Forscher reiten auf dem Rücken eines Elefanten
LM Salazar for the CropTrust/CWR Project
„Indiana Jones“-Projekt

Globale Sammlung für künftige Ernährung

Angesichts der Klimakrise sind immer mehr Pflanzenarten vom Aussterben bedroht. Ein globales Mammutprojekt zum Erhalt von Pflanzensamen hat nun einen Meilenstein geschafft. Es war eine mehrjährige „Indiana Jones“-artige Aktion.

Mehr als 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben mit einer Ausdauer und Leidenschaft, die an den Archäologen und Abenteurer der gleichnamigen Kultfilmserie erinnert, in entlegensten Gegenden wilde Verwandte wichtiger Kulturpflanzen für die Ernährung der Menschheit gesucht. Die Klimaerwärmung gefährdet zusehends die Nahrungsmittelproduktion – und das bei steigender Weltbevölkerung. Die gesammelten Samen sollen Kreuzungen ermöglichen, die Pflanzen wie Reis, Mais oder verschiedene Getreidesorten resistenter gegen die Folgen der Klimaerwärmung, wie Wasserknappheit oder höhere Temperaturen, machen.

Sechs Jahre lang wurden Samen von Tausenden Wildpflanzen zusammengetragen – und das unter oft abenteuerlichen oder gefährlichen Bedingungen. Einige Gebiete konnten die Wissenschaftler nur zu Fuß, per Kanu oder auf Elefanten reitend erreichen. 4.644 Samenproben von 371 wilden Verwandten von 28 weltweit wichtigen Kulturpflanzen wurden dabei sichergestellt. Viele der gesammelten Pflanzen sind bereits vom Aussterben bedroht.

