Amoako Boafo, „Red Rose“ (2019)
Rubell Museum
Gefragt wie nie

„Black Power“ auf dem Kunstmarkt

Noch nie sind afrikanische und afroamerikanische Kunst so gefragt wie heute gewesen. Nicht nur US-Museen holen Versäumnisse der Vergangenheit nach, indem sie Arbeiten ab den 1960er Jahren erwerben. Erst jüngst stürzten sich auf der Kunstmesse Art Basel Miami Beach die Sammler auf Etablierte und Newcomer. Auch Kontroversen über politische Kunst brachten einen Anstieg der Preise mit sich.

Auf der Art Basel Miami Beach sorgte eine an die Wand geklebte Banane für einen viralen Hit. Unter der Sammlerschaft machte jedoch ein afrikanischer Künstler Furore, der bis vor Kurzem in Wien studiert hat. Der 1984 in Ghana geborene Maler Amoako Boafo überzeugte mit Porträts von schwarzen Persönlichkeiten, deren Malstil an Egon Schiele erinnert. „Wir haben bereits vor der Messe alles verkauft“, sagte seine Galeristin aus Chicago, die bei der Vernissage mit dem Notieren der Interessenten gar nicht mehr nachkam. Vor einem Jahr kosteten Boakos Werke noch einige hundert Euro, nun bis zu 45.000 Euro.

Der blitzartige Aufstieg des Newcomers rührt wohl auch daher, dass schwarze Kunstschaffende derzeit gefragt sind. Das Schlagwort der Stunde heißt „Diversity“, also „Vielfalt“. Maßgebliche Institutionen wie das Museum of Modern Art (MoMA) in New York erklären die Monopolstellung des alten weißen Künstlers für beendet. Forderungen nach einem breiteren kunsthistorischen Kanon existieren bereits seit den 1960er Jahren, aber nun hat die Stunde der diskriminierten Künstlerinnen, Queer-Artists und afroamerikanischer Kunst definitiv geschlagen. US-Museen kaufen seit einigen Jahren teuer nach, was sie lange links liegen ließen.

Amoako Boafo, „Hudson in a Baby Blue Suit“ (2019) und „Self in Gucci Jacket“ (2019)
Rubell Museum
Boafos „Hudson in a Baby Blue Suit“ (li.) und „Self in a Gucci Jacket“: Der in Ghana geborene Maler war einer der gefragtesten Künstler auf der Art Basel Miami Beach

Im Zuge seines 450 Millionen Dollar teuren Ausbaus hat etwa das MoMA seine Schausammlung reformiert. Neben Picassos Hauptwerk „Les Demoiselles d’Avignon“ hängt nun Faith Ringgolds Darstellung blutiger Rassenunruhen aus dem Jahr 1967. Die 1930 in Harlem geborene Künstlerin war damals eine Mitstreiterin der Black Arts Movement, einer Bewegung in Kunst, Musik, Theater und Dichtung, die afroamerikanische Identität und Befreiung thematisierte. In Miami hingen jetzt Wandteppiche Ringgolds am Messestand einer Londoner Galerie. Die Serie „Slave Rape“ hat Ringgold 1972 in der traditionellen Quilttechnik genäht. Sie stellte darin sich selbst und ihre beiden Töchter als nackte Sklavinnen dar.

Ein Schiele aus Ghana, ein Klimt aus Los Angeles

Zu den zeitgenössischen Hinguckern der Art Basel Miami Beach zählten die X-Large-Gemälde von Kehinde Wiley. Der kalifornische Künstler malt seine Figuren gerne eingebettet in Ornamente wie einst Gustav Klimt. Der 42-jährige Künstler durfte letztes Jahr Michelle und Barack Obama porträtieren, wobei er den Ex-Präsidenten inmitten von grünen Blättern und Blumen zeigte. Wileys monumentalstes Gemälde besitzt jedoch das Sammlerpaar Mera und Don Rubell: In ihrem neuen Privatmuseum, das in Miami parallel zur Kunstmesse eröffnete, hängt Wileys mehr als sieben mal drei Meter großer Männerakt „Sleep“.

Faith Ringgold. „American People Series #20: Die“, 1967
The Museum of Modern Art, New York
Ringgolds 1967 entstandenes Werk „American People Series #20: Die“ ist eine Darstellung der blutigen Rassenunruhen. Im MoMA New York hängt es neben einem bekannten Werk Picassos.

