Arzt mit Stethoskop untersucht Patienten
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Krankenstände

Kammer sieht Arztgeheimnis in Gefahr

Laut einem Forderungspapier der Wirtschaft soll mit der Zusammenlegung der Krankenkassen auch eine Verschärfung bei Krankenständen kommen. Nach Bedenken der Gewerkschaft meldete sich am Mittwochnachmittag auch die Ärztekammer mit scharfer Kritik: Sie sieht das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient in Gefahr. Vor allem bei psychischen Erkrankungen sei das problematisch.

Durch die Verschärfungen bei Krankenständen werde das „Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nachhaltig unterminiert“, heißt es in einer Aussendung. Das Arztgeheimnis sei aber eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung, so Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres.

Vor allem psychische Erkrankungen sieht Szekeres problematisch – sollten diese beim Dienstgeber bekanntwerden, könnte das negative Folgen für den Arbeitnehmer haben, heißt es. Deshalb könnten Patientinnen und Patienten ihre Beschwerden künftig verheimlichen oder zu spät behandeln lassen, so Szekeres.

In den Entwürfen ist laut Ärztekammer derzeit zwar nur vorgesehen, zwischen „Arbeitsunfall“, „Berufskrankheit“ und „sonstiger Arbeitsunfähigkeit“ zu unterscheiden. „Von einer ersten Lockerung des Arztgeheimnisses bis hin zu einer exakten Diagnosestellung ist der Weg dann aber nicht mehr weit“, so Szekeres.

Kritik an Prüfung durch Arbeitgeber

Kritisch sieht Szekeres auch, dass der Dienstgeber zukünftig eine Überprüfung des Krankenstands anordnen können soll. Schon derzeit gebe es seitens der Krankenkassen genügend Möglichkeiten der Kontrolle im Verdachtsfall. Eine zusätzliche Überprüfungsbefugnis seitens des Dienstgebers würde nur den Druck auf die Arbeitnehmer erhöhen. Die Vertraulichkeit des Arzt-Patienten-Gesprächs sei ein hohes Gut und müsse unter allen Umständen gewahrt bleiben, so Szekeres.

Wirtschaft stellt mehrere Forderungen

Die in dem der APA vorliegenden Papier geforderten Neuerungen könnten unterdessen schon bald beschlossen werden. Schon am Dienstag sollen diese Thema im Überleitungsausschuss für die mit 1. Jänner entstehende Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) sein. Die Gewerkschaft zeigte sich alarmiert.

Die Vorsitzende der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA-djp), Barbara Teiber, bezeichnete die Forderung nach einer Überprüfung durch den Dienstgeber im Gespräch mit der APA als „heftige Geschichte“. Es gebe jetzt schon zahlreiche Überprüfungen, und es mache einen großen Unterschied, ob der Dienstgeber eine Überprüfung anregen oder anordnen kann.

Dauer und Ursache Teil der Krankmeldung?

Als „noch heftiger“ bezeichnete die GPA-djp-Vorsitzende, dass die Bestätigung der Arbeitsunfähigkeit nach den Vorstellungen der Wirtschaft nicht nur den Beginn, sondern auch die voraussichtliche Dauer und die Ursache des Krankenstands sowie die ärztlich angeordneten Ausgehzeiten beziehungsweise Bettruhe beinhalten soll. Im Entgeltfortzahlungsgesetz ist zwar schon jetzt vorgesehen, dass der Dienstnehmer dem Dienstgeber eine Bestätigung über Beginn, voraussichtliche Dauer und Ursache der Arbeitsunfähigkeit vorzulegen hat.

Die Wirtschaft verweist in ihrem Forderungspapier allerdings darauf, dass Bestätigungen oftmals keine voraussichtliche Dauer vorsehen und „den Dienstgeber mangels Planbarkeit unnötig belasten“. Teiber sagte dazu, dass es im Entgeltfortzahlungsgesetz nur um die Dauer der Entgeltfortzahlung gehe, die im Falle eines Arbeitsunfalls länger gehe als bei anderen Gründen.

Krankenstände: Wirtschaftskammer fordert Verschärfungen

Die Wirtschaftskammer fordert Verschärfungen bei Krankenständen, so soll der Arbeitgeber bei Missbrauchsverdacht beispielsweise die Möglichkeit erhalten, eine Überprüfung durchzuführen.

Gewerkschaft fürchtet Mehrheit in Ausschuss

Für Teiber ist „zu befürchten“, dass die Wirtschaftskammer für ihre Vorstellungen auch eine Mehrheit bekommt. Zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern herrscht zwar Parität, allerdings sei derzeit nicht absehbar, wie die ÖVP-Arbeitnehmervertreter des Österreichische Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerbunds (ÖAAB) abstimmen werden.

Die GPA-Vorsitzende sieht in den von der Wirtschaft geforderten Verschärfungen jedenfalls einen „Generalverdacht“ gegenüber den Arbeitnehmern. Darin komme „eine Haltung des Misstrauens gegenüber den Beschäftigten“ zum Ausdruck.

