Was für ein Luxus: Ein Werbefilm zeigt eine strahlende US-Familie in einem futuristischen Auto, spitz wie ein kleiner Düsenjet. „Hello Tower!“, ruft der Vater ins Funkgerät und nimmt Kontakt zur Zentrale seines ferngesteuerten Fahrzeugs auf. General Motors (GM) produzierte in den 1950er Jahren derlei Spots für eine großartige Zukunft voll motorisierten Komforts. Bei seinen jährlichen Autoshows „Motorama“ präsentierte der Konzern extravagante Prototypen wie den „Firebird“ mit Gasturbinenmotor, von dem nun ein Exemplar in der Londoner Schau zu bewundern ist.
Es ist der perfekte Zeitpunkt für eine Schau übers Auto, vergeht doch keine Woche ohne Neuigkeiten zu Elektromobilität und Automatisierung des Verkehrs. In der Regel leiden derartige Ausstellungen daran, dass sie sich entweder auf die technische Bauweise oder fetischhaft auf Form und Design werfen. Die Schau im ältesten Designmuseum der Welt entgeht dieser Einseitigkeit, indem sie Kulturgeschichte erzählt. Sie funktioniert als popkultureller Abgesang ebenso wie als kritische Abrechnung mit dem Spritschlucker.
„Unsere Ausstellung soll weniger eine Feier des Autos sein, als das Ende eines Kapitels darstellen“, sagte Kurator Brendan Cormier, der zum Pressetermin im Overall eines Automechanikers erschienen war, im Interview. Das Auto sei eines der widersprüchlichsten Objekte des 20. Jahrhunderts, etwa indem es Freiheit verspreche und einen dann Verkehrstaus unterwirft. „In dem, wofür es steht, ist das Auto unglaublich politisch“, betont Cormier. In seinem Ausstellungskapitel „Driving the Nation“ hat er sich etwa mit der nationalen Landnahme durch den Bau von Autobahnen beschäftigt.
Vom Motorwagen zur Passagierdrohne
Zunächst verleiht die Schau dem Auto jedoch Flügel: Der starke Ausstellungsauftakt bringt Zeichnungen, Entwürfe, Comics, Karikaturen und Filmausschnitte seit dem 19. Jahrhundert zusammen, in denen Gefährte durch die Luft düsen. Zu den Highlights zählt die Zeichnung einer „Mobilen Lebenszelle“, die der russische Konstruktivist Georgi Krutikov 1928 für seine „Fliegende Stadt“ entworfen hat, oder eine japanische Straßenszene mit achterbahnartigen Straßen, in denen „Tokio 2061“ imaginiert wird. Was hier wie Science-Fiction erscheint, kehrt am Ende der Schau mit einem Flugtaxi als gebautem Objekt wieder.
Bei der allerersten Autofahrt hatte eine Frau die Hand an der Lenkkurbel: Die Schau zeigt einen der Motorwagen von Karl Benz, der noch wie eine Kutsche mit Motorradkette aussieht. Nachdem der Ingenieur selbst mit der Inbetriebnahme zögerte, entführte Gattin Bertha Benz das Vehikel für eine Überlandfahrt. Auch bei den frühen Autorennen rasten gefeierte Frauen wie Camille du Gast und Dorothy Levitt mit.
Der Abschnitt „The Design of Speed“ zeigt frühe Rennwagen wie den Delahaye Type 145 und widmet sich stromlinienförmiger Gestaltung. In den Sixties lieferten sich in Filmen PS-starke „Muscle Cars“ wie der ausgestellte Ford Mustang Fastback Verfolgungsjagden. Angesichts der hohen Zahl an Verkehrstoten widmeten sich Designer parallel zum popkulturellen Geschwindigkeitsrausch zunehmend Sicherheitsfragen.
Henry Ford in Amazonien
In den Schlachthöfen von Chicago lernte Henry Ford das serielle Zerlegen von Tieren kennen, das ihn zur Erfindung des Fließbands inspirierte. Weniger bekannt ist, dass der US-Unternehmer in Brasiliens Urwald eine Kautschukplantage namens „Fordlandia“ für billige Autoreifen errichtete. Die streng kontrollierten Arbeiter dort sollten leben wie US-Amerikaner, Hamburger essen und sogar Square Dance üben. Die zwischen 1920 und 1945 betriebene Plantage floppte; sie zeigte beispielhaft den kolonialistischen Geist des Kapitalismus.
