Protest in Marseille gegen die geplante Pensionsreform in Frankreich
AFP/Clement Mahoudeau
Streik und Demos

Massenproteste legen Frankreich lahm

Zahlreiche große Streiks gegen die geplante Pensionsreform der Regierung von Präsident Emmanuel Macron haben in Frankreich den öffentlichen Verkehr fast komplett lahmgelegt. Laut Innenministerium gingen landesweit mehr als 800.000 Menschen auf die Straße. In Paris gab es Ausschreitungen.

In Paris gingen am Nachmittag Fahrzeuge in Flammen auf, Vermummte schlugen Scheiben ein, wie auf Fernsehbildern zu sehen war. Die Stimmung ist war Reportern angespannt. Die Polizei nahm Dutzende Menschen fest und kontrollierte mehr als 9.000. Das Innenministerium befürchtet Ausschreitungen und hat die Sicherheitsvorkehrungen verschärft. Allein in Paris sind rund 6.000 Polizisten im Einsatz. Laut der Gewerkschaft CGT sollen alleine in Paris 250.000 Menschen auf den Straßen sein.

Auch im westfranzösischen Nantes kam es laut Berichten zu Ausschreitungen. In Südfrankreich wurde eine ölverarbeitende Anlage von Protestierenden blockiert. Aktivisten der Umweltbewegung Extinction Rebellion (XR) in Frankreich setzten nach eigenen Angaben Tausende Elektro-Tretroller in mehreren französischen Städten außer Betrieb. XR nannte die Roller „Streikbrecher“. Fast 250 Kundgebungen waren angemeldet. Auch in Lyon und Marseille gingen viele Menschen auf die Straßen.

Demonstration in Marseille.
APA/AFP/Clement Mahoudeau
Der Aufruf der Gewerkschaften hat offenbar funktioniert: Massen protestieren in Marseille gegen die Pensionsreform

Der Generalstreik führte zu starken Verkehrsbehinderungen. Vor allem die Region Paris war betroffen. Neben dem Bahnverkehr fielen auch Flugverbindungen aus. So sagte etwa die AUA ihren Frühflug nach Paris sowie den damit verbundenen Rückflug ab. Der Bahnfernverkehr aus Deutschland wurde eingestellt. Die staatliche französische Bahngesellschaft SNCF strich 90 Prozent der TGV-Verbindungen und 80 Prozent der Regionalzüge.

Massenproteste in Frankreich

Zahlreiche große Streiks gegen die geplante Pensionsreform der Regierung von Präsident Emmanuel Macron haben in Frankreich den öffentlichen Verkehr fast komplett lahmgelegt.

Streiks könnten länger dauern

In Paris lag der Verkehr auf elf der 16 Metrolinien lahm. Wegen des eingeschränkten öffentlichen Verkehrs stiegen viele Pendler auf Autos um. Vor allem in der Hauptstadtregion Paris staute sich der Verkehr, berichteten französische Medien. Insbesondere im Schienenverkehr dürften die Proteste fortgesetzt werden, im öffentlichen Nahverkehr in Paris auch bis Montag.

Für den Freitag rechnet die französische Staatsbahn SNCF nach eigenen Angaben mit sehr starken Störungen des Verkehrs. Die französische Zivilluftfahrtbehörde DGAC rief die Fluggesellschaften auf, ihr Flugaufkommen um 20 Prozent zu reduzieren. Betroffen sind nach DGAC-Angaben die Flughäfen Charles de Gaulle und Orly in Paris, der etwas außerhalb von Paris gelegene Flughafen Beauvais sowie Lyon, Marseille, Toulouse und Bordeaux.

Cornelia Primosch aus Paris

ORF-Korrespondentin Cornelia Primosch berichtet über die Proteste in Frankreich. Es sind mehr Menschen auf die Straße gegangen als bei den Gelbwesten-Protesten.

Eiffelturm und Museen geschlossen

Dem Streik bei der Bahn und im Pariser Nahverkehr schlossen sich am Donnerstag unter anderen Feuerwehrleute sowie Mitarbeiter von Schulen, Krankenhäusern und der Müllabfuhr an. Die Streiks treffen auch Paris-Touristen: Das Wahrzeichen der Hauptstadt, der Eiffelturm, bleibt am Donnerstag geschlossen. Wie die Betreibergesellschaft SETE mitteilte, gibt es nicht ausreichend Personal, um die Touristenattraktion an der Seine zu öffnen.

