Tangerinen am Baum
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Schädlich für Embryos

EU verbietet gefährliches Insektizid

Das Insektizid Chlorpyrifos gilt als höchst giftig. Es steht unter dem Verdacht, Gehirne und Nerven von Embryos zu schädigen. Trotzdem wird es auch in der EU großflächig eingesetzt, unter anderem bei Zitrusfrüchten. Die Zulassung des Mittels, der angeblich eine falsche Studie zugrunde lag, wurde in den vergangenen Jahren trotz herber Kritik mehrfach verlängert. Nun einigte sich die EU aber auf ein Verbot.

Der zuständige Ausschuss der EU-Kommission habe dafür gestimmt, die im Jänner auslaufende Zulassung des Pflanzenschutzmittels nicht zu erneuern, teilte die EU-Kommission am Freitag mit. Die Brüsseler Behörde folgte damit einer Einschätzung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Diese hatte im Juli „Bedenken hinsichtlich möglicher genotoxischer sowie neurologischer Auswirkungen während der Entwicklung ermittelt“.

Mittel mit Chlorpyrifos werden zur Bekämpfung von Läusen, Fruchtfliegen und anderen Schädlingen verwendet. Das Einsatzgebiet ist enorm groß, es wird beim Anbau von Obst, Gemüse und Getreide, aber auch in der Forstwirtschaft und im Weinbau verwendet. Es zählt heute weltweit zu den am häufigsten eingesetzten Pflanzenschutzmitteln. Auch in 20 Staaten Europas ist das Mittel im Einsatz. In Südeuropa ist es etwa im Anbau von Zitrusfrüchten weit verbreitet, zudem kommen mit Chlorpyrifos behandelte Lebensmittel über den Import in den Handel.

Bereits geringe Mengen sind giftig

Zugelassen in der EU ist es seit 2006, seither wurde die Erlaubnis mehrfach verlängert. Dabei sind die Risiken bereits seit Langem bekannt: Mitte der 2000er Jahre entdeckten Forscherinnen und Forscher in zwei Langzeitstudien, dass sich bereits geringe Mengen Chlorpyrifos negativ auf die Entwicklung von Embryos auswirken.

Die Kinder von Frauen, die in der Schwangerschaft mit Chlorpyrifos in Berührung kamen, wiesen später ein verändertes Gehirn, schwächere Reflexe, ein höheres ADHS-Risiko und andere Entwicklungsstörungen auf. Mehrere Folgestudien untermauerten das Ergebnis. Als Reaktion wurde der Einsatz von Chlorpyrifos in Innenräumen – etwa für Kammerjäger oder Insektensprays – verboten, was sich ebenfalls positiv in Studien niederschlug. So wurden nach dem Verbot in stark belasteten Gebieten wieder größere Babys geboren. Ein Verbot in der Landwirtschaft lehnte die US-Umweltbehörde EPA aber im Sommer ab.

Ungereimtheiten bei Zulassungsverfahren

Angesichts der bekannten Risiken hätte das Insektizid Kritikerinnen und Kritikern zufolge in der EU nie zugelassen werden dürfen. Wie im Vorjahr etwa der Bayerische Rundfunk (BR) und die Tageszeitung „taz“ auf Basis einer Studie berichteten, gab es im Zulassungsverfahren auch Unregelmäßigkeiten. So soll während des Verfahrens eine wichtige Studie zur Gefährlichkeit des Mittels mutmaßlich nicht berücksichtigt worden sein, weil sie nur in den Rohdaten und nicht in der Zusammenfassung aufschien.

Den Berichten zufolge soll bereits 1998 eine Studie mit Tierversuchen gezeigt haben, dass die Gehirne von jungen Ratten kleiner waren, wenn ihre Eltern Chlorpyrifos gefressen hatten. Diese Erkenntnis schaffte es aber nicht in die Zusammenfassung, sondern nur in die Rohdaten und wurde wohl deswegen von den zuständigen Behörden nicht berücksichtigt. Die Studie war industriefinanziert.

Heraus kam das, weil zwei Forscher aus den USA und Schweden aufgrund von Skepsis gegenüber der Zulassungsstudie die Rohdaten analysierten und das Nichtaufscheinen der Erkenntnisse zu den Ratten in dem Fazit publik machten. Zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung wurde die Neuzulassung bereits von der EFSA geprüft. Auf Anfrage teilte der Hersteller Corteva mit, kein Wirkstoff sei gründlicher untersucht worden als Chlorpyrifos. Laut einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ („SZ“) von Montag soll Corteva in den letzten Tagen kräftig gegen das Verbot lobbyiert haben.

In Deutschland seit 2009 verboten

In Österreich sind zahlreiche Pflanzenschutzmittel mit Chlorpyrifos zugelassen. In Deutschland hingegen ist Chlorpyrifos bereits seit 2009 verboten, allerdings kamen über Importe zahlreiche belastete Lebensmittel auf den Markt. Laut dem „SZ“-Bericht waren 2017 trotzdem jede dritte importierte Grapefruit und Orange und jede vierte Mandarine mit Rückständen belastet. Auch in jeder fünften Pfefferprobe fanden sich problematische Chlorpyrifos-Spuren.

Sobald die Entscheidung von Freitag im Jänner formalisiert ist, sind alle EU-Staaten verpflichtet, die Zulassung für die beiden Chemikalien zurückzuziehen. Danach können sie noch eine Übergangsfrist für Gebrauch, Lagerung oder Entsorgung von maximal drei Monaten gewähren.