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Öffnen unmöglich

Wieso Verpackung oft unüberwindbar ist

„Sie müssen nur den Nippel durch die Lasche ziehen“ hat der deutsche Komiker Mike Krüger 1980 vorexerziert und damit auch eine Ode an die Luxusprobleme Konsumgeplagter gesungen. Vierzig Jahre später ist die Frage, wieso die Verpackungen mancher Produkte des alltäglichen Lebens so schwer zu öffnen sind, immer noch ungelöst. Eine Spurensuche nach dem Ärgernis, das den Menschen ein Konsumentenleben lang begleitet.

Krügers Lied über die Tücken der Verpackungen traf offenbar einen Nerv, „Der Nippel“ schaffte es sowohl in Deutschland als auch in Österreich auf Platz eins der Charts. Dabei musste man nur „mit der kleinen Kurbel ganz nach oben drehen, da erscheint sofort ein Pfeil, und da drücken Sie dann drauf“. Und schon war die Tube auf. Eigentlich war es ganz einfach.

Heute mögen manche Produkte anders sein, das Problem mit der „Usability“ aber überdauert. Vernietete Plastikverpackungen für Glühbirnen, hermetisch verklebte Kartons oder Lebensmittel, die hinter roten Reißbändchen unerreichbar sind, gehören weiterhin zum Alltag in der Konsumgesellschaft, auch wenn sich Verbraucher vermehrt Gedanken über Müllaufkommen und Plastikflut machen.

Verletzungsgefahr

Widerspenstige Verpackungen führen mitunter zu Verletzungen, etwa weil inadäquates Werkzeug zum Öffnen verwendet wird. Laut AUVA verletzen sich im Jahr zwischen elf und 25 Menschen beim Öffnen oder Schließen diverser Kartons oder Verpackungen. Dabei handelt es sich nur um anerkannte Arbeitsunfälle.

Manche bleiben ohne Hilfe zu

Zu den größten Hürden zwischen Kauf eines Produkts und dessen Verwendung gehört etwa die Blisterverpackung, eine durchsichtige Plastikverpackung, in der das Produkt meist eingeschweißt ist. Sie wird für Elektronik ebenso benutzt wie für Arzneimittel, Spielwaren und Nahrung. Diese Verpackung hat alles, was sich ein Hersteller wünscht: Sie ist leicht, nicht allzu teuer in der Produktion, schützt den Artikel, ist hygienisch und bietet auch noch Werbefläche. Für die Käuferin und den Käufer bedeutet die Verpackung aber oft Ärger, weil sie ohne Schere, Dosenöffner oder schweres Gerät aus dem Baumarkt kaum zu öffnen sind.

Eine Untersuchung der Technischen Universität Chemnitz hat sich im Jahr 2011 damit beschäftigt, wie benutzerunfreundlich Verpackungen im Alltag sind. Dabei kam heraus, dass sowohl junge als auch ältere Probandinnen und Probanden Probleme damit hatten, handelsübliche Verkaufsverpackungen zu öffnen. „Insbesondere, weil wir gesagt haben, jede Verpackung muss ohne Hilfsmittel zu öffnen sein. Hier war es einigen Probanden sehr schwierig den Öffnungsmechanismus zu finden, sofern überhaupt einer da war“, so damals der Wissenschaftler Christian Hentschel dazu.

„Auch die jüngeren Probanden hatten Probleme, die Verpackungen zu öffnen. Sie hatten am Ende im Vergleich zu den Älteren eine höhere Erfolgsquote, was das Öffnen angeht, sie haben dann aber auch länger dafür gebraucht.“ Und manche Verpackungen ließen sich ohne Hilfsmittel gar nicht öffnen, zeigten die Tests.

Verpackung muss viele Ansprüche erfüllen

Dabei wird erst lange getüftelt, bis es eine Verpackung in ein heimisches Verkaufsregal schafft. Der Entwicklungsweg ist lang und die Beteiligten ebenso zahlreich wie die Ansprüche an das Endprodukt. Die Verpackung muss etwa rechtlichen Anforderungen gerecht werden, etwa wenn es sich um medizinische oder chemische Produkte handelt. Sie muss eventuell eine Schutzfunktion übernehmen oder Informationen übermitteln. Weitere Ansprüche können Maschinengängigkeit oder die Optimierung des Logistikprozesses sein, wie Michael Auer, Leiter des Österreichischen Instituts für Verpackungswesen (OeIV) gegenüber ORF.at erklärt.

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Eingeschweißt und schwer zu knacken: Die Blisterverpackung

„In letzter Konsequenz liegt die Entscheidung über eine Verpackungsausführung unter Beachtung gesetzlicher Rahmenbedingungen beim Abfüller oder Verwender der Verpackung.“ Dieser werde auch „natürlich Anforderungen oder Wünsche des Konsumenten und auch aller Beteiligten entlang der gesamten Distributionskette berücksichtigen“, so Auer. In die Entscheidung für oder wider eine bestimmte Verpackung fließen laut dem Institutsleiter auch Unfallschutz, Diebstahlschutz und Müllaufkommen ein: „Diese Aspekte haben sicherlich einen sehr hohen Stellenwert und werden je nach Einsatzgebiet der Verpackung unterschiedlich gewichtet.“

Die ÖNORM

Das österreichische Normungsinstitut Austrian Standards veröffentlicht ÖNORMEN als nationale Normen, also als von Fachleuten entwickelte Empfehlungen. Angeregt wird die Entwicklung solcher Normen entweder durch interessierte Kreise, oder sie werden im Rahmen der europäischen und internationalen Normung (etwa ISO/IEC) als nationale Norm übernommen.

Auch die Handhabe ist genormt

Auch die Alltagstauglichkeit gehört zu den Kriterien, auch jene der verschweißten Sichtverpackungen. „Große Blister, die schwer zu öffnen sind, sind einerseits der Informationsfunktion und andererseits der Funktion des Diