Abstimmung beim Bundeskongress der Grünen
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Trotz Kritik und Bedenken

Grüner Rückenwind für Pakt mit Türkis

Über 93 Prozent der Delegierten haben beim Bundeskongress der Grünen am Samstag für den Koalitionspakt mit der ÖVP gestimmt. Auch wenn das unerwartet deutliche Ergebnis über Bedenken und Kritik hinwegtäuscht – es bedeutet viel Rückenwind für das fast einstimmig befürwortete Regierungsteam der Grünen um den Parteichef und künftigen Vizekanzler Werner Kogler.

Am Ende stimmten 246 Delegierte mit Ja, 15 mit Nein, bei drei Enthaltungen für den Pakt, für den Kogler in seiner launigen, langen und emotionalen Rede geworben hatte. 93,18 Prozent der Stimmberechtigten waren es letztlich, die die letzte Hürde zu einer Koalition zwischen ÖVP und Grünen abbauten – weit mehr als erwartet, schließlich war im Vorfeld einiges an Befürchtungen hinsichtlich der Zusammenarbeit mit der ÖVP zu vernehmen gewesen.

„Ich werde tun, was ich kann“, reagierte Kogler in einem ersten Statement nach der Abstimmung. „Das, was wir hier leisten, ist Pionierarbeit“, sagte Kogler vor der Generaldebatte, die dem Votum vorausging. Diese fiel auch auf Seite der Gegner des Koalitionsvertrags auffallend zivil und wertschätzend aus. Ein klares Nein äußerten Teile der Grünen Jugend und auch Vertreter der ethnischen Minderheiten.

Regierungsmitglieder auf der Bühne beim Bundeskongress der Grünen
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Mit 99,25 Prozent bestätigt: Starker parteiinterner Rückhalt für das künftige Regierungsteam der Grünen

Klares Ja auch zu grünem Regierungsteam

Auch kann das künftige grüne Regierungsteam derzeit auf den parteiinternen Rückhalt bauen: Kogler (Vizekanzler), Leonore Gewessler (Umwelt, Infrastruktur), Alma Zadic (Justiz), Rudolf Anschober (Soziales), Ulrike Lunacek (Staatssekretärin für Kunst und Kultur) wurden als grüne Mitglieder eines künftigen ÖVP-Grünen-Kabinetts in einer zweiten Abstimmungsrunde deutlich bestätigt. 99,25 Prozent der Delegierten stimmten für das grüne Regierungsteam bei einer Nein-Stimme und einer Enthaltung.

Maurer: „Kritik wurde gehört, Ergebnis ist aber eindeutig“

Die stellvertretende Klubobfrau (und wohl baldige Klubchefin) der Grünen, Sigrid Maurer, sprach im Interview mit der ZIB2 von einer breiten Basis der Zustimmung. „Die Kritik wurde gehört, aber das Ergebnis ist eindeutig“, so Maurer. Grüne und ÖVP seinen eben sehr unterschiedlich – sie sehe auch „kritische Punkte im Übereinkommen“, so Maurer, aber nur weil man mit der ÖVP koaliere, gebe man seine Positionen nicht auf.

Grünen-Vizeklubchefin Maurer im ZIB2-Interview

Maurer äußert sich im ZIB2-Interview zur großen Zustimmung der Delegierten zum Koalitionspakt, aber auch zur breiten Kritik einiger Delegierter.

In der Generaldebatte hatten die Befürworter und Pragmatiker deutlich Oberwasser, vertreten etwa durch Befürworter wie den Vorarlberger Johannes Rauch, der die Delegierten zu Mut und Geschlossenheit aufgerufen hatte. Auch die Kritiker zollten der grünen Debattenkultur und den Verhandlerinnen und Verhandlern Respekt. „Ich weiß, es ist ein Wagnis, aber ich bin dafür, wir gehen das Wagnis ein und rücken keinen Millimeter von unseren Werten ab“, brachte die grüne Menschenrechtsexpertin Alev Korun die Haltung vieler auf den Punkt, die dem Pakt mit einem „Ja, aber“ zustimmen wollten.

Bundessprecher Werner Kogler stimmt beim Bundeskongress der Grünen ab
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Bei beiden zentralen Abstimmungen fiel das Ergebnis deutlicher aus als erwartet.

