Kroatische fahne vor Rovinj
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Kroatien

Jüngstes EU-Land muss Brexit umsetzen

„Ein starkes Europa in einer Welt der Herausforderungen“ – so lautet Kroatiens Motto für die EU-Ratspräsidentschaft, die mit Jänner beginnt. Das jüngste EU-Mitglied macht kein Geheimnis daraus, dass im nächsten halben Jahr viele Aufgaben zu bewältigen sein werden. Ganz oben auf der Liste steht der Brexit. Doch auch das EU-Budget sowie die Klima- und Flüchtlingspolitik werden Zagreb auf Trab halten.

Noch nicht einmal sieben Jahre ist Kroatien bei der EU, schon muss es sich einer der größten Aufgaben stellen, die sich die Union überhaupt je stellen hat müssen: dem Brexit. Zwar rechnete man auch schon während des finnischen und auch davor unter dem rumänischen Ratsvorsitz mit einem Austritt Großbritanniens aus der EU, doch dürfte es mit 31. Jänner nun endgültig ernst werden.

Da sind sich in Brüssel seit der Wahl in Großbritannien Mitte Dezember, bei der der konservative britische Premier Boris Johnson haushoch gewonnen hatte, wohl alle Beobachterinnen und Beobachter einig. „Es ist ironisch, dass das jüngste Mitgliedsland mit dem Austritt umgehen muss“, sagte Irena Andrassy, ständige Vertreterin Kroatiens bei der EU, vor Kurzem bei einer Veranstaltung in Brüssel. Doch versicherte sie, das Beste aus der Situation machen zu wollen.

Kroatien für Erhöhung der Beitragsleistungen

Wenn der Brexit auch zumindest Anfang des Jahres wohl noch die politischen Agenden überschatten wird, soll der Fokus der Kroatinnen und Kroaten auf der Vorbereitung des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) für 2021 bis 2027 liegen. Zagreb befürwortet hierbei eine Erhöhung der Beitragsleistungen der EU-Länder.

Nettozahler

Ein Konfliktfeld im EU-Haushalt ist die Nettozahlerdebatte, also die Diskussion darüber, wie viel ein Land zum EU-Haushalt beiträgt und wie viel umgekehrt wieder in das Land zurückfließt. Wer mehr einzahlt, als er herausbekommt, ist ein Nettozahler. Die Nettozahlung bewirkt aber auch eine Umverteilung von Finanzmitteln und letztendlich Wohlstand.

Die „Nettozahler-Allianz“, zu der auch Österreich gehört, möchte nur ein Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in den nächsten EU-Etat einzahlen. Die EU-Kommission will 1,114 Prozent der Wirtschaftsleistung eingezahlt wissen, das EU-Parlament sogar 1,3 Prozent.

Im Einklang mit dem „Green Deal“

Die vier Säulen des kroatischen EU-Vorsitzes stehen für „ein Europa, das sich entwickelt, verbindet, schützt und Einfluss nimmt“, im Einklang mit den Zielen der neuen EU-Kommission von Ursula von der Leyen. Gemeinsam mit der Kommission will man den „Green Deal“, also den Plan, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen, umsetzen. Es soll nicht mehr CO2 ausgestoßen werden als mittels Ausgleichsmaßnahmen wie Aufforstung und CO2-Speicherung eingespart werden kann.

Mit Spannung wird deshalb in Brüssel beobachtet, wie sich Zagreb hierbei künftig positioniert. Das Land selbst gewinnt den Großteil seiner Energie durch kalorische und Wasserkraftwerke, betreibt aber auch gemeinsam mit Slowenien das Kernkraftwerk Krsko, das sich allerdings auf slowenischem Boden befindet.

Stadt Piran and Piran-Bucht
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Der Grenzstreit zwischen Kroatien und Slowenien in der Bucht von Piran ist nicht beigelegt

Grenzstreit in Bucht von Piran

Doch ist man sich gerade mit dem Nachbarland und ebenfalls EU-Staat Slowenien nicht immer einig – vor allem dann nicht, wenn es um die Seegrenze in der Bucht von Piran geht. Voraussetzung für den EU-Beitritt Kroatiens 2013 war nämlich, dass beide Länder sich verpflichteten, den Streit einem internationalen Schiedsgericht vorzulegen. Das sprach die Bucht von Piran auf der Halbinsel Istrien zum größten Teil Slowenien zu.

Kroatien erkennt das jedoch nicht an, weil es aus dem gesamten Verfahren ausgestiegen war. Grund dafür war, dass Slowenien gegen die Prinzipien des Schiedsgerichts verstoßen hatte. Das Gericht selbst wertete diesen Verstoß allerdings nicht als so schwerwiegend, dass es das gesamte Verfahren beendete. 2018 verklagte die Regierung in Ljubljana das Nachbarland schließlich vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Ein EuGH-Gutachter betonte nun jedoch, die Festlegung der Grenze sei eine völkerrechtliche Frage, für die das Luxemburger Gericht nicht zuständig sei.

„Wir tragen zur Sicherheit der EU bei“

Die Ratspräsidentschaft sollte das alles aber nicht beeinflussen, versicherte die kroatische Staatssekretärin Andreja Metelko-Zgombic im Gespräch mit ORF.at in Brüssel. Zwar wolle man auch weiterhin mit Slowenien Gespräche führen „aber das wird definitiv kein Thema auf der EU-Agenda sein“, so Metelko-Zgombic. „Das ist ein bilaterales Thema, das bilateral verhandelt werden muss.“ Doch will Kroatien nicht von seiner Linie abweichen: „Das ist die Grenze, die wir im Moment unserer Unabhängigkeit geerbt haben, und es ist genau die gleiche Grenze, die wir seit 1991 hatten“, so die Staatssekretärin.

