Norbert Hofer und Pamela Rendi-Wagner
APA/Roland Schlager
Reaktionen

Opposition mit scharfer Kritik

Das am Donnerstag vorgestellte Regierungsübereinkommen von ÖVP und Grünen ist auf wenig Gegenliebe der Opposition gestoßen. Die SPÖ vermisst eine „soziale Handschrift“, die FPÖ stößt sich an der Aufteilung der Ministerien. Etliche Umweltschutzorganisationen werten die Pläne der beiden Parteien durchwegs positiv.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner kündigte eine genaue Detailprüfung des Regierungsprogramms von Sebastian Kurz (ÖVP) und Werner Kogler (Die Grünen) an. Schon jetzt sei erkennbar, dass in dem vorliegenden Regierungsprogramm die soziale Handschrift weitestgehend fehlt, so Rendi-Wagner in einer Aussendung. So sei beim Thema Armutsbekämpfung wenig übriggeblieben: „Von Armut bedrohte Kinder haben kaum etwas von den türkis-grünen Plänen zum Familienbonus, während Besserverdiener profitieren.“

„Es ist ein ÖVP-Programm mit grüner Tarnfarbe“, erweiterte Rendi-Wagner bei einer Pressekonferenz am Freitag ihre Kritik. Was ÖVP und Grüne vorhätten, sei „ein Wagnis für den sozialen Ausgleich in Österreich“. Beim Klimaschutz wiederum erkennt die SPÖ-Chefin zwar gute Überschriften und Absichten. Es sei allerdings alles sehr vage, nicht mit Finanzierungen und Zeitleisten hinterlegt.

„Fortsetzung der Kurz-Großspender-Politik“

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch konstatierte, dass sich die ÖVP in „beinahe allen relevanten Bereichen“ durchgesetzt habe. Und der stellvertretende Klubvorsitzende Jörg Leichtfried kritisierte „die Fortsetzung der Kurz-Großspender-Politik“.

Er bemängelte auch, dass im Sicherheitsbereich so viel Macht bei der ÖVP konzentriert sei. Mit den Freiheitlichen könnten die Sozialdemokraten im Bundesrat die Länder betreffende Gesetze blockieren. Das werde man im Fall der Fälle auch tun, so Leichtfried.

FPÖ-Kritik an Lunacek

Auch FPÖ-Chef Norbert Hofer empfand schon vor der Präsentation am Donnerstag die „Machtkonzentration bei Nachrichtendiensten besorgniserregend“. Anders als unter der Regierung mit der FPÖ sei keine Verschränkung der Regierungsparteien durch ein Staatssekretariat vorgesehen. Hofer erwartete sich zudem eine Entschuldigung von den Grünen wegen der „heftigen und teils untergriffigen Attacken der Grünen gegen die FPÖ im Zusammenhang mit den Projekten Kopftuchverbot, Sicherungshaft und die Einrichtung von Rückkehrzentren“.

FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl schoss sich auf die Besetzung von Ulrike Lunacek ein. Die „Wahlverliererin von 2017“ werde mit dem Staatssekretariat für Kunst und Kultur bedacht. Das sei „Postenschacher in Reinkultur“, da sie keine Erfahrung im Fach habe.

NEOS kritisierte, ÖVP und Grüne seien zwar konkret bei der Fortsetzung des Kurses der letzten Regierung geworden, aber „sehr vage bei Zukunftsthemen“ wie Umwelt und Bildung. „Das türkis-blaue Erbe ist klar herauszulesen“, so Parteichefin Beate Meinl-Reisinger in einer Aussendung. Positiv hob sie das grundsätzliche Bekenntnis zu einem Informationsfreiheitsgesetz und zu einer konsolidierten Budgetpolitik hervor.

Reaktionen der Opposition zum Regierungsprogramm

Die Oppositionsparteien reagieren unterschiedlich auf das Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen, besonders die FPÖ zeigt sich nach der geplatzten Koalition kritisch.

ÖGB und IV wohlwollend

Wohlwollend fiel die erste Einschätzung der Vizepräsidentin des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB), Korinna Schumann, aus. Bei einer ersten Übersicht falle auf, dass im Vergleich zur Vorgängerregierung zahlreiche Verbesserungen im Koalitionsübereinkommen enthalten sind, so die Gewerkschafterin. Konkret hob sie die Ausnahme von Klima- und Zukunftsinvestitionen aus dem bestehenden Schuldenziel hervor. Kritik übte sie an geplanten Steuergeschenken für Konzerne.

Am Freitag legte der ÖGB noch nach und bemängelte, dass die Finanzierung der einzelnen Maßnahmen auf den ersten Blick völlig offenbleibe. In einigen Bereichen komme es zu einer „Fortschreibung von türkis-blauen Projekten“. Unternehmer seien die Gewinner des Regierungsprogramms, kritisierte auch die Arbeiterkammer Oberösterreich.