Gegenwind von Grüner Jugend

Deutliche Kritik kam von Flora Lebloch von der Grünen Jugend: „Das ist ein neoliberales Regierungsprogramm. Das vorliegende Programm bringt keine ökosoziale Wende.“ Lebloch weiter: „Die ÖVP wird vor allem beim Klima massiv bremsen“, Kurz bezeichnete sie als „Blender“ und als „autoritären Machtpolitiker“.

Es reichte nicht aus, dass man „die FPÖ verhindert“ habe. „Wenn das größte Argument ist, dass keine rechtsextreme Partei regiert, dann sieht man, wie weit wir gekommen sind. Wir brauchen linke Mehrheiten“, so Lebloch.

Monika Vana, einst überzeugte Gegnerin eines Pakts mit der ÖVP, argumentierte mit der europäischen Dimension der jetzigen Entscheidung. Sie würde nie eine Freundin dieser Regierung werden, so Vana, die aber die Vorbildwirkung dieses sehr proeuropäischen Programms beschwor, „wo wir jeden Absatz zäh verhandelt haben“.

Bundeskongress der Grünen
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99,25 Prozent Zustimmung zum grünen Regierungsteam. Am Ende wollte Kogler nicht mehr große Reden schwingen.

Grüne „keine Froschmörder“

Die Abgeordnete Eva Blimlinger machte Werbung für den Pakt. „Natürlich ist es nicht genug, aber es ist das Bestmögliche“, verteidigte sie das Programm. Scherzhaft sagte sie, es sei auch nicht die Art der Grünen, „die Krot zu schlucken“, denn die Grünen seien eine tierfreundliche Partei und „keine Froschmörder“. Ingrid Felipe, Landeshauptmann-Stellvertreterin in Tirol, brach eine Lanze für die grünen Spitzen, die sich das Regieren antun. „Es ist viel anstrengender zu regieren als in der Opposition zu sitzen“, sagte sie.

„Großes Wagnis“

„Das, was wir hier tun, ist von europäischer Bedeutung“, schwor Kogler des Delegierten auf die Abstimmung ein. Man habe es sich nicht leicht gemacht, „auch wenn uns manche anderes unterstellen“, argumentierte Kogler. Nach dem „Ibiza-Video“ hätten alle in Österreich die Pflicht, alles zu tun, damit nicht so etwas nochmals „in diesem Land passieren“ könne.

Rede von Bundessprecher Werner Kogler

Grünen-Bundessprecher Werner Kogler betonte am Samstag, dass man mit der ÖVP „Pionierarbeit“ leisten wolle. Er äußerte aber auch kritische Worte zu den Koalitionsverhandlungen.

Man habe lange sondiert und sich bewusst aktiv in diesen Prozess begeben. Der Grund für die Beteiligung? Die hohe Zustimmung für die Grünen. Mit fast 14 Prozent der Stimmen könne man eben „nicht auf der Flucht“ sein, erinnerte Kogler an einen eigenen Spruch von sich nach der Sommerpause des Vorjahres. Keine andere Partei in Österreich habe neben den Grünen die Kraft für dieses „große Wagnis“, so Kogler mit Blick auf den Zustand der SPÖ: „Und ich bin ein Kind der Kreisky-Zeit.“

Bundessprecher Werner Kogler beim Bundeskongress der Grünen
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Kogler rief die Grünen zu Mut zu einer neuen Koalition auf. Fast durchgehend in launigem Ton.

„Haben 30 Grauslichkeiten rausverhandelt“

„Wir haben 30 Grauslichkeiten aus diesem Programm herausverhandelt“, erinnerte der künftige Sozialminister Rudi Anschober in seinem Statement. Man werde jedenfalls nicht die eigene Haltung an der Garderobe abgeben. Die künftige Umweltministerin Gewessler rief in ihrer Darstellung zum Klimakapitel auf, dass man das gesamte Projekt nur gemeinsam stemmen könne, aber jetzt den Mut für die Regierungsbeteiligung aufbringen solle.

Bereits seit dem Start des Kongresses am Samstagvormittag war klar, dass die meisten hier ihre Positionen eingenommen hatten. Das machte die knapp zweistündige Generaldebatte am Nachmittag deutlich. Viele der Ja-Stimmen der Grünen waren „Ja, aber“-Stimmen. Nach Jahrzehnten der grünen Grundsatzdebatten zwischen „Realos“ und „Fundis“ sind die österreichischen Grünen damit eindeutig auf der Seite der pragmatischen Realos gelandet.