Sebastian Kurz und Werner Kogler im Interview
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Kurz und Kogler im Interview

Ungleiche Partner im ersten Paarlauf

Am Dienstag ist die Koalition aus ÖVP und Grünen angelobt worden. Im ZIB-Spezial-Interview war es an der neuen Regierungsspitze, Einblick in die künftige Koalitionsarbeit zu geben. Sowohl Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) als auch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) waren darum bemüht, ihre Koalition als die pragmatisch beste Lösung zu präsentieren. Freilich zeigte sich einmal mehr, wie unterschiedlich die beiden Regierungspartner sind – aber auch, wie sehr sie auf Einigkeit bedacht sind.

Im Gespräch mit Claudia Reiterer und Armin Wolf lobte Kurz einmal mehr, dass sich die beiden Parteien nicht auf Minimalkompromisse hinunter gehandelt hätten. Vielmehr habe man Themen definiert, bei denen je eine der beiden Parteien die Themenführung übernehmen könne. Das sei „historisch“. Den Grünen seien Transparenz und Klimaschutz wichtig. Der ÖVP sei es wichtig gewesen, den Kurs fortzusetzen im Bereich der Steuerentlastung und der Migrationspolitik.

Nicht gelten lassen wollte der Kanzler deshalb, dass die ÖVP sich in den Verhandlungen durchgesetzt habe. Er wies allerdings sehr wohl darauf hin, dass die ÖVP 37 Prozent der Stimmen bekommen habe, die Grünen 14. Es handle sich bei den beiden Koalitionspartnern also um „zwei unterschiedlich große Parteien, die sich aber sehr gut gefunden haben“. Ganz konkret bezeichnete Kurz die ÖVP als Mitte-rechts-Partei, von den Grünen sprach er als einer Ökobewegung.

Koglers revidiertes Kurz-Bild

Dass es sich bei dem Regierungsprogramm um das – Zitat Kurz – „Beste aus beiden Welten“ handle, wollte Kogler freilich dann doch nicht ganz so stehen lassen. „Es gibt nur eine Welt, und da leben alle drauf“, so der Vizekanzler. Kogler relativierte freilich seine Aussagen vor der Wahl, wonach Kurz „komplett ideologiebefreit“ und „Chef einer türkisen Schnöseltruppe“ sei. Er habe diese zuletzt oftmals zitierten Sätze vor Beginn des Wahlkampfs gesagt, so der Grünen-Chef.

Kanzler Kurz und Vizekanzler Kogler im Doppelinterview

Kurz und Kogler (Grüne), nun Kanzler und Vizekanzler, im Gespräch über die neue Regierung. Im Fokus standen Steuerentlastung, Klimaschutz und Migrationspolitk.

Sein Bild habe sich inzwischen „aus mehreren Gründen verändert“. Er habe etwa „schon im Wahlkampf feststellen“ dürfen, dass die ÖVP manche Themen „sehr geradlinig und mit Nachdruck“ vertrete. Und wenn die ÖVP eine Mitte-rechts-Partei sei, dann sei es besser, sie sei mit Grün als mit „Rechtsextremen“ zusammen.

Keine Freude mit Interpretationen

Haben fast alle ÖVP-Vorhaben ein fixes Datum und sollen schnell abgehandelt werden, während die grünen Vorhaben eher auf später verschoben werden? Mit dieser Einschätzung hatten weder Kurz noch Kogler eine Freude und schalteten in den Verteidigungsmodus. Die Lohnsteuersenkung werde Hand in Hand gehen mit ersten Ökologisierungsmaßnahmen, unterbrach Kurz etwa an einer Stelle sogar die Frage von Reiterer.

Sebastian Kurz und Werner Kogler
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Für Kurz sind die ÖVP eine Mitte-rechts-Partei und die Grünen eine Ökobewegung

Kogler hatte bereits zuvor aufgezählt, welche sechs Maßnahmen bereits auf die Schnelle umgesetzt werden sollen, nämlich: die Anpassung der Flugticketabgabe, Preisanpassungen beim Autokauf, die Ökologisierung der Lkw-Maut, Maßnahmen zum Transit, Änderungen bei dem Pendlerpauschale und die Ökologisierung der Dienstwägen. Das könne am „1.1.21“ stattfinden, so Kogler. Nachsatz: „Wenn es nach uns geht.“

Dass eine Entscheidung über die CO2-Bepreisung erst später fallen werde, rechtfertigte Kogler damit, „nicht g’scheiter sein“ zu wollen „als alle in Europa“. Man werde sich die verschiedenen Modelle anschauen. Und entweder komme eine klassische ökologische Steuerreform oder ein CO2-Bepreisungsmodell, „das vielleicht das modernere ist“.

