US-Soldat und Lkw im Hintergrund
AP/Susannah George
Votum im Parlament

Irak fordert Abzug aller US-Truppen

Das Parlament im Irak hat überraschend für einen Abzug der rund 5.000 im Land stationierten US-Soldaten gestimmt. Eine Mehrheit der Abgeordneten stimmte am Sonntag für eine entsprechende Resolution. Diese fordert die Regierung dazu auf, den Abzug aller ausländischen Truppen im Land einzuleiten, die Teil des US-geführten Bündnisses zum Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sind.

Das Parlament forderte auch, dass ausländische Truppen den irakischen Luftraum künftig nicht mehr nutzen dürften. Der Beschluss des Parlaments verpflichtet die Regierung des geschäftsführenden Ministerpräsidenten Adel Abdel Mahdi, das Gesuch um militärische Hilfe im Kampf gegen den IS zurückzuziehen. Zuvor hatte der Regierungschef auf einen Abzug US-amerikanischer und anderer ausländischer Truppen gedrängt.

Ein Ende des Einsatzes ausländischer Truppen im Irak sei sowohl im Interesse des Irak als auch der USA. Mahdi empfahl dem Parlament Sofortmaßnahmen, die zur Beendigung der Anwesenheit internationaler Truppen im Irak führen. Die USA waren 2003 in den Irak einmarschiert. Der Militäreinsatz führte zum Sturz des damaligen irakischen Diktators Saddam Hussein. Zeitweise waren dort mehr als 160.000 US-Soldaten stationiert.

Einsatz der Anti-IS-Koalition ausgesetzt

Mahdi sagte in einer Sondersitzung, ein möglichst rascher Abzug sei „grundsätzlich und aus praktischen Erwägungen“ heraus das Beste für den Irak. Und das trotz aller Schwierigkeiten, die ein solcher Schritt mit sich bringen würde. In den Jahren 2011 bis 2014 seien auch keine ausländischen Kampftruppen im Land gewesen. Das habe den Beziehungen zu den USA jedoch nicht geschadet, sagte Mahdi.

Die US-geführte internationale Koalition zum Kampf gegen den IS hat unterdessen ihren Einsatz im Irak vorerst ausgesetzt. Das betreffe sowohl die Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte als auch den direkten Kampf gegen den IS, teilte die Koalition am Sonntag mit. Die gezielte Tötung des iranischen Generals Kassem Soleimani und des Chefs der schiitischen Miliz Kataib Hisbollah, Abu Mahdi al-Muhandis, durch das US-Militär nannte Mahdi im Parlament „politischen Mord“.

Trump droht Iran mit Angriff auf „52 Ziele“

Schon davor hatte sich die Eskalationsspirale nach der Tötung Soleimanis weiter gedreht. Vor dem Votum des Parlaments in Bagdad drohte US-Präsident Donald Trump dem Iran erneut. Für den Fall, dass der Iran US-Bürger oder -Einrichtungen attackieren sollte, gebe es eine Liste mit „52 Zielen“, die man „sehr schnell und hart“ angreifen würde, so Trump auf Twitter.

„Der Iran spricht sehr kühn darüber, bestimmte US-Ressourcen ins Visier zu nehmen, als Rache dafür, dass wir die Welt von ihrem Terroristenführer (Soleimani, Anm.) befreit haben (…). Der Iran hat jahrelang nichts als Probleme gemacht“, so Trump. „Das soll als WARNUNG dienen“, schrieb der US-Präsident weiter. Die Ziele seien „wichtig für den Iran und seine Kultur“. Die USA „wollen keine Drohungen mehr“, so Trump abschließend.

„Abscheuliche und unentschuldbare Taten“

Der Iran reagierte am Sonntag: Der Oberbefehlshaber der iranischen Armee, General Abdolrahim Mussawi, sagte, er bezweifle, dass die USA „den Mut haben“, ihre Drohungen wahr zu machen. Mit solchen Äußerungen wollten die USA nur die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit von ihren „abscheulichen und unentschuldbaren Taten“ ablenken. Der iranische Außenminister Mohammed Dschawad Sarif warnte die USA am Sonntag via Twitter, jede Entscheidung, die Kulturstätten des Landes ins Visier zu nehmen, sei ein „Kriegsverbrechen“.