Die Rubells haben in fünf Jahrzehnten mehr als 7.000 Werke erworben. Ihre Sammlung spiegelt auch den Aufstieg afroamerikanischer Künstler von Andy Warhols Freund Jean-Michael Basquiat bis zu gefeierten Gegenwartskünstlerinnen wie Kara Walker wider. Bereits seit 2009 tourt die Wanderausstellung „30 Americans“ mit schwarzen Positionen aus der Sammlung quer durch die USA. In der Galerie, die jeweils dem aktuellen „Artist in Residence“ gewidmet ist, können die Porträts von Rubell-Stipendiaten Boafo bewundert werden.

Goldener Löwe für Black Art

Im März 2019 verstarb der nigerianische Ausstellungsmacher Okwui Enwezor, der sehr viel für den Aufstieg von Black Artists geleistet hat. Die größte Aufmerksamkeit fand Enwezor mit seiner Künstlerauswahl für die Großausstellungen Documenta 11 in Kassel 2002 und die Biennale von Venedig 2015. Während sich der gesellschaftskritische Kurator vom übermächtigen Kunstmarkt absetzen wollte und etwa auf der Biennale in voller Länge Karl Marx’ Hauptwerk „Das Kapital“ verlesen ließ, hat sein Engagement doch maßgeblich am Wertanstieg mitgewirkt.

Kehinde Wiley, Sleep, 2008
Kehinde Wiley
„Sleep“: Wileys monumentales Werk hängt im Privatmuseum des US-Sammlerpaares Rubell

Wie selbstverständlich Vielfalt sein kann, bewies US-Kurator Ralph Rugoff bei der Biennale Venedig 2019. Rugoff zeigte erstmals mehr Frauen als Männer und rückte gekonnt afrikanische und afroamerikanische Positionen ins Rampenlicht. Zu den Highlights zählten die riesigen Schwarz-Weiß-Frauenporträts der südafrikanischen Fotografin Zanele Muholi. Weibliche Figuren dominieren auch die Szenen nigerianischer Diaspora auf den Ölbildern von Njideka Akunyili Crosby. Den Goldenen Löwen gewann Arthur Jafa für seine radikale Videoarbeit „The White Album“. Dieser gekonnte Zusammenschnitt aus Found-Footage-Material rassistischer Gewalt und Samples aus Musikvideos und Filmen wirft Fragen zum Weißsein auf.

Skandal um ein Ölbild

Wer darf welches Material verwenden? Diese Frage wurde 2017 in New York zur Kontroverse, als Dana Schutz bei der Biennale im Whitney Museum ihr Gemälde „Open Casket“ präsentierte. Als Vorlage für das Bild diente das Foto der Leiche des 1955 gelynchten Teenagers Emmett Till. Seine Ermordung wurde zum Auslöser der Bürgerrechtsbewegung. Bald hagelte es Kritik an Schutz: Wie konnte eine weiße Künstlerin eine Darstellung von schwarzem Leid ausbeuten? Als nicht nur das Abhängen dieser „kulturellen Aneignung“, sondern sogar die Zerstörung des Bildes gefordert wurde, zog die Debatte immer größere Kreise.

Dana Schutz, „Open Casket (2016)“
Collection of the artist; courtesy Petzel, New York
Schutz sorgte 2017 mit „Open Casket“ für Kontroversen

Die Künstlerin zeigte sich vom Shitstorm überrascht und erklärte, sie habe doch bloß eine „Hommage“ auf den verstümmelt dargestellten Toten schaffen wollen. Ihre stärkste Kritikerin, die Künstlerin Hannah Black, pochte jedoch auf eine Privilegierung von Personen mit „Black Experience“, also der Erfahrung rassistischer Diskriminierung. Laut dem US-Künstler Kerry James Marshall haben sich afroamerikanische Künstler viel zu lange in die Abstraktion geflüchtet, um nicht auf ihre Hautfarbe reduziert zu werden. Der aktuelle Boom an Porträtkunst und figurativer (Historien-)Malerei antworte auch auf den Mangel schwarzer Körper in der Kunstgeschichte.

Kerry James Marshall, Untitled, 1998-1999
Kerry James Marshall
„Untitled“ von Kerry James Marshall: Afroamerikanische Künstler hätten sich viel zu lange in die Abstraktion geflüchtet, kritisierte der US-amerikanische Maler

Der schwarzen Gemeinschaft komme ein Exklusivanspruch auf die Verwertung bestimmter ikonischer, historischer Symbole zu, argumentierte Black. Womit die Diskussion wieder in die monetäre Verwertung führte: Es geht eben nicht nur um Ethik und politische Korrektheit, sondern auch darum, wer mit der Darstellung afroamerikanischen Leids verdient und Karriere macht. Angesichts des „Diversity“-Trends ist der Kuchen am Kunstmarkt auf alle Fälle größer geworden.