Bundeskanzler Kurz und Vizekanzler Kogler beim Ministerrat
ORF.at/Roland Winkler
Erster Ministerrat

Pressefoyer als politisches Stilmittel

Gerade einen Tag angelobt, findet im Moment die erste Sitzung des Ministerrats der neuen ÖVP-Grüne-Regierung statt. Die großen inhaltlichen Würfe werden zwar noch nicht erwartet, wohl aber Aufschlüsse, wie sich die neue Regierung danach beim Pressefoyer der Öffentlichkeit stellt. Denn wie sich eine Koalition dort präsentiert, ließ immer schon tiefe Einblicke darüber zu, wie man mit Medien umgeht, aber auch was die interne Stimmung angeht. Am Mittwoch wartet bereits die erste Überraschung.

Mit Spannung wird erwartet, wie sich die Regierung den Medienvertretern präsentieren wird. Einigermaßen überrascht war man zunächst, dass nach dem ersten Ministerrat Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nicht selbst vor die Presse tritt. Den Termin übernehmen die beiden Regierungskoordinatoren. Aufseiten der Grünen ist das zwar Vizekanzler Werner Kogler, auf ÖVP-Seite wird allerdings Finanzminister Gernot Blümel übernehmen. Das sei geplant gewesen, hörte man vor dem Foyer, weil Blümel und Kogler gleich das erste große Projekt vorstellen würden, und das sei das Budget.

Spannend scheint auch, inwieweit sich die Koalitionsvertreter bei Formulierungen, beim „Wording“, an eine gemeinsame Linie halten. Die ÖVP war ja in den vergangenen Jahren für ihre „Message Control“, also ihre genaue Planung und Exekution der politischen Kommunikation, bekannt. Schon bei der Bekanntgabe des Regierungsprogramms vergangene Woche zeigte sich, dass Kogler mitunter eher spontaner – und ausführlicher – am Wort ist als der Kanzler. Der Umgang mit den Medienvertretern und deren Fragen wird auch erste Aufschlüsse darüber geben, wie die Regierung kommunizieren will.

„Die Grünen, die können Message-Control nicht schlechter als wir“, durfte man aus ÖVP-Kreisen zu diesem Thema auf dem Gang vernehmen.

Vermutet wird, dass die beiden Parteien beim Betonen der gegenseitigen Wertschätzung ein wenig zurückhaltender sein werden als die Vorgängerregierung. Gerade in der Anfangszeit hatten Kurz und sein Vize Heinz-Christian Strache (FPÖ) den „neuen Stil“, den sie zu pflegen gedachten, breit herausgestrichen, während bei ÖVP-Grün bisher eher die pragmatische Zusammenarbeit zum Wohle des Landes in den Vordergrund gestellt wird.

Neue Sachlichkeit ist angesagt. Und viel ist auch auf den Gängen bei den Vertretern beider Parteien von beidseitigem Entgegenkommen, ja Vertrauen die Rede. Man habe am Anfang Vorurteile gehabt, einander aber gerade im Laufe der Verhandlungen besser kennen- und schätzen gelernt, war zu hören.

Völlig neues Setting unter der Vorgängerregierung

Auch auf die Inszenierung darf man gespannt sein, zumal ÖVP-FPÖ bei ihrem ersten Antreten nach dem Ministerrat ein völlig neues Setting schuf. Eine zentrale Rolle nahm der damals neu installierte Regierungssprecher Peter Launsky-Tieffenthal ein, der die Vorhaben und Beschlüsse der Regierung präsentierte. Zudem wurde die „Bühne“ von der Stirnseite auf die Fensterseite des Saals verlegt – auch mit dem Effekt, dass die Regierungsmitglieder ihre Plätze einnehmen konnten, ohne durch die Meute an Journalisten gehen zu müssen. Bestritten wurden die Pressefoyers teils auch nur von Regierungskoordinatoren oder den Ministerinnen und Ministern, deren Themen gerade ganz oben auf der Agenda standen.

Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache im Pressefoyer des Ministerrates am 10.01.2018
ORF.at/Roland Winkler
Pressefoyer von Kurz mit dem damaligen Vizekanzler Strache

Die zuvor immer wieder vom Mediengedränge begleiteten Ministerstatements vor Beginn der Regierungssitzung wurden strikter organisiert: Im Steinsaal des Bundeskanzleramts wurden dafür entsprechende „Doorsteps“, Podeste für die Kameras und entsprechende tontechnische Einrichtungen installiert.

Weniger Fahnen, neue Pulte

Im Laufe der ÖVP-FPÖ-Regierung gab es dann zwei optische Veränderungen. Setzte man zu Beginn auf einen reich beflaggten Hintergrund mit Österreich-, EU- und Bundesländerfahnen, wurde das Szenario mit Jahresbeginn 2019 auf Österreich und EU-Flaggen reduziert. Gleichzeitig wurden die transparenten Stehpulte, die schon bei der Regierung von Werner Faymann (SPÖ) und Michael Spindelegger (ÖVP) Verwendung fanden, durch andere ersetzt: und zwar offenbar durch eine runderneuerte Version der Pulte, die seinerzeit schon Viktor Klima (SPÖ) verwendet hatte.

Margarete Schramböck, Sebastian Kurz, Heinz Christian Strache und Herbert Kickl
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Der „aufgeräumtere“ Ministerrat ab 2019

Kreisky hat’s erfunden

Als erster Bundeskanzler erkannte Bruno Kreisky die Chance der Medieninszenierung und empfing ab 1971 Journalisten im Ecksalon des Kanzleramts. Höfliche Fragen ließ er sich gefallen, andere eher nicht. Oft zitiert wurde etwa der Ausspruch vom Frühjahr 1981: „Lernen Sie Geschichte!“

Porträtaufnahme von Bruno Kreisky während eines Pressegesprächs nach dem Ministerrat
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Kreisky nach dem Ministerrat

Ungeliebte kritische Fragen

Fred Sinowatz (SPÖ) schätzte die Nähe der Medien weniger. Er ging auf Distanz und legte sein Foyer am Tisch im kleinen Ministerratssaal als formelle Pressekonferenz an. Franz Vranitzky (SPÖ) setzte ab 1986 wieder auf ein „Stehfoyer“, auch wenn ihm die Nähe der Medienvertreter und vor allem ihre Fragen mitunter hörbar auf die Nerven gingen – auch weil sich ab dieser Zeit nur noch wenige an die Gepflogenheit halten wollten, nur willkommene und teils vorher abgesprochene Fragen zu stellen.

Franz Vranitzky
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Vranitzky auf Tuchfühlung mit den Medien

Klima und die Kordel

Auch Vranitzkys Nachfolger Klima machte anfangs ein „Stehfoyer“, bereitete dem – beraten von „Spin-Doktoren“ – aber 1998 ein Ende. Gefragt war ab nun die vermeintlich perfekte TV-Inszenierung: Klima verlegte seinen Auftritt in den Kongresssaal des Kanzleramts und baute sich fortan hinter einem Stehpult auf – eine rote Kordel sorgte für Distanz zu Journalisten und Kameras. Klima musste der schwarz-blauen Koalition weichen, das Stehpult blieb.

Viktor Klima
APA/Hans Klaus Techt
Klima stand aufs Stehpult

Schwarz mit Blau im Schlepptau

Im Februar 2000 brachte die schwarz-blaue Koalition ein Novum: Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) und Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer (FPÖ) traten erstmals gemeinsam auf – zuvor hatten sich die Koalitionspartner mit eigenen Pressekonferenzen vor oder nach dem Kanzler bescheiden müssen. ÖVP und FPÖ wollten mit dem „Doppelfoyer“ sowohl den „Schulterschluss“ gegen die EU-Sanktionen als auch die neue Harmonie nach dem großkoalitionären Gezänk demonstrieren.

Wolfgang Schüssel und Herbert Haupt mit Pressesprecherin Heidi Glück am 11. März 2003
APA/Hans Klaus Techt
Unendliche Weiten nach dem Ministerrat

Unterbrochen wurden die gemeinsamen Pressekonferenzen nur, als der FPÖ-intern unter Druck geratene Vizekanzler Herbert Haupt seine Auftritte 2003 ins Vizekanzleramt verlegte. Schüssel selbst reagierte auf nicht genehme Fragen zwar mitunter recht barsch, stellte sich dem wöchentlichen Ritual aber gemäß seinem Motto: „Egal, was Sie mich fragen, ich sage das, was ich mir vorgenommen habe.“ Für Lacher sorgte zwischendurch ein klobiger Tisch, hinter dem sich Schüssel und Haupt verschanzten – ein „Raumschiff“, spöttelten die Journalisten, das bald wieder verräumt wurde.