„Runder Tisch“ zum Thema

Wie gefährlich ist die Lage am Golf? Darüber diskutiert am Sonntag um 22.05 Uhr in ORF 2 ein „Runder Tisch“.

Laut US-Regierung erfolgte der Angriff auf Soleimani in der Nacht auf Freitag in Bagdad, um weitere von ihm geplante Attacken auf US-Diplomaten und Einsatzkräfte zu verhindern. Der Iran sprach von einem „terroristischen Akt“ der USA, für den sie „einen hohen Preis zahlen“ würden. Sollte es zu Angriffen auf US-Ziele im Irak oder anderen Ländern des Nahen Ostens kommen, droht eine folgenschwere Spirale der Gewalt – wie auch Trumps jüngste Drohung unterstreicht. Der Tod Soleimanis, des Kommandeurs der iranischen Al-Kuds-Brigaden, hat die schweren Spannungen in der ohnehin konfliktreichen Region nochmals verschärft.

Raketen auf Luftwaffenstützpunkt

Samstagabend schlugen nahe dem Luftwaffenstützpunkt al-Balad, auf dem auch US-Soldaten untergebracht sind, sowie nahe einer weiteren Basis im Stadtzentrum Bagdads zwei Raketen ein. Die Sicherheitsvorkehrungen an Stützpunkten im Irak wurden zusätzlich hochgefahren, wie ein Sprecher des US-geführten Militäreinsatzes Operation Inherent Resolve (OIR) daraufhin mitteilte. US-Soldaten kamen bei den Attacken anscheinend nicht zu Schaden. Möglicherweise seien aber irakische Zivilisten zu Schaden gekommen, hieß es. Insgesamt habe es 13 solcher Angriffe in den vergangenen zwei Monaten gegeben.

Weitere Trauerfeiern für Soleimani

Tausende Menschen hatten am Samstag an einem Trauerzug für Soleimani im Irak teilgenommen, darunter viele Spitzenpolitiker. Angeführt wurde der Zug nach Augenzeugenberichten von Milizionären, die irakische Flaggen sowie Banner von Milizen im Irak schwenkten, die vom Iran unterstützt werden. Einige riefen anti-amerikanische Parolen wie „Tod für Amerika“ und forderten Vergeltung für den US-Angriff.

Tausende begleiten die Begräbnisprozession für den getöteten General Soleimani und für al-Muhandis in Ahvaz (Iran)
Reuters/Wana News Agency
Am Sonntag gab es in Ahwas im Iran eine Trauerfeier für Soleimani

Am Sonntag begannen nun in der südwestiranischen Stadt Ahwas die Trauerfeiern für Soleimani. In einer Liveübertragung im iranischen Staatsfernsehen waren Tausende in Schwarz gekleidete Trauernde zu sehen. Der Leichnam Soleimanis soll im Laufe des Tages in Ahwas eintreffen. Vor der Beisetzung Soleimanis am Dienstag in seiner Geburtsstadt Kerman finden in mehreren iranischen Städten Trauerzeremonien statt, darunter auch in der Hauptstadt Teheran.

Demokraten erhöhen Druck auf Trump

Die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, die Demokratin Nancy Pelosi, warf Trump unterdessen vor, durch unverhältnismäßigen Einsatz des US-Militärs Soldaten, Diplomaten und amerikanische Bürger in Gefahr gebracht zu haben. Das Vorgehen der Regierung und ihre nachgelieferte Begründung dazu werfe „ernsthafte und drängende Fragen auf“. Die demokratische Präsidentschaftsbewerberin Elizabeth Warren warf Trump angesichts seiner jüngsten Warnung an den Iran die „Drohung mit Kriegsverbrechen“ vor, ihr Mitbewerber Joe Biden bescheinigte dem Republikaner zunehmend irrationales Handeln.