Ausweichen auf beiden Seiten

Ausweichend fiel die Antwort Kurz’ auf die Frage aus, warum im Regierungsprogramm nicht die Abschaffung des Dieselprivilegs festgeschrieben sei. Das Programm schaue so aus, wie es ausschaue. Er werde jetzt keine Frage beantworten, bei der man sich in der Koalition geeinigt habe, sie noch weiter zu diskutieren.

Aufs Ausweichen verstand sich freilich auch Kogler gut, als die Sprache auf die geplante Sicherungshaft kam. Auf die Frage, ob die Grünen bei einer womöglich nötigen Verfassungsänderung mitstimmen würden, verwies der Vizekanzler auf die entsprechende Stelle im Regierungsprogramm. „Wir gehen von der bestehenden Verfassung aus“, so Kogler. Ausschließen wollte er eine Änderung dann aber doch nicht, „weil die Formulierung grammatikalisch diese Möglichkeit zulässt“.

Kurz zu Finanzierung „optimistisch“

Zur Finanzierung der vielen Maßnahmen und zur Expertenkritik, dass diese vage sei, sagte Kurz, man habe eine „Verständnis“, wie es funktionieren könne: Zunächst habe man Maßnahmen für den Wirtschaftsstandort gesetzt, um ein stabiles Wirtschaftswachstum sicherzustellen. Dann gebe es Pläne zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, und schließlich setze man auf einen sparsamen Umgang mit Budgetmittel. Er sei jedenfalls optimistisch, die geplanten Investitionen tätigen zu können, Steuern und Abgaben zu senken und trotzdem das Nulldefizit halten zu können.

Dass die Abschaffung der kalten Progression noch nicht in Angriff genommen werde, erklärte Kurz damit, dass es wirksamer sei, Lohn- und Einkommensteuer zu senken. Und Priorität habe es, kleine und mittlere Einkommen am stärksten zu entlasten. Die Abschaffung der kalten Progression bleibe aber ein Ziel. Kogler ergänzte zu den Steuerplänen, auch zur geplanten Senkung der Körperschaftssteuer, dass man eben sehen müsse, „was sich wann wie ausgeht“. Ob der erhöhte Spitzensteuersatz von 55 Prozent auf Einkommensteile von mehr als einer Million, der 2020 auslaufe, verlängert werde, sei noch nicht geklärt, sagte Kurz.

„Unfaire“ Hacklerreglung „reparieren“

In Aussicht stellte Kurz hingegen die Abschaffung der Hacklerreglung, die noch vor der Wahl im „freien Spiel der Kräfte“ beschlossen worden war. „Wir müssen uns anschauen, wie wir das reparieren können“, so der Kanzler. SPÖ und FPÖ hatten sich darauf geeinigt, dass, wer 45 Jahre eingezahlt hat, bereits mit 62 Jahren ohne Abschläge in Pension gehen darf. Allerdings stimmte am Ende auch die ÖVP – wenn auch zähneknirschend – für den Abänderungsantrag der SPÖ, um die eigenen Steuerreformpläne durchzubringen.

Kurz sprach nun von einer „Husch-Pfusch-Aktion so mancher Parteien im Nationalratswahlkampf“, die „in dieser Form“ nicht bleiben werde, „weil die Regelung eine unfaire ist“. Laut dem Kanzler wurde ein „gewisser Schaden angerichtet“. „Und der muss irgendwie wiedergutgemacht werden“, so Kurz – Nachsatz: „Aber das werden wir in aller Ruhe vorbereiten.“

„Koalitionfreier Raum“ bestritten

Dass ein „koalitionsfreier Raum“ bei einer möglichen neuen Flüchtlingskrise vereinbart worden sei, bestritten die beiden. Man habe sich auf einen „Lösungsmechanismus für Krisenfälle“ geeinigt, sagte Kurz. Er habe ein „gutes Gefühl“, dass dieser nie zur Anwendung komme, so der Kanzler – und verwies auf die geplanten Maßnahmen in Sachen Migration. Die Regelung sieht vor, dass sich die Regierungspartner bei außergewöhnlichen Flüchtlingskrisen andere Mehrheiten im Parlament suchen können. „Geplant ist es nicht“, sagte Kurz. Man habe versucht, auch an „unwahrscheinliche Fälle zu denken, damit die Koalition auch so etwas überstehen kann“.