Zusammen, auseinander, zusammen

Auch nach der Neuauflage der Großen Koalition 2007 wurde das gemeinsame Pressefoyer beibehalten – zwischenzeitlicher Liebesentzug inklusive: Kanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) und sein Vize Wilhelm Molterer (ÖVP) traten anfangs gemeinsam vor die Medien. Zunächst ohne, dann mit Pult. Nach einem Konflikt über die Steuerreform bestand der SPÖ-intern unter Druck geratene Gusenbauer auf getrennten Auftritten. Im März 2008 rauften sich SPÖ und ÖVP zwar wieder zusammen, aber nur kurz: Keine vier Monate später beendete Molterers „Es reicht!“ die Koalition.

Alfred Gusenbauer und Wilhelm Molterer am 11. Jaenner 2008
APA/Roland Schlager
Betonte Herzlichkeit bekam man ohnehin selten zu sehen

Stehend, sitzend, mit Pult und ohne

Faymann kehrte dann zum gemeinsamen Auftritt zurück: zuerst – mit Vizekanzler Josef Pröll (ÖVP) – sitzend an einem Tisch, dann – mit Spindelegger und in weiterer Folge Reinhold Mitterlehner (ÖVP) – wieder an Stehpulten. Daran änderte sich in fast acht Jahren wenig. Aufregung gab es nur, als sich das Regierungsduo überlegte, dass mitunter Fachminister an ihre Stelle treten könnten. Der Protest der Presse war groß, der Plan wurde wohl auch aus anderen Gründen nach einigen kümmerlichen Versuchen wieder ad acta gelegt.

Michael Spindelegger und Werner Faymann
ORF.at/Christian Öser
Mit Spindelegger stand Faymann wieder auf

Alle neu bei Kern

Da nach der Ära Faymann alles neu werden sollte, durfte auch eine Neuinszenierung des Ministerrats nicht fehlen. Kanzler Christian Kern (SPÖ) übersiedelte das Foyer in den Steinsaal, wo traditionell die Medienvertreter vor der Regierungssitzung den Ministern auflauern. Zunächst ohne Pulte, später mit, dann wieder ohne versuchten Kanzler und Vizekanzler Mitterlehner der Medieninfo neuen Schwung zu verleihen.

Christian Kern und Reinhold Mitterlehner
APA/Roland Schlager
Kern und Mitterlehner – und Szenen einer Entfremdung

Im August 2016 erklärte Kern dann das Pressefoyer für abgeschafft. Als Grund für die Formatänderung nannte Kern das Bestreben, den Ministerrat verstärkt als „Arbeitssitzung“ zu positionieren. Eingeführt von Kreisky sei das Pressefoyer einst „eine große politische Veranstaltung“ gewesen, „wo man Politik erklärt hat“. Die Versuche der vergangenen Jahre, das Foyer zeitgemäß zu adaptieren, seien aber „nicht wirklich befriedigend“ gewesen.

Ende des Pressefoyers als Anfang vom Ende

Das Presse-„Debriefing“ nach der Regierungssitzung sollten nur noch die Regierungskoordinatoren bestreiten, Kern selbst wollte per Blog, Facebook und Kurznachrichtendienst Twitter kommunizieren – und sich in themenbezogenen Hintergrundgesprächen den Medien stellen. Mitterlehner zog nicht mit und wollte nach dem Ministerrat weiterhin Journalistenfragen beantworten.

Vereinzelt gab es in den folgenden Monaten dennoch noch gemeinsame Auftritte im Pressefoyer – bis der ÖVP-Chef sich im Mai 2017 aus sämtlichen politischen Ämtern zurückzog. Mit seinem Nachfolger als Vizekanzler, dem Justizminister Wolfgang Brandstetter, gab es keine gemeinsamen Pressefoyers mehr. Die gemeinsame Regierung war dann auch bald Geschichte.