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Samensammler Lenin Rosero von der Ecuadoran Instituto Nacional de Investigaciones Agropecuarias (INIAP) blickt auf den Cayambe-Coca National Park
LM Salazar for the CropTrust/CWR Project
Lenin Rosero suchte in Ecuadors Cayambe-Coca-Nationalpark nach Solanum colombianum, einer wilden Kartoffelsorte
Teilnehmer des CWR Projekts auf der Suche nach Bananenwildformen
LM Salazar for the Crop Trust
Das Crop Wild Relatives oder CWR genannte Projekt dauerte zehn Jahre lang. Personal wie hier in Malaysia wurde extra geschult, um zu lernen, wie Pflanzensamen – etwa von Bananen – richtig gesammelt werden.
Die Pflanzen Solanum chaoense, Solanum commersonii und Solanum commersoonii
LM Salazar for the CropTrust/CWR Project
Blätter und Blüten von drei verschiedenen wilden, in Brasilien heimischen Kartoffelarten – kurz nachdem sie gesammelt wurden
Ein Team des International Potato Center genebank auf der Suche nach Solanum Chomatophylum in Cajamarca, Peru
Sara A. Fajardo for CIP/CWR Project
In Peru sucht ein Team im Norden des Landes, bei Porcon, nach einer regionalen Erdäpfelart. Das Projekt, das hauptsächlich von Norwegen finanziert wurde, konzentrierte sich auf die Suche wilder Verwandter von 29 wichtigen Kulturpflanzen wie Erdäpfeln, Reis und Mais.
Bohnensammlung in Nepal
LM Salazar for the CropTrust/CWR Project
Eine Sammlung von in Nepal gefundenen Bohnengewächsen
Ein Team des International Potato Center genebank fährt durch die Anden in Peru
Sara A. Fajardo for CIP/CWR Project
Das „Kartoffel“-Team wurde in Peru in den ersten drei Tagen siebenmal fündig. Die Wildpflanzen sollen als Reservoir dienen, um hochgezüchtete Varianten durch Kreuzung widerstandsfähiger gegen die Folgen der Klimaveränderung zu machen.
Mitglieder des ICTA (Instituto de Ciencia y Tecnología Agrícolas) vergleichen Pflanzen mit dem CWR Collecting Guide auf einem Tablet
LM Salazar for the Crop Trust
Das Sammelteam in Guatemala vergleicht eine wilde Bohnenpflanze mit der Datenbank von Crop Wild Relatives, in der die gesuchten Wildpflanzen genau beschrieben werden. Die Datenbank stammt von einer der weltweit größten Samenbanken, der Millennium Seed Bank nahe der Londoner Kew Gardens.
Forscher reiten auf dem Rücken eines Elefanten
LM Salazar for the CropTrust/CWR Project
Das Sammlerteam in Nepal war teilweise per Elefant unterwegs, um entlegene Gegenden zu erreichen. Das Team suchte eine wilde Reissorte. Dabei diente der Elefant weniger als Transportmittel, sondern vor allem als Abschreckung gegen bengalische Tiger und das Panzernashorn.
Teilnehmer des CWR Projekts auf der Suche nach Hordeum pubiflorumin den chilenischen Anden
LM Salazar for the CropTrust/CWR Project
In Chile üben Mitglieder von verschiedenen lateinamerikanischen Ländern die richtige Suche. Hier suchen sie probeweise eine wilde Gerstenart in den Anden.
CWR Projekt Teilnehmer geht durch einen Wald in Ecuador
LM Salazar for the CropTrust/CWR Project
Sammler unterwegs in einem Wald in Ecuador. Um sich gegen mögliche Schlangenbisse zu wappnen, waren die Fachleute mit Gummistiefeln unterwegs.
Costa Rica Rice 2016 1.JPG
In der Provinz Guanacaste sammeln CWR Projekt Partner Marcela Turcios und Griselda Arrieta die Pflanze Oryza latifolia
LM Salazar for the CropTrust/CWR Project
In insgesamt 24 Ländern waren Sammlerteams unterwegs. In Costa Rica wurde Oryza latifolia gesammelt – eine wilde Reissorte, die bei Bäuerinnen und Bauern als Unkraut gilt. Aber die Sorte ist resistent gegen die braunrückige Reiszikade, die in den 1960er und 1970er Jahren die Reisproduktion in weiten Teilen Asiens gefährdete.
Auswahl an wilden und kultivierten Auberginen aufgenommen in der Universitat Politècnica de València in Spanien
LM Salazar for the CropTrust/CWR Project
Das Foto zeigt Früchte von wilden und kultivierten Melanzanipflanzen. Das Vorzüchten ist ebenfalls Teil des CWR-Projekts. Im Fall der Melanzani geht es darum, in Kooperation mit der Elfenbeinküste und Sri Lanka Melanzani-Kreuzungen zu finden, die mit Hitze und Trockenheit besser zurechtkommen.
Forscher stehen zwischen Pflanzenzüchtungen in den UC Davis greenhouse facilities
Dr. Doug Cook/CWR Chickpea Pre-Breeding Project
Im Rahmen des Projekts werden von den USA, Marokko und der Türkei Kichererbsen-Züchtungen gesucht, die möglichst wenig Wasser brauchen. Im Bild sind verschiedene Kichererbsenpflanzen in einem Glashaus der University of California in Davis. In den Kuverts werden die jeweils anfallenden Samen gesammelt.

Alles andere als ein Spaziergang

„Die Expeditionen waren kein Spaziergang im Park. Sie waren teilweise gefährlich, wegen Hitze, Staub und Schwitzens körperlich sehr anstrengend. Dazu kam die Gefahr durch wilde Tiere – von blutsaugenden Würmern bis hin zu Tigern“, betonte Hannes Dempewolf, der Leiter der globalen Initiativen beim Crop Trust.

„Die Geschichten, die diese Samensammler von ihren Reisen in die entlegenen Gebiete zurückbrachten, erinnern an Szenen aus dem Indiana Jones Film“, so Dempewolf.

NGO kooperiert mit UNO

Der Crop Trust ist eine 2004 gegründete Nichtregierungsorganisation (NGO), die unter anderem mit der UNO-Ernährungsagentur zusammenarbeitet, um die ausreichende Produktion von Lebensmitteln für die Zukunft zu sichern. Finanziert wird der Crop Trust, dessen Zentrale in Bonn ist, unter anderem durch mehrere Staaten und die Bill und Melinda Gates Stiftung.

Die NGO arbeitet eng mit dem Svalbard Global Seed Vault zusammen. Das ist der seit 2008 auf Spitzbergen, weit nördlich des Polarkreises, errichtete Globale Pflanzensamentresor. Er dient als eine Art Backup für nationale Samensammlungen. Fast alle Länder haben dort Samen ihrer jeweils wichtigsten Kulturpflanzen eingelagert.