Sebastian Kurz und Werner Kogler
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Kogler ist optimistisch, dass die Grünen-Abgeordneten im Parlament die Regierungslinie mittragen

Kogler wollte die Regelung nicht aufgebauscht sehen: Man müsse die „Kirche im Dorf“ lassen. Die Reglung sei „im eingeschränkten Ausmaß“ für „unvorhersehbare Ereignisse“ gedacht. Das sei ein mehrstufiger Mechanismus und das Gegenteil eines „koalitionsfreien Raums“. Und schließlich gelte die Regelung auch für die Grünen – auch wenn es die ÖVP sicherlich leichter habe, entsprechende Mehrheit zu finden.

Optimistisch zeigte sich Kogler jedenfalls auf die Frage, ob die Grünen tatsächlich auch bei den für sie schwierigen Punkten im Regierungsprogramm mitstimmen würden. „In einzelnen Fällen wird die Mehrheit prognostizierterweise gesichert sein“, sagte Kogler. Ob aber immer 100 Prozent der Abgeordneten abstimmen werden, könne er aber nicht sagen, so der Grünen-Chef mit Verweis auf mögliche Gewissensentscheidungen.

„Ein eigenes Ressort verbunden mit Integration“

An Kurz war es, zu verteidigen, dass die Frauenthemen in der neuen Regierung Teil des Integrationsressorts sind. In der vorigen Regierungen seien die Frauenthemen ein „eigenes Ressort verbunden mit Familie und Jugend“ gewesen. „Jetzt ist es ein eigenes Ressort verbunden mit Integration“, so der Kanzler. Er halte die Zusammenstellung für eine gute. Zu den Themen, die bereits lange auf dem Tapet seien, kämen nun neue Herausforderungen hinzu. Kurz nannte etwa das Sicherheitsgefühl von Frauen oder eine „teilweise importierte Machokultur“.

Bezüglich der in der Vergangenheit auch immer wieder kritisierten Generalsekretäre in den Ministerien sagte Kogler, dass sich auch die Grünen das „im Detail anschauen“ würden. „Das kann da und dort schon Sinn machen“, so der Vizekanzler und verwies etwa auf das „Doppelministerium“ von Leonore Gewessler (Grüne). Die Ministerin selbst wollte sich hier im ORF-„Report“ noch nicht festlegen.

Ministerin Gewessler über ihre Aufgaben

Gewessler spricht über die anstehenden Aufgaben in ihren Zuständigkeitsbereichen.

Im Hinblick auf mögliche Übereinkommen, Sideletters oder Absprachen abseits des Regierungsübereinkommens ließen sich die beiden Parteichefs nicht in die Karten schauen. Kurz verwies allerdings darauf, dass Entscheidungen im Ministerrat einstimmig zu erfolgen hätten – Absprachen über ein Vorschlagsrecht bei Postenbesetzungen also durchaus sinnvoll sein könnten.

Hoffnung auf volle fünf Jahre

Auf die Feststellung, dass das bereits seine dritte Koalition mit unterschiedlichen Partnern sei, sagte Kurz, dass er die Regierung mit der SPÖ bewusst aufgelöst hätte, weil der „Stillstand“ Österreich seiner Ansicht nach geschadet habe. Und das „Ibiza-Video“ habe er sich „nicht herbeigewünscht“.

Er habe die absolute Hoffnung, dass die Regierung fünf Jahre halten werde, sagte Kurz. Er werde jedenfalls alles tun, um bestmöglich seinen Beitrag dafür zu leisten. Auch Kogler formulierte die Hoffnung, mit der ÖVP über eine volle Legislaturperiode zu gehen – nicht zuletzt in Anbetracht des Arbeitsprogramms der Regierung: Viele Maßnahmen seien „so gezirkelt“, dass es „vernünftig“ sei, wenn die Koalition „auch tatsächlich fünf Jahre halten würde“.