden. Mit der Begeisterung der Lehrer werden dort alle Hindernisse der Räume überwunden.“

Klassenzimmer in der Lernwerkstatt Brigittenau
PID/Christian Fürthner
Ein Sofa zum Lesen und Ausruhen versteckt in einer Ecke des Klassenzimmers

Die Situation in Altbauten sei aber immer fragil, sagte Kühn. Werde es räumlich zu eng, bedeute das „irgendwann zu viel Stress für alle Beteiligten“. Dass im Schulaltbestand nicht öfter durch kleinere Um- und Zubauten mehr zum Besseren verändert wird, erklärt Kühn mit: „Es ist eine Frage des Geldes.“

Denn fange man erst einmal an, ein paar Wände herauszureißen, sei man schnell bei einer Generalsanierung. Und das bedeute oft, dass das Gebäude vollständig an die aktuelle Gesetzeslage angepasst werden muss, etwa in Bezug auf Barrierefreiheit und Brandschutz. Deshalb werde der Altbestand – mit Ausnahme einiger Fälle – nicht angerührt, so Kühn: „Die Gebäude werden baurechtlich eingemottet.“

Das schönste Gebäude in der Gemeinde

Wie sieht es also neben innovativ umgesetzten Konzepten wie in der Lernwerkstatt Brigittenau in der Schullandschaft aus? State-of-the-Art-Projekte wie den Bildungscampus Sonnwendviertel und das neue Schulzentrum in Bregenz-Schendlingen in Vorarlberg, das im November mit einem Bauherrenpreis der Zentralvereinigung der Architekten Österreichs ausgezeichnet wurde, werden immer öfter umgesetzt. Wie zeitgemäß sind Österreichs Schulen aber flächendeckend?

Kühn sieht die Lage positiv: Viele Schulen seien keine „Zweckbauten“ mehr, denn „Auftraggeber wollen eine Schule, die das schönste Gebäude in der Gemeinde ist“. Zu Recht, so der Architekt, denn „man lernt in gut gebauten Schulen eine andere Welt kennen und kann ein Gefühl für Schönheit entwickeln“.

„Das wissen auch die Behörden“

In einem Kindergarten in Wien-Favoriten hätten die Architekten etwa lange mit der zuständigen Behörde kämpfen müssen, um ein Glasfenster durchzusetzen, das bis zum Boden geht. Und das habe sich gelohnt. Laut der Kindergartenleiterin sei das nun jener Platz, an dem die Kinder am liebsten sitzen, um von einem geschützten Platz aus hinauszuschauen und die Menschen auf der Straße zu beobachten.

In den letzten zehn Jahren sei Bildung zu einem wichtigen Thema geworden, sagte Kühn, „und das wissen auch die Behörden“. Man müsse aber darauf achten, dass neue Konzepte – wie etwa das der Clusterschule – nicht unreflektiert übernommen werden, sondern dass immer auf die individuelle Situation der Schule eingegangen wird.