Bemühung um Konfliktlösung

Unterdessen liefen Bemühungen an, eine weitere Zuspitzung der Lage abzuwenden. Bundeskanzler in spe Sebastian Kurz brachte einen Gipfel in Wien zur Konfliktlösung zwischen den USA und dem Iran ins Gespräch. Kurz sagte „Bild am Sonntag“: „Wien steht selbstverständlich als Standort für mögliche Verhandlungen zur Verfügung, wenn der Iran und die USA wieder Gespräche führen wollen. Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht bei den Verhandlungen zum Atomabkommen und glauben daran, dass Diplomatie auch in dieser Situation der einzig richtige Weg ist, um eine weitere Eskalation zu vermeiden.“

„Wir werden in den kommenden Tagen alle Hebel in Bewegung setzen, um einer weiteren Eskalation der Lage entgegenzuarbeiten – in den Vereinten Nationen, der EU und im Dialog mit unseren Partnern in der Region, auch im Gespräch mit dem Iran“, sagte der deutsche Außenminister Heiko Maas der „Bild am Sonntag“. Er stehe in engem Kontakt mit seinen britischen und französischen Kollegen, dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell und US-Außenminister Mike Pompeo.

Der britische Außenminister Dominic Raab forderte unterdessen die „Deeskalation und eine Stabilisierung der Situation“, wie er gegenüber Sky News sagte. Großbritannien kündigte zuvor an, zwei Kriegsschiffe in den Persischen Golf zu schicken. Der Zerstörer „HMS Defender“ und die Fregatte „HMS Montrose“ sollten Handelsschiffe in der Straße von Hormus schützen, teilte Verteidigungsminister Ben Wallace nach einem Gespräch mit seinem US-Amtskollegen Mark Esper mit.

Dringliche NATO-Sitzung am Montag

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg setzte für Montag kurzfristig eine „dringende“ Sitzung des Nordatlantikrats an. Bei dem Treffen auf Ebene der Botschafter soll es um die Situation im Irak gehen. In Israel werde sich der engste Kabinettskreis um Regierungschef Benjamin Netanjahu am Montag mit möglichen Racheangriffen des Iran auf israelische Ziele befassen, berichteten Medien.

Weiterer Teilausstieg aus Atomdeal?

Der Iran kündigte nun einen weiteren Teilausstieg aus dem internationalen Atomabkommen an. „Wir werden diesbezüglich am Abend eine wichtige Sitzung haben und über die fünfte Phase des Teilausstiegs entscheiden“, zitierte die Nachrichtenagentur ISNA am Sonntag den Sprecher des Außenministeriums in Teheran, Abbas Mussawi.

Beobachter in Teheran schlossen nicht aus, dass die Regierung mit einer weiteren Erhöhung der Urananreicherung auf 20 Prozent auf die Tötung des iranischen Generals Soleimani durch die US-Armee reagieren könnte. Wie und ab wann die islamische Republik gegen weitere Teile des Abkommens zur Verhinderung einer iranischen Atombombe verstoßen werde, sagte Mussawi nicht.

Trump erinnert an Geiselnahme in US-Botschaft 1979

Trump begründete die Zahl der 52 ausgewählten Zielorte mit „jenen 52 amerikanischen Geiseln, die der Iran vor vielen Jahren genommen hat“ – eine Anspielung auf die Besetzung der US-Botschaft in Teheran im November 1979. Aus Protest gegen die Aufnahme des gestürzten Schahs in den USA hatten iranische Studenten damals 52 Angehörige der US-Botschaft als Geiseln genommen und die Auslieferung des Schahs gefordert. Washington verhängte Sanktionen, die Geiselnahme endete nach 444 Tagen. Wegen der Botschaftsbesetzung brachen die USA die diplomatischen Beziehungen zum Iran ab. Hardliner im Iran feiern die Besetzung immer noch als revolutionäre Heldentat und Sieg über den US-Imperialismus.