Die ÖGK solle damit im Sinne der Dienstgeber instrumentalisiert werden. Man könne nun erkennen, warum die Arbeitgeber die Änderung der Mehrheitsverhältnisse wollten. Teiber glaubt, dass die Wirtschaft die von der ÖVP-FPÖ-Regierung angekündigte Leistungsharmonisierung auf hohem Niveau nun gegen die Verschärfungen beim Krankenstand eintauschen will.

VfGH könnte noch heuer über Parität entscheiden

Schon am Dienstag warnten die Arbeitnehmervertreter vor Verschlechterungen durch die Zusammenlegung der Krankenkassen. So befürchte man insbesondere Selbstbehalte beim Arztbesuch für die Arbeitnehmer und dass der medizinische Fortschritt künftig nicht mehr allen zugutekommt, hieß es in einer gemeinsamen Pressekonferenz von Österreichischem Gewerkschaftsbund (ÖGB), Arbeiterkammer und dem Arbeitnehmerobmann der ÖGK. Durch die Parität in den Gremien könnten die Arbeitgebervertreter entscheiden, was mit den Beiträgen der Dienstnehmer geschieht, so die Befürchtung von ÖGB-Vizechefin Korinna Schumann.

Man hoffe, dass der Verfassungsgerichtshof (VfGH) noch im Dezember eine Entscheidung trifft und insbesondere die gleiche Stimmverteilung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in der ÖGK aufhebt, hieß es bei der Pressekonferenz. Man rechne aber auch für diesen Fall nicht mit einer unmittelbaren Auswirkung, sondern damit, dass der VfGH einen Reparaturauftrag an die neue Regierung erteilt. Vor dem 1. Juli 2020 werde sich wohl in den Gremien nicht viel ändern.

Wirtschaftskammer weist Vorwürfe zurück

Die Wirtschaft wies diese Darstellungen umgehend zurück. Wie die Wirtschaftskammer (WKÖ) in einer Stellungnahme gegenüber ORF.at sagte, gehe es nicht um einen Generalverdacht und „auch nicht um die Bekanntgabe von Diagnosen“. Die WKÖ betonte weiters, dass es wohl auch im Interesse der Gewerkschaft sei, dass Missbrauch von Krankenständen, um „Fairness“ im Sinne aller Beitragszahlerinnen und -zahler herzustellen, nicht toleriert wird. Die WKÖ versicherte zudem, dass in einem ersten Schritt die ÖGK mit einer Analyse beauftragt werden solle – und darauf aufbauend „Maßnahmen beraten werden“.

Wirtschaftsbund sieht „Panikmache“

Der Generalsekretär des ÖVP-Wirtschaftsbundes, Kurt Egger, warf der Gewerkschaft „ständige Panikmache“ vor. Der Vorwurf des ÖGB, dass nur Arbeitgeber entschieden, „entbehrt jeder Grundlage. Hier spielt wohl die Angst des Machtverlustes einiger Funktionäre eine größere Rolle.“

Eine Änderung der Krankenordnung sei nämlich Aufgabe der Hauptversammlung der Gesundheitskasse und nicht des Überleitungsausschusses. Zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern herrscht im Überleitungsausschuss Parität. Ziel für den Wirtschaftsbund sei es, stärker gegen den Missbrauch von Krankenständen vorzugehen, so Egger. „Hier geht es um Fairness gegenüber Arbeitskollegen und den Versicherten. Das kann aus unserer Sicht auch nur im Interesse der Gewerkschaft sein.“

Der Leiter der Sozialpolitik in der Wirtschaftskammer, Rolf Gleißner, sagte, dass die Reform Vorteile für alle Beteiligten bringen werde. „Es drohen weder Selbstbehalte noch längere Wartezeiten. Es werden im Gegenteil die Verbesserungen im System bei den Kunden ankommen“, so Gleißner.

Zahl der Krankenstände im Vorjahr leicht erhöht

Die Zahl der Krankenstände hatte sich 2018 im Vergleich zum Jahr davor leicht erhöht. Erst vergangene Woche stellte der Hauptverband der Sozialversicherungsträger entsprechende Zahlen im „Österreichischen Fehlzeitenreport“ vor. Die Beschäftigten waren im Jahresverlauf durchschnittlich 13,1 Kalendertage im Krankenstand. 2017 waren es 12,5 Tage gewesen.

„Langfristig gesehen ist das Krankenstandsniveau in Österreich derzeit vergleichsweise niedrig“, hieß es in einer Aussendung der Sozialversicherungsträger. Diese hätten mit 17,4 Krankenstandstagen 1980 ihren Höchstwert erreicht. „Von da an ging es sukzessive nach unten“: 1990 seien es durchschnittlich 15,2 Tage und im Jahr 2000 durchschnittlich 14,4 Krankenstandstage gewesen.