Protestierende Studenten
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Neues Einbürgerungsrecht

Proteste in Indien weiten sich aus

In Indien dauern die gewaltsamen landesweiten Proteste gegen das neue Staatsbürgerschaftsrecht an. Nach schweren Zusammenstößen mit der Polizei an einer Universität in der Hauptstadt Neu Delhi kam es am Montag zu Solidaritätsdemonstrationen von Studenten im ganzen Land. Nach Angaben der Universität Jamia Millia Islamia waren dort am Sonntag mindestens 200 Menschen verletzt worden.

In mehreren Städten protestierten daraufhin am Montag Hunderte Studenten gegen die Polizei, darunter in Neu Delhi, Chennai, Bangalore und Lucknow. Dort versuchten Hunderte, offenbar mehrheitlich muslimische Demonstranten, eine Polizeistation zu stürmen, wie auf Fernsehbildern zu sehen war. Sie bewarfen Sicherheitskräfte mit Steinen, die sich hinter einer Mauer verschanzt hatten.

In Kolkata im Osten des Landes nahmen am Montag Tausende Menschen an einem Protestmarsch teil, zu dem die Regionalregierung aufgerufen hatte, die Modi äußerst kritisch gegenüber steht. Demonstranten setzten Reifen auf Bahnstrecken in Brand. Unterdessen haben mehrere indische Bundesstaaten angekündigt, das neue Gesetz nicht anzuwenden. Sie sehen darin einen Verstoß gegen die laizistische Verfassung des Landes.

Gesetz differenziert zwischen Religionen

Auslöser der Proteste ist ein vergangene Woche vom Oberhaus verabschiedetes Staatsbürgerschaftsgesetz. Es begünstigt Verfolgte religiöser Minderheiten aus den drei Nachbarstaaten – Christen, Hindus, Sikhs, Buddhisten, Jainas und Parsen –, die bis Ende 2014 illegal nach Indien eingereist sind. Indiens Premierminister Narendra Modi erklärte im Kurznachrichtendienst Twitter, dass das Gesetz das Leid vieler verfolgter Menschen lindern werde. Indien solle zum sicheren Hafen für verfolgte Minderheiten werden, so Modi.

Demonstranten
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In Kolkata rief die Regionalregierung zu Protesten auf

Muslime von Gesetz ausgeschlossen

Allerdings werden Angehörige des Islam von dem Gesetz ausgeschlossen – sie müssen weiterhin elf Jahre auf die Staatsbürgerschaft warten. Diese Verknüpfung der Staatsbürgerschaft mit religiösen Kriterien verstoße gegen säkulare Prinzipien Indiens, lautet die Kritik. Sonia Gandhi, Vorsitzende der oppositionellen Kongresspartei, sprach etwa von einem „Sieg engstirniger und fanatischer Kräfte über den Pluralismus Indiens“.

Der Regierung wurde mit Verweis auf die ausgewählten religiösen Minderheiten und Länder vorgeworfen, ein hindu-nationalistisches Motiv zu verfolgen. Ginge es der Regierung tatsächlich um Minderheitenschutz, hätte sie auch verfolgte muslimische Gruppen – etwa die Ahmadiyya in Pakistan, die Rohingya in Myanmar und Uiguren aus China – schützen müssen, so laut BBC eine weitere Kritik.

Proteste in Indien

In der indischen Hauptstadt Neu-Delhi wurden mehr als 100 Menschen bei Protesten verletzt.

Modi beschuldigte die oppositionelle Kongresspartei, die Unruhen anzustacheln. Diejenigen, die die Proteste schürten, seien an ihrer Kleidung wiederzuerkennen. Damit spielte er offenbar auf Muslime an.

Die Vereinten Nationen hatten in der vergangenen Woche Bedenken zu dem neuen Gesetz geäußert. Menschenrechtsgruppen und mehrere islamische Parteien wollen die Neuregelung vor dem obersten Gericht anfechten.

Assam als Protestherd

Im Osten des Landes, vor allem im Bundesstaat Assam, heizt ein anderer Aspekt die Proteste gegen das Gesetz an. Das Gebiet im Nordosten des Landes mit rund 32 Millionen Einwohnern gehört demografisch, sprachlich und religiös zu den komplexesten Regionen Indiens. Ein Drittel der Bevölkerung sind Musliminnen und Muslime, rund zwei Drittel Hindus. Zudem bewohnt eine Vielzahl an indigenen Völkern den Bundesstaat. Immer wieder kommt es zu Konflikten zwischen den einzelnen Gruppen.

Hintergrund ist dabei auch die starke Zuwanderung aus dem Nachbarstaat Bangladesch nach Assam. Die Bevölkerung fürchtet, dass diese sich aufgrund der neuen Staatsbürgerschaftsregeln noch steigern könnte. Die Migration ist in Assam seit Jahrzehnten ein politisches Dauerthema. Als regulatorische Maßnahme veröffentlichte die indische Regierung heuer im Sommer ein umstrittenes Staatsbürgerregister. Darin aufgenommen wurden nur Bewohnerinnen und Bewohner, die nachweislich schon vor 1971 – und damit der Unabhängigkeit Bangladeschs – ins Land gekommen sind.