Szene aus „Star Wars“
Lucasfilm Ltd.
„Star Wars“

Die Welt ist in Ordnung

Ein neuer „Star Wars“ ist da. Einmal mehr darf man nichts über den Inhalt schreiben. Nicht, weil Disney es verbietet – sondern weil die Fans von „Star Wars“ die strengsten Fans sind. Alles gilt ihnen als Spoiler, was über die Information hinausgeht, dass Männer und Frauen mitspielen. Nur über das „Phänomen Star Wars“ darf man räsonieren – und eine Empfehlung für den von J. J. Abrams inszenierten Film „Der Aufstieg Skywalkers“ aussprechen.

„Star Wars“, der Sternenhimmel, animiert, als schrieben wir 1977, gelbe, den Bildschirm hochwandernde Schrift in dicken Lettern, ein paar Erklärungen über irgendwelche Machtspielchen in der Sternenpolitwelt, ungefähr so spannend und leicht verständlich wie EU-Berichterstattung, dazu die Anfangsbombastmusik: So geht es los, jedes Mal aufs Neue, und wer jetzt noch kein Tränchen der Nostalgie im Auge hat, sollte das Kino verlassen – wegen Unwürdigkeit, am „Star Wars“-Kult teilzunehmen.

Denn – unwürdig ist in diesem Universum offenbar, wer die Filme der Reihe nach Maßstäben des Storytellings des 21. Jahrhunderts misst. Auf jeden Einwand über banale Dialoge, bruchstückhafte, erratische Charakterzeichnung oder Plausibilitätslücken selbst nach den Maßstäben der Reihe wird man barsch angeherrscht: „Alter, es ist Star Wars!“ Es geht also um etwas anderes.

Szene aus „Star Wars“
Lucasfilm Ltd.
Epische Kämpfe, hier im Bild: Daisy Ridley als Rey und Adam Driver als Kylo Ren/Ben Solo

George Lucas als Nostalgie-Störgerät

Der Maßstab ist nicht, ob hier innovatives, tiefgründiges Kino gezeigt wird, ob die Action atemberaubend und die Effekte umwerfend sind, auch nicht, ob neues Licht auf die Hintergründe der Jedi-Story geworfen wird. Eher im Gegenteil. Die entscheidende Frage lautet nach Jahrzehnten des nerdigen Hochamts: Stört oder unterstützt die neue Folge meine Nostalgie?

„Star Wars“-Gott George Lucas etwa störte die Nostalgie gegen Ende seines Engagements. Seine drei letzten Folgen „Episode I – Die dunkle Bedrohung“ (1999), „Episode II – Angriff der Klonkrieger“ (2002) und „Episode III – Die Rache der Sith“ (2005) waren uninteressante, bürokratisch-technisch anmutende Materialschlachten, ganz zu schweigen von der von Lucas verantworteten Animationsserie „Clone Wars“ (2008 bis 2014).

Zeter und Mordio

Dann kam Disney. Die Fans schrien Zeter und Mordio. Doch überraschenderweise war Disney mehr Lucas als Lucas selbst. Die Animationsgelddruckmaschine hat erkannt, dass Innovation hier nur so weit erwünscht ist, als man sie nicht bewusst als eine solche wahrnehmen darf. Natürlich sind die Animationen heute besser. Aber die Anmutung ist dieselbe wie 1977. Und – ACHTUNG SPOILER – ein paar übrig gebliebene Bilder der mittlerweile verstorbenen Original-Leia (Carrie Fisher) und Cameos von Original-Luke (Mark Hamill) und Original-Han-Solo (Harrison Ford) sind sich auch diesmal wieder ausgegangen.

Es sind liebe neue Wüstenfiguren dabei (das ist den Fans immer wichtig), und die alten Raumschiffe sind wieder im Einsatz. Chewie ist zottelig wie eh und je. Sprich: Nichts falsch gemacht, jeder der alten Fans kommt auf seine Kosten.