Georg Kapsch, Präsident der Industriellenvereinigung (IV), sah hingegen keinen Grund für Kritik. Er begrüßte „einige gute und richtige Ansätze“. Nun werde es auf die konkrete Umsetzung ankommen. Es sei erfreulich, dass Ökologie und Ökonomie im Regierungsprogramm keinen Widerspruch darstellten.

Landwirte freuen sich über Köstinger

Die Landwirtschaftskammer zeigte sich erfreut, dass Elisabeth Köstinger wieder Landwirtschaftsministerin wird. Im Regierungsprogramm sieht Landwirtschaftskammerpräsident Josef Moosbrugger „ein klares Bekenntnis für eine stabile Finanzierung der EU-Agrarpolitik (…)“. Er begrüßt auch die verpflichtende Herkunftsbezeichnung bei Milch, Fleisch und Eiern bei verarbeiteten Produkten und im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung.

Der Handelsverband zeigte sich erfreut über die „Ambition, die Steuerlast zu senken und eine Abgabenquote von 40 Prozent zu erreichen“. Zufrieden zeigte sich auch die Tourismusbranche. Die Österreichische Hoteliervereinigung begrüßte die „Reparatur“ der Abschreibungsdauer.

Freude bei Umwelt-NGOs

Lorbeeren für die klimapolitischen Ansätze von ÖVP und Grünen gab es auch von Umweltschutzorganisationen. Global 2000 bewertete die Grundsatzeinigung für die nächste Legislaturperiode als Chance. Allerdings fehlten „noch wichtige Konkretisierungen und detaillierte Zeitpläne zur Umsetzung vieler Maßnahmen“.

Inhalt des Regierungsprogramms

Das am Donnerstag vorgestellte Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen umfasst 326 Seiten. Die Parteien erzielten in den vergangenen Wochen Einigungen bei den Themen Asyl, Integration, Transparenz, Soziales und Umwelt.

Der WWF sah in vielen Bereichen eine „ökologische Trendwende, wenn die dafür notwendigen Maßnahmen rasch und ambitioniert umgesetzt werden“. Als einen „Riesenschritt für den Klima- und Umweltschutz“ bezeichnete Greenpeace-Geschäftsführer Alexander Egit das Programm: „Sowohl die geplante Klimaneutralität Österreichs bis 2040 als auch das schrittweise Auslaufen von Öl-, Kohle- und Gasheizungen in der Raumwärme sind für Greenpeace echte Meilensteine.“ Allerdings kritisierte er in der ZIB2, dass eine ökosoziale Steuerreform verschleppt werde. Der Umweltdachverband will der künftigen Regierung einen „Vertrauensvorschuss“ geben.

Kritik an Sicherungshaft

Kritik am Regierungspaket kam auch von heimischen NGOs. Volkshilfe-Direktor Erich Fenninger hält die Maßnahmen zur Bekämpfung der Kinderarmut für unzureichend – und ist „besonders schockiert“, dass die „menschenrechtswidrige Sicherungshaft“ eingeführt werden soll. Von den geplanten Maßnahmen gegen die Kinderarmut würden vor allem Besserverdienende profitieren, bemängelte Fenninger: Die Reduktion der Einkommensteuer bringe vielen armutsbetroffenen Familien nichts – die Erhöhung des Familienbonus komme in vollem Ausmaß auch nur Familien mit höheren Einkommen zugute.

Der Österreichische Frauenring begrüßte zwar, dass mehr als die Hälfte der Regierungsmitglieder weiblich sein wird. Aber in einer Aussendung wurde kritisiert, dass es kein eigenständiges Frauenministerium gibt – die Frauenagenden werden von Integrationsministerin Susanne Raab wahrgenommen. Man hoffe aber, dass die neue Regierung die Kürzung der Förderungen für Frauenorganisationen zurücknehme.

Der Konsumentenschützer Peter Kolba kritisierte das Kapitel Konsumentenschutz im Regierungsprogramm als „weitgehend ambitionslos“: „Kurz vertritt die Wirtschaft und hat alles entschärft, wofür Anschober (Anm. Rudolf, Grüne, möglicher Sozial- und Wirtschaftsminister) kämpfen könnte.“

Keine Kontrolle bei Transparenzregeln

Das Forum Informationsfreiheit beurteilt das Koalitionsprogramm differenziert. Generalsekretär Mathias Huter begrüßt etwa das Bürgerrecht auf Informationszugang, er kritisiert aber, dass der Entwurf hinter internationalen Standards zurückbleibe. Er vermisse eine wirksame Kontrolle der Transparenzregeln.

Die Österreichische Hochschüler_innenschaft (ÖH) fand nur einen guten Punkt im Koalitionspakt – das österreichweite „Öffi“-Ticket. Die Studierendenvertreter kritisierten, dass die Studienbeiträge bleiben, die Zugangsbeschränkungen weiter ausgebaut und das Studienrecht verschärft werden soll. Wenn die Rechte Studierender beschnitten würden – etwa mit Streichung der freien Zeiteinteilung im Studium –, müsse die Regierung „mit massivem Gegenwind rechnen“, hieß es in einer Aussendung.