Otto Prutscher, Detail des Warmwasserbeckenraums im Dianabad (gemeinsam mit Gebrüder Schwadron und Michael Powolny), Wien, 1913/14
Archivio Famiglia Otto Prutscher, Mailand
Otto Prutscher

Der Unbekannte der Wiener Moderne

Die beeindruckenden Gläser des Designers und Architekten Otto Prutscher (1880–1949) sind gefragte Objekte für Sammler des Jugendstils. Der Schüler von Josef Hoffmann und Mitarbeiter der Wiener Werkstätte gestaltete auch unzählige Lokale, Häuser und Ausstellungen. Das Museum für angewandte Kunst (MAK) gibt mit der Schau „Otto Prutscher. Allgestalter der Wiener Moderne“ Einblick in sein Schaffen.

Anlass zur Ausstellung bietet eine Schenkung, bei der das MAK rund 140 Zeichnungen und Objekte von einer Sammlerin erhielt. Dem 1880 geborenen Prutscher war das Handwerk in die Wiege gelegt: Sein Vater betrieb eine Kunsttischlerei, und Otto arbeitete zunächst im väterlichen Betrieb, bevor er 1897 in die Wiener k. k. Kunstgewerbeschule eintrat. Bei Josef Hoffmann belegte er Kurse in Architektur, aber auch Ornamentales Zeichnen und Malerei standen auf dem Stundenplan. Durch sein Zeichentalent, sein großes Gespür für unterschiedliche Materialien und Raumgestaltung galt Prutscher während seines Studiums als eine Art Wunderkind.

Mit dem Diplom in der Tasche bewarb sich der Absolvent 1901 um ein Stipendium der Rothschild’schen Kunststiftung. Dank dieser Förderung konnte Prutscher nach Paris und London reisen. Für die Pariser Weltausstellung hatte er bereits im Jahr zuvor einen Beitrag geleistet. Noch als Student wirkte er an einer Leistungsschau der Kunstgewerbeschule auf der französischen Expo mit. Für die Inszenierung von Ausstellungsräumen bewies Prutscher schon früh ein gutes Händchen.

MAK-Ausstellungsansicht, 2019
OTTO PRUTSCHER. Allgestalter der Wiener Moderne
MAK/Georg Mayer
Ausstellungsansicht aus dem MAK: So edel schaut Prutscher in einer Gesamtschau aus

Eine Villa für Sammler

„Prutscher war immer auf der Höhe seiner Zeit. Er verstand die Idee der Wiener Moderne vollkommen“, sagte Kurator Rainald Franz aus dem MAK, das mit dem Archiv der Wiener Werkstätte über einen großen Bestand an seinen Zeichnungen verfügt. In der Schau wird Prutschers Bekenntnis zum Gesamtkunstwerk deutlich. So plante der Architekt 1917 in Baden bei Wien die Villa Rothberger, die er von den Möbeln bis zum Silberbesteck mit eigenen Designs ausstattete. Dabei spielte der Hoffmann-Schüler auf der gesamten Klaviatur des Jugendstils, von den floralen Mustern bis hin zur „Kastel“-Ornamentik seines Lehrers.

Als Fritz und Hermi Schedlmayer besagte Villa 80 Jahre später erwarben, war von der Einrichtung nichts mehr erhalten. Nach dem Besuch einer Ausstellung über Prutscher 1997 auf der Universität für angewandte Kunst fing das Ehepaar Feuer und begann sich intensiv für den Architekten ihres Wohnhauses zu interessieren. Im Verlauf von 20 Jahren trug Hermi Schedlmayer nicht nur Möbel, Porzellan, Glas und Ziergegenstände zusammen, sondern legte auch eine Datenbank zu dem unterschätzten Kunstgewerbler an. Vor ihrem Tod 2018 schenkte die Sammlerin dem MAK mehrere Objekte sowie ihren Schatz an Zeichnungen, Plänen und Fotos.

Chamäleon auf der Vitrine

Auch das Highlight der Ausstellung stammt aus dieser Schenkung: Es handelt sich um eine Vitrine mit Gläsern und Vasen, die Prutscher für die Kunstschau 1908 entwarf. Anlässlich des 60. Regierungsjubiläums von Kaiser Franz Joseph I. konzipierten Gustav Klimt und Hoffmann eine große Ausstellung auf dem Gelände des heutigen Konzerthauses. Auch der eine Generation jüngere Prutscher wirkte an der Organisation der Kunstschau mit. Der 28-Jährige entwarf einen „Raum für einen Kunstliebhaber“, der modellhaft zeigte, wie sich die Wiener Werkstätte zeitgemäßen Luxus vorstellte.

Otto Prutscher in einem Sessel von Josef Zotti, 1913
Archivio Famiglia Otto Prutscher, Mailand
Otto Prutscher in einem Sessel von Josef Zotti, 1913

Ausstellungshinweis

„Otto Prutscher. Allgestalter der Wiener Moderne“, Museum für Angewandte Kunst Wien, bis 17.5.