Ambitioniertes Projekt dieser Art

Das Projekt, das vom Crop Trust gemeinsam mit den Royal Botanic Gardens und Kew’s Millenium Seed Bank in Großbritannien durchgeführt wurde, wurde von Norwegen finanziert. Es ist der bislang ambitionierteste weltweite Versuch, wilde Verwandte von wichtigen Kulturpflanzen aufzuspüren. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich daran beteiligten, kamen aus 25 verschiedenen Ländern.

Die Wildpflanzen sind grundsätzlich widerstandsfähiger als ihre auf maximalen Ertrag ausgelegten Verwandten, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Sie haben gelernt, mit ungünstigen und schwierigen Bedingungen, wie geringem Niederschlag, Überschwemmungen, starken Temperaturschwankungen oder wenig nahrhafter Erde, zurechtzukommen. Sie bieten daher mit ihrem Erbgut eine bislang kaum angezapfte Quelle für Vielfalt an, um die Kulturpflanzen widerstandsfähiger gegen die Folgen der Klimakrise zu machen.

Pflanzensammler in Ecuador
Crop Trust
Sammler prüfen, ob sie der richtigen Pflanze auf der Spur sind

Beispiel Banane

Einzelne Kulturpflanzen waren wiederholt vom Aussterben bedroht, etwa durch extreme Abholzung von Wäldern, Klimaveränderung, Bodenversiegelung durch die Ausdehnung von Städten und durch Krieg. Bananen seien diesbezüglich ein sehr gutes Beispiel. Sie seien potenziell in Gefahr, weil die Fälle von Krankheiten sich ausbreiten, so einer der Projektleiter, Chris Cockel. Und er ergänzt: „Das hatten wir schon einmal.“

Nach 1945 sei die Banane, wie sie die Leute kannten, aufgrund einer Krankheit de facto ausgerottet gewesen. Nun sei genau diese Krankheit wieder auf dem Vormarsch. „Es ist daher wichtig, das Samenmaterial zu verwenden … um verlorengegangene genetische Spuren wieder hineinzuzüchten, die helfen, die Banane wieder resistenter gegen bestimmte Krankheiten zu machen.“

3.000 Tage unterwegs

Die Forscherteams waren in Asien, Afrika, Europa und Südamerika zusammengezählt fast 3.000 Tage unterwegs. Sie verwendeten GPS, um den Fundort zu vermerken, berichtete die britische Tageszeitung „Guardian“ über das Projekt. In Nepal seien die Sammler demnach auf Elefanten geritten, um Tiger und Rhinozerosse abzuwehren. Sie fanden eine Wildreisart, die gegen eine Art von Mehltau resistent ist und eine spezielle Art Süßkartoffel, die in salzhaltigem Boden wächst.

In Ecuador seien die Sammler in langen Stiefeln im Gelände herumgegangen, um sich vor Schlangenbissen zu schützen. Sie waren auf der Suche nach einer seltenen, aber ergiebigen Reisart, die es nur in dieser Region gibt, und die Überflutungen toleriert.

Pflanzensammler in Nepal
Crop Trust
Ein Team analysiert eine Wildpflanze

Nahrungssicherheit stark in Gefahr

Die Lebensmittelversorgung ist laut dem UNO-Forschungsgremium zur Klimaerwärmung, IPCC, bereits jetzt schwer gefährdet. Das Gremium warnt vor Hungersnöten, höheren Preisen für Lebensmittel und den gesundheitlichen und volkswirtschaftlichen Folgen von Unterernährung, angesichts der Anzahl täglich aussterbender Tier- und Pflanzenarten.

Gleichzeitig konzentriert sich die Landwirtschaft weltweit auf immer weniger Arten von Lebensmitteln. Das erhöht laut der UNO-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO die Gefahr von „Schocks“ bei der Lebensmittelproduktion durch mit der Klimakrise verbundene Phänomene wie Dürren oder Pflanzenkrankheiten.

Dramatische Aussichten

Ohne Vorsorgemaßnahmen wie etwa das Züchten widerstandsfähigerer Pflanzen könnte die weltweite landwirtschaftliche Produktion bis 2050 um bis zu 30 Prozent zurückgehen, warnte zuletzt die Global Commission on Adaptation. Die 2018 von den Niederlanden gegründete Organisation befasst sich damit, wie die Folgen der Klimakrise durch Technologie, Planung und Investitionen gesteuert werden können.