Szene aus „Star Wars“
Lucasfilm Ltd.
Animationen, als schrieben wir das Jahr 1977

Die Nostalgie-Maschinerie

Nostalgie dürfte sogar bei der Begeisterung der Jungen eine Rolle spielen: die Begeisterung der Nerd-Mamas und Nerd-Papas führt dazu, dass der „Star Wars“-Merchandise vor Weihnachten die Kassen klingeln lässt. Disney weiß, dass die Eltern die Weihnachtsgeschenke für die Kleinen kaufen und den Nachwuchs mit der eigenen Begeisterung anstecken wollen. Deshalb gibt es all die Spielfigurensets da draußen.

Also wachsen die Jungen heute zumindest genauso, wenn nicht noch viel „Star Wars“-euphorischer auf als ihre Eltern und Großeltern Ende der 70er, Anfang der 90er Jahre. Ganz abgesehen, dass „Shabby Chic“ gerade in ist, auch bei den Jungen, und „Star Wars“ mit seiner rostroten Wüsten-Widerstands-Ästhetik als die Umsetzung des „Shabby Chic“-Prinzips fürs Kino gilt.

Wenn es funktioniert, in Ostasien unter prekären Bedingungen billigst neue Möbeln zu bauen, diese dann auf alt zu trimmen und in europäischen Dekoshops teuer zu verkaufen, obwohl die Kunden dort wissen, dass sie auf den Arm genommen werden, wieso soll das dann bei Filmen nicht genauso funktionieren? Da schwingt das Versprechen der guten alten Zeit mit, vor den Sozialen Netzwerken, vor Onlineshopping, vor der Political Correctness, als die Autos noch keine Katalysatoren hatten und schwarz qualmten wie die Wüstenflitzer in „Star Wars“-Rennen.

So eigenschaftslos wie ein Holzsteckerl

Dazu kommt: Egal ob alter „Star Wars“-Fan oder neuer – man kann sich voll und ganz mit den Figuren identifizieren. Eigentlich mit allen. Für so etwas gibt es gemeinhin zwei Gründe: entweder weil die Charakterzeichnung so genial ist. Deshalb zum Beispiel ist man heute bei „Romeo und Julia“ noch genauso gefesselt wie zur Entstehungszeit. Oder weil die Charakterzeichnung so flach ist, dass sie für ein junges Mädchen aus den Townships von Johannesburg genauso funktioniert wie für den schnöseligen Sohn von Pariser Althipstern.

Wo noch nichts ist, kann man alles hineinlegen. Wenn ein Kind mit einem Holzsteckerl spielt, dann ist dieses so eigenschaftslos, dass es ein Zepter genauso sein kann wie ein Maschinengewehr. So funktionieren auch die Hauptcharaktere im „Star Wars“-Universum. Unter den Nebendarstellerinnen und Nebendarstellern wiederum gibt es Charaktere, die offenbar nur wegen eines einzigen Gesichtsausdrucks gecastet wurden.

Szene aus „Star Wars“
Lucasfilm Ltd.
Sehr herzig: Der neue Roboter

Lebende Emojis

Es gibt Menschen, die schauen grundsätzlich weise und gütig aus. Braucht es in einer Szene einen weisen und gütigen Gesichtsausdruck, dürfen sie kurz auftauchen, auch wenn sie sonst kaum in der Handlung vorkommen. Dann wiederum gibt es Gesichter mit einem grundsätzlich extrem besorgten Ausdruck. Auch die kommen hier immer wieder zum Einsatz. Sie sind Emojis in Menschen- oder Monstergestalt. Das entspricht durchaus dem Zeitgeist.

Star Wars: Eine Ära geht zu Ende

Ein Stück Filmgeschichte geht zu Ende. Mit „Star Wars – Der Aufstieg Skywalkers“ von J.J. Abrams endet die jüngste „Star Wars“-Trilogie im Kino – und damit die von George Lucas geborene Weltraumsaga.

In diesem Sinne gibt es im Fall der neunten Folge von „Star Wars“ als Fazit ein Grinsegesicht für alle Fans – und einen ratlos-indifferenten Smiley, so einen ohne Mund und mit riesigen Augen, für Cineasten. Wobei die meisten Cineasten bei „Star Wars“ alle Augen zudrücken und einfach nur Fans sind. Solange Chewie röhrt und Han Solo mit dem Millennium Falcon fliegt, ist die Welt noch in Ordnung.