Nach harten Fakten über industrielle Ausbeutung widmet sich die Schau der, mitunter sexistischen, Geschichte des Autodesigns. Im Jahr 1955 etwa präsentierte Chrysler mit dem Dodge La Femme einen eigens für Frauen entwickelten Wagen. Das rosafarbene Gefährt lockte nicht nur mit durch Knöpfe vereinfachter Bedienung, sondern inkludierte auch eine Handtasche samt Schirm, Zigarettenetui und Chrysler-Schminkset. Während Ford seine Millionen kistenförmigen Autos mit Schwarz als der am schnellsten trocknenden Farbe lackierte, ging sein Konkurrent GM ab 1927 mit einer eigenen Stylingabteilung in die Offensive. Durch die Cadillacs und Chevrolets wurde das Auto zum Objekt der Begierde und Mittel des Selbstausdrucks.
Autobahnen und Ölpipelines
Der letzte Ausstellungsabschnitt geht in medias res, was die Umweltzerstörung und den fatalen Ressourcenverbrauch der Automobilität betrifft. Auch hier gelingt es den Kuratoren, durch interessante Exponate ein facettenreiches Bild zu zeichnen. Etwa im Straßenbau: Rührend wirken die handbeschrifteten Schwarz-Weiß-Dias steiniger Landstraßen, die dem Reifenhersteller Michelin ab 1930 als Basis für seinen globalen Straßenüberblick dienten. Ein Video über die Entwicklung der europäischen Autobahnen zeigt, dass die erste als „Autostrada degli laghi“ 1920 zwischen Mailand und Como gebaut wurde.
Die Erkundung der Welt via Auto war auch der Grund, warum sich das bereits um 1900 erfundene Elektroauto nicht durchsetzen konnte. Die Abhängigkeit von einer Aufladestation vertrug sich nicht mit Freiheitsgedanken und Expansionsdrang. Militärische Zwecke wurden früh zentral. Mit seinem Halbkettenfahrzeug Autochenille entwickelte etwa Citroen 1925 ein wüstentaugliches Gefährt für Nordafrika.
Auch spezielle Outfits für lange Fahrten wurden entwickelt, etwa ein weiter Mantel von Burberry, um Sand und Hitze abzuhalten. Immer wieder blickt die Schau auch über den westlichen Tellerrand hinaus, erzählt über sowjetische Automarken oder den Pakyan, den Volkswagen im Iran der 1960er Jahre. Dass jedoch die Autoindustrie Asiens größtenteils nicht vorkommt, kann nur dem begrenzten Platz geschuldet sein.
Kein Abheben mit dem Flugtaxi
Bleibt noch die große Frage der Rohstoffe. Absurd erscheint heute eine Werbung von Esso 1962. „Jeden Tag erzeugen wir genug Energie, um sieben Millionen Tonnen Eisberg zu schmelzen“, prahlte der Erdölkonzern damals – eine Ansage, die in Zeiten der Klimakrise unglaublich naiv wirkt. Notgedrungen ausschnitthaft, aber deswegen nicht weniger anschaulich, greift die Ausstellung den Bau von Pipelines, die Ölkrise und die Erderwärmung auf. Auch der umkämpfte Abbau von Lithium, der für die Autobatterien der Elektroautos benötigt wird, wird thematisiert.
Mit seinem finalen Statement enttäuscht das Museum jedoch; der Blick in die Zukunft des Autos misslingt der von Bosch gesponserten Schau. Im letzten Raum steht das Flugtaxi, das Airbus und Audi 2018 vorgestellt haben. Die Vision vom emissionsfreien Fliegen ist schön, aber diese Passagierdrohne wird sie nicht einlösen. Vor Kurzem hat Audi bekanntgegeben, dass es die Forschung an dem Flugtaxiprojekt aufgrund technischer Probleme einstellt. Das fliegende Auto bleibt ein Traum, der nur für Harry Potter wahr wird.