Grenzübergang zwischen Kroatien und Serbien
Reuters/Antonio Bronic
Stau an der kroatischen Grenze gibt es vor allem in der Urlaubszeit. Kroatien gehört noch nicht zum Schengen-Raum.

Brenzlig könnte die Angelegenheit jedenfalls dann werden, wenn Kroatien dem Schengen-Raum beitreten möchte. Einer Aufnahme müssen noch die EU-Staaten einstimmig zustimmen. Da Kroatien aber wegen der Bucht von Piran mit Slowenien im Clinch liegt, ist Widerstand von Slowenien zu erwarten. Metelko-Zgombic will sich dadurch nicht beirren lassen und verweist auf die Mühen, die Zagreb zum Schutz der EU bereits auf sich genommen hat: „Wir haben 6.500 Polizeibeamte an unseren Grenzen. Wir tragen zur Sicherheit der EU bei. Aber nur, wenn wir auch Teil von Schengen sind, werden wir voll funktionsfähig sein.“ Bis 2024 will Kroatien dann auch den Euro einführen.

„Neue Ansätze“ in Migrationspolitik

Doch auch die Sicherheitspolitik dürfte eine wichtige Rollen spielen. So setzt sich die kroatische Ratspräsidentschaft zum Ziel, gegen Bedrohungen aus dem Internet wachsam zu sein und Informationssysteme zu schützen, jedoch schließt das auch die Migrationspolitik mit ein. Von „neuen Ansätzen“ sprach Metelko-Zgombic. Genaueres ließ sie noch nicht durchblicken, plädierte aber darauf, dass jeder Staat seinen eigenen Weg finden solle, beim „Migrationsmanagement“ seinen Teil beizutragen – so, wie es für jeden Staat eben am besten passe, meinte die Staatssekretärin.

„So haben manche Mitgliedsstaaten gesagt, sie würden gerne Geld in Flüchtlingslager stecken, und andere können vielleicht eher dabei helfen, die Grenzen zu schützen, und wieder weitere können ihre Grenzen öffnen und legale Migranten aufnehmen“, gab sie sich ob einer gemeinsamen Einigung hoffnungsvoll. „Vielleicht können wir jetzt ein bisschen klüger sein und eine angenehme Lösung für alle finden.“ Laut International Rescue Committee werden 85 Prozent der Flüchtlinge weltweit von Ländern aufgenommen, die ärmer sind als die EU-Staaten.

Seitenhieb auf NGOs

Menschenrechtsorganisationen werfen Kroatien immer wieder vor, Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlinge, die aus Bosnien kommen, brutal zu misshandeln und sie gewaltsam zurückzuschieben. Erst kürzlich sorgte ein Vorfall für Aufregung, bei dem kroatische Beamte zwei nigerianische Studenten mit Visa rechtswidrig in ein Flüchtlingslager nach Bosnien-Herzegowina abgeschoben haben sollen. Metelko-Zgombic nahm zur strikten Migrationspolitik gegenüber ORF.at-Stellung, wies aber genauso wie die kroatische Polizei alle Vorwürfe zurück.

„Manche NGOs stiften die Migranten dazu an, illegale Wege zu wählen, die Grenze zu übertreten“, behauptete die Staatssekretärin. Von seiner strikten Migrationspolitik dürfte Kroatien wohl auch nicht während der EU-Ratspräsidentschaft abweichen. „Diese Menschen kommen aus Afghanistan oder irgendwelchen anderen wirklich fernen Ländern, und wirklich niemand kann sagen, ob sie Flüchtlinge in dem Sinn sind, dass sie wirklich internationalen Schutz brauchen“, verteidigte Metelko-Zgombic die harte Linie ihres Landes.

Verbindungsglied zwischen West und Ost?

Kroatien ist unterdessen auch die EU-Erweiterung auf dem Westbalkan ein großes Anliegen und im Programm der erste geografische Fokus während der Ratspräsidentschaft. Der zweite ist die Östliche Partnerschaft, die 2009 ins Leben gerufen wurde und die ehemaligen Sowjetrepubliken politisch und wirtschaftlich an die EU heranführen soll. Mitglieder sind Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldawien, die Ukraine und Weißrussland.

Hervorstreichen will Zagreb überdies hinaus die Gemeinsamkeiten der Menschen in Europa, darunter Bildung und Wissenschaft, Kultur und Sport. Einen weiteren Nebenschauplatz sprach Metelko-Zgombic gegenüber ORF.at an. So wolle man eine Konferenz für das Spenden und Transportieren von Organen organisieren. Kroatien sei hier Vorreiter, so die Staatssekretärin.

Kroatien hat sich in den vergangenen 25 Jahren nach Ende des Krieges stark weiterentwickelt. Die kroatische Wirtschaft ist eine der stärksten in Südosteuropa. Dennoch hat das Land auf dem Balkan mit einem Braindrain, also mit der Abwanderung qualifizierter Menschen ins Ausland, zu kämpfen. Rund 40.000 Menschen der etwa vier Millionen Einwohnerinnen und Einwohner verlassen Kroatien jährlich. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt mit 18,4 Prozent – über dem EU-Schnitt. Das Durchschnittsgehalt liegt unter 1.000 Euro im Monat, während alltägliche Produkte aber ungefähr dasselbe kosten wie im Rest der EU. Kroatien folgt im Ratsvorsitz Finnland, ab 1. Juli ist dann Deutschland an der Reihe.