Demonstrationen in Marseille.
APA/AFP/Clement Mahoudeau
Die Demonstranten und Demonstrantinnen haben auch Rauchtöpfe mit

Der 130 Jahre alte Turm wird jährlich von rund sieben Millionen Menschen besucht. Die „Dame de fer“ (Dame aus Eisen), wie das Monument in Frankreich auch genannt wird, wurde für die Pariser Weltausstellung gebaut und 1889 fertiggestellt. Große Pariser Museen wie der Louvre hatten bereits vor den Streiks vor möglichen Einschränkungen für Besucher gewarnt. Das Musee d’Orsay bestätigte via Twitter, es bleibe geschlossen.

Eiffelturm geschlossen
AP/Rafael Yaghobzadeh
Auch der Eiffelturm bleibt geschlossen

Pensionsreform treibt Menschen auf die Straße

Der Grund für den Streik: die geplante Pensionsreform. Sie gilt als wichtigste Sozialreform von Präsident Emmanuel Macron. Das neue System soll die Zersplitterung in Einzelsysteme für bestimmte Berufsgruppen beenden und somit solidarischer sein. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sollen auch dazu gebracht werden, länger zu arbeiten.

Passagiere warten am Bahnsteig eines SNCF Zuges am Tag des Generalstreiks.
Reuters/Pascal Rossignol
Nur wenige Züge waren am Donnerstag im Einsatz

In Frankreich gibt es neben der allgemeinen Pensionsversicherung, in die die Mehrheit der Franzosen einzahlt, zahlreiche Sonder- und Ausnahmeregeln. Etliche Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes und auch anderer Berufsgruppen sind Mitglied in einem der 42 Einzelsysteme, die besondere Privilegien mit sich bringen. Sonderregeln gelten etwa für Mitarbeiter der Staatsbahn SNCF, der Strom- und Gaswirtschaft, des Militärs, von Krankenhäusern und etwa für Seeleute, Anwälte, Freiberufler und Angestellte der Pariser Oper.

Auswirkungen des Generalstreiks und der dazugehörigen Demonstrationen in Frankreich.
Reuters/Benoit Tessier
Auch die meisten Pariser U-Bahn-Linien sind gesperrt

Aus für Sonderregeln geplant

Diese Sonderpensionssysteme werden vom Staat bezuschusst – sie regeln oft auch, wann jemand in Pension geht. So können Bahnfahrer der Pariser Nahverkehrsgesellschaft RATP schon Anfang 50 in Ruhestand gehen, oft jedoch nicht mit vollen Bezügen. Das normale Antrittsalter liegt in Frankreich bei 62 Jahren. Je nach System fallen die Pensionen recht üppig aus. Viele sorgen sich, dass sie im Zuge der Reform weniger Pension bekommen werden. Die Gewerkschaften sagen, dass das neue einheitliche System den unterschiedlichsten Berufsgruppen nicht gerecht wird.

Leerer bahnsteig in der Station Lyon Perrache.
AP/Laurent Cipriani
Auch der Bahnhof Lyon-Perrache ist leer

Künftig soll es ein Punktesystem geben, das sich nach der Dauer der Beitragsjahre richtet, so der Vorschlag. Das neue System soll von 2025 an eingeführt werden. Gewerkschaften fordern aber eine „Großvaterklausel“. Mit dieser wären nur Berufseinsteiger von den neuen Regeln betroffen. Die Regierung spricht sich dagegen aus.

Ähnlich wie nach den „Gelbwesten“-Protesten gibt es in den Regionen nun Bürgerdebatten mit Regierungsvertretern. Die endgültigen Entscheidungen zur Reform sollen noch bekanntgegeben werden. Die Regierung strebt eine Parlamentsabstimmung vor der Sommerpause 2020 an. Die Reform ist ein Mammutprojekt. Nach den „Gelbwesten“-Protesten ist sie die nächste große Herausforderung für Präsident Macron und ein durchaus heikles Vorhaben.