Chamäleons und exotische Vögel schmücken die vergoldete Messingplatte der damals präsentierten Vitrine, die Hermi Schedlmayer dem MAK überlassen hat. Darin sind die Stengelgläser zu bewundern, die heute zu den gefragtesten Sammlerobjekten Prutschers zählen. Die mit Buntglas überfangenen und danach geschliffenen Gläser erzielen bei Auktionen bis zu 14.000 Euro – pro Stück! Bei der Kunstschau 1908 sorgten allerdings die farbigen Vasen aus Perlglas für Furore. Die in ihrer Schlichtheit sehr modern wirkenden Gefäße wurden in der böhmischen Glasmanufaktur Johann Loetz-Witwe hergestellt. Ihr „perlendes“ Tröpfchenmuster entstand durch das Einbringen von Silberkügelchen in das noch heiße Glas.

Vom Rumflakon zum Absinthpokal

Für dieses Verfahren dürfte Prutscher selbst in der Glashütte mit experimentiert haben. „Er ist einer, der vom Material her kommt und handwerkliche Perfektion vorantreibt. Mit den Ausführenden verband ihn ein sehr persönliches Verhältnis“, sagte der Ausstellungskurator. In seiner Laufbahn entwarf der Designer für mehr als 200 unterschiedliche Handwerksbetriebe und Manufakturen, darunter die Creme de la Creme wie die Glasfirmen Bakalowits und Lobmeyr, Augarten Porzellan, der Bugholzmöbelspezialist Thonet, die Textilfirma Backhausen und die Silberschmiede Klinkosch.

Kein Wunder, dass die Handwerker eine Freude mit Prutscher hatten, denn seine Zeichnungen sind liebevoll, minutiös und plastisch. So etwa bei dem 1927/28 entworfenen Deckelpokal aus Silber. Der Ziergegenstand steht in einer von fünf schlichten Vitrinen, die Prutscher selbst entworfen hat und die das MAK für die jetzige Schau aufgetrieben hat. Aus dem Familienarchiv, das Prutschers italienische Nachfahren bis heute in Mailand hüten, sind Schnitte für ein Kaffeehausservice zu sehen. Von der Likörflasche über den Rumflakon bis zum Absinthpokal wurden die Entwürfe als Scherenschnitte 1:1 an die Hersteller übermittelt.

Vom Roten Wien zum Berufsverbot

In der Zwischenkriegszeit wurde Prutscher zu einem vielbeschäftigten Auftragnehmer für Geschäfte und Lokale. Leider ist von seinen vielen Interieurs, Auslagen- und Fassadengestaltungen nur mehr das Portal des ehemaligen Feinkostladen Piccini beim Naschmarkt erhalten. Für das Rote Wien plante Prutscher Gemeindebauten wie den Lorenshof in der Längenfeldgasse und den Heinehof in der Stöbergasse. Er orientierte sich zusehends am Art deco, wie auch die Entwürfe für Augarten Porzellan beweisen. Parallel zu seinem erfolgreichen Architekturbüro unterrichtete Prutscher jahrzehntelang an der Kunstgewerbeschule.

MAK-Ausstellungsansicht, 2019 OTTO PRUTSCHER. Allgestalter der Wiener Moderne
MAK/Georg Mayer
Bis zu 14.000 Euro ist ein einzelnes Glas von Prutscher wert

Mit dem Jahr 1939 fand die offizielle Laufbahn Prutschers jedoch ein ungewolltes Ende. Nach dem „Anschluss“ bemühte sich das Ehepaar Prutscher vergeblich um ein Visum nach Bolivien. Da er sich nicht von seiner jüdischen Frau scheiden lassen wollte, wurde der Architekt als Professor zwangspensioniert und mit Berufsverbot belegt. Das Ehepaar Prutscher blieb während der Dauer der NS-Herrschaft trotz schwieriger Lebensumstände in Wien, obwohl beide Töchter in Italien lebten. Nur durch die Unterstützung ehemaliger Schüler konnte Prutscher auch noch in den Kriegsjahren Einrichtungen entwerfen – allerdings nicht unter seinem Namen: Auf den Plänen scheint er lediglich als „Zeichner“ auf.

Mehr Platz wäre fein

„Prutscher war mehr Traditionalist als Innovator“, sagte Kurator Franz resümierend, will aber damit nicht dessen Leistungen schmälern. Der 1949 im Alter von 69 Jahren verstorbene Architekt hat die Wiener Raumkunst mitgeprägt und hätte längst eine größere MAK-Schau verdient. Schade, dass sein Oeuvre jetzt nur im Sammlungsbereich Gegenwartskunst gezeigt wird, wo nicht besonders viel Platz ist. Dafür können dank eines EU-Projekts Prutschers digitalisierte Entwürfe auf der MAK-Website abgerufen werden, und Anfang Dezember erscheint im Birkhäuser Verlag eine umfangreiche Werkmonografie.