Abstimmung beim Bundeskongress der Grünen
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Delegierte trauen sich

Grüner Kongress stimmt klar für Koalition

Mit deutlicher Mehrheit hat der grüne Bundeskongress am Samstagnachmittag in Salzburg den Regierungspakt mit der Volkspartei abgesegnet. Damit ist der Weg für die Bildung einer türkis-grünen Regierung am Dienstag frei. „Das, was wir hier leisten, ist Pionierarbeit“, hatte Grünen-Chef Werner Kogler in einer emotionalen Rede den Mut zur Verantwortung beschworen. 93,18 Prozent der Delegierten stimmten mit Ja für den Regierungspakt.

Mit viel gegenseitigem Respekt haben die Grünen auf ihrem Bundeskongress in Salzburg die Frage eines Eintritts in die Regierung diskutiert. Die mit Spannung erwartete Generaldebatte fiel auch auf Seite der Gegner des Koalitionsvertrags auffallend zivil und wertschätzend aus. Klares Nein kam von Teilen der Grünen Jugend und auch vom sogenannten 10. Bundesland, den Vertretern der ethnischen Minderheiten.

Am Ende stimmten 246 Delegierte mit Ja, 15 mit Nein, bei drei Enthaltungen für den Koalitionspakt, für den Grünen-Chef Werner Kogler in seiner launigen, langen und emotionalen Rede geworben hatte. Die Zustimmung für Programm und Pakt lag damit bei 93,18 Prozent.

„Ich werde tun, was ich kann“, mit diesen Worten reagierte Kogler in einem ersten Statement auf das in der Deutlichkeit doch überraschende Ergebnis.

Bundessprecher Werner Kogler stimmt beim Bundeskongress der Grünen ab
APA/Barbara Gindl
Bei beiden zentralen Abstimmungen fiel das Ergebnis deutlicher aus als erwartet.

Klares Ja auch zu grünem Regierungsteam

Kogler (Vizekanzler), Leonore Gewessler (Umwelt, Infrastruktur), Alma Zadic (Justiz), Rudolf Anschober (Soziales), Ulrike Lunacek (Staatssekretärin für Kunst und Kultur) wurden als grüne Mitglieder eines künftigen ÖVP-Grünen-Kabinetts in einer zweiten Abstimmungsrunde deutlich bestätigt.

99,25 Prozent der Delegierten stimmten für das grüne Regierungsteam bei einer Nein-Stimme und einer Enthaltung. Zumindest an diesem Punkt erhielt Kogler das von ihm befürchtete „nordkoreanische Ergebnis“.

Bundeskongress der Grünen
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99,25 Prozent Zustimmung zum grünen Regierungsteam. Am Ende wollte Kogler nicht mehr große Reden schwingen.

Zivile Generaldebatte

In der Generaldebatte hatten die Befürworter und Pragmatiker deutlich Oberwasser, vertreten etwa durch Befürworter wie den Vorarlberger Johannes Rauch, der die Delegierten zu Mut und Geschlossenheit aufgerufen hatte. Auch die Kritiker zollten der grünen Debattenkultur und den Verhandlerinnen und Verhandlern Respekt. „Ich weiß, es ist ein Wagnis, aber ich bin dafür, wir gehen das Wagnis ein und rücken keinen Millimeter von unseren Werten ab“, brachte die grüne Menschenrechtsexpertin Alev Korun die Haltung vieler auf den Punkt, die dem Pakt mit einem „Ja, aber“ zustimmen wollten.

Deutliche Kritik kam von Flora Lebloch von der Grünen Jugend: „Das ist ein neoliberales Regierungsprogramm. Das vorliegende Programm bringt keine ökosoziale Wende.“ ÖVP-Chef Sebastian Kurz sei „ein autoritärer Schwindler“; wer hier mitmache, der treibe den Rechtsruck voran: „Es reicht nicht aus, dass wir die FPÖ verhindert haben. Wenn das größte Argument ist, dass keine rechtsextreme Partei regiert, dann sieht man, wie weit wir gekommen sind. Wir brauchen linke Mehrheiten.“

Monika Vana, einst überzeugte Gegnerin eines schwarz-grünen Paktes, argumentierte mit der europäischen Dimension der jetzigen Entscheidung. Sie würde nie eine Freundin dieser Regierung werden, so Vana, die aber die Vorbildwirkung dieses sehr proeuropäischen Programms beschwor, „wo wir jeden Absatz zäh verhandelt haben“.

„Was wir tun, ist von europäischer Bedeutung“

„Das, was wir hier tun, ist von europäischer Bedeutung.“ Hemdsärmelig und mit dem Versprechen, „weiterzudiskutieren, egal was heute hier rauskommt“, präsentierte sich Kogler zu Beginn seiner Rede. Man habe es sich nicht leicht gemacht, „auch wenn uns manche anderes unterstellen“, argumentierte Kogler. Nach dem „Ibiza-Video“ hätten alle in Österreich die Pflicht, alles zu tun, damit nicht so etwas nochmals „in diesem Land passieren“ könne.

Rede von Bundessprecher Werner Kogler

Grünen-Bundessprecher Werner Kogler betonte am Samstag, dass man mit der ÖVP „Pionierarbeit“ leisten wolle. Er äußerte aber auch kritische Worte zu den Koalitionsverhandlungen.

Man habe lange sondiert und sich bewusst aktiv in diesen Prozess begeben. Der Grund für die Beteiligung? Die hohe Zustimmung für die Grünen. Mit fast 14 Prozent der Stimmen könne man eben „nicht auf der Flucht“ sein, erinnerte Kogler an einen eigenen Spruch von sich nach der Sommerpause des Vorjahres.

„Der Weg ist ein Wagnis“

Der Weg sei ein Risiko und ein Wagnis, „aber unser Weg ist eine Pionierarbeit“, so Kogler. Keine andere Partei in Österreich habe neben den Grünen die Kraft für dieses Wagnis, so Kogler mit Blick auf den Zustand der SPÖ: „Und ich bin ein Kind der Kreisky-Zeit.“

„Wir stehen hier wegen ‚Ibiza‘. Und nur weil zwei von denen jetzt weg sind, bleibt es ja dieselbe Partei. Und die ist genetisch für so was disponiert“, so Kogler, der aber gleich danach erinnerte, dass er auch zu bestimmten Mitgliedern der FPÖ eine gute Gesprächsbasis habe.

Bundessprecher Werner Kogler beim Bundeskongress der Grünen
APA/Barbara Gindl
Kogler rief die Grünen zu Mut zu einer neuen Koalition auf. Fast durchgehend in launigem Ton.

„Wir brauchen Haltung und Gesinnung – und es geht um Realpolitik und Verantwortung.“ Mit Bezug auf Max Weber verwies Kogler auf die „Verantwortung des Handelns“. Wenn nichts mehr selbstverständlich sei, müsse man Farbe bekennen.

Kogler argumentierte am Ende damit, dass die grüne Regierungsbeteiligung eigentlich alternativlos sei: „Es macht einen Unterschied, ob Türkis mit Grün regiert oder mit Blau“, so Kogler.

„Sorry for this“

Kogler verteidigte die Steuerreform – und verwies dabei auf die grünen Beiträge, etwa die „Besteuerung der großen Stinker – sorry for this“. Beim Klimaprogramm werde nachgeholt, wo man bisher versagt habe und im „Tiefschlaf“ gelegen habe. „Wir werden kämpfen“, so Kogler: „Und das Klimapaket werden wir uns nicht wegnehmen lassen, schon gar nicht von denen, die sich damit gar nicht auskennen.“

Grüner Kongress stimmt klar für Koalition

Mit deutlicher Mehrheit hat der grüne Bundeskongress am Samstagnachmittag in Salzburg den Regierungspakt mit der Volkspartei abgesegnet.

Kogler verwies auch auf Maßnahmen im Sozialbereich, etwa den Lückenschluss beim Unterhalt. Oder die Maßnahmen für die Gleichstellung zwischen Mann und Frau. Kinderbetreuungsplätze würden im Schnelltempo ausgebaut. Mit den 100 definierten „Problemschulen“ leiste man auch Pionierarbeit – auch im Bereich der Integration.

„Egal ob Apetlon oder Aleppo“

Beim Thema Integration verwies Kogler darauf, dass die Fluchtursachenbekämpfung ausgebaut werde. Gerade bei bilateralen Maßnahmen werde man deutlich mehr Geld ausgeben. Kogler gestand, dass man sich nicht in allen Punkten bei der Integration durchgesetzt habe. Aber wenn jemand mal anerkannt sei, dann würden mehr Förderungsmaßnahmen greifen. Bei der Integration seien beide Seiten am Zug, auch wenn es ein bekannter ÖVP-Spruch des „Fördern und Fordern“ sei. Am Ende wolle man in eine Gesellschaft, wo es egal sei, wo jemand herkomme, „sondern wo es entscheidend ist, wo jemand hinwill“. Egal ob man aus Apetlon komme oder aus Aleppo.

Kogler lobte viele, die an dem Programm mitgeschrieben hätten, etwa Michel Reimon beim Europa-Kapitel oder Rudi Anschober im Sozial- und Integrationsbereich.

Die Zeit sei reif für eine Beteiligung der Grünen, „und wir sind reif für diese Zeit“, so Kogler, der für seine Rede stehende Ovationen erhielt. „Nichts“, so seine Erkenntnis knapp davor, „sei um 100 Prozent zu haben.“

„Haben 30 Grauslichkeiten rausverhandelt“

„Wir haben 30 Grauslichkeiten aus diesem Programm herausverhandelt“, erinnerte der künftige Sozialminister Rudi Anschober in seinem Statement. Man werde jedenfalls nicht die eigene Haltung an der Garderobe abgeben. Leonore Gewessler rief in ihrer Darstellung zum Klimakapitel auf, dass man das gesamte Projekt nur gemeinsam stemmen könne, aber jetzt den Mut für die Regierungsbeteiligung aufbringen solle.

Bereits seit dem Start am Samstagvormittag war klar, dass die meisten hier ihre Positionen eingenommen hatten. Das machte die knapp zweistündige Generaldebatte am Nachmittag deutlich. Viele der Ja-s der Grünen waren Ja-aber-Stimmen. Nach Jahrzehnten der grünen Grundsatzdebatten zwischen „Realos“ und „Fundis“ sind die österreichischen Grünen seit diesem Samstag eindeutig auf der Seite der pragmatischen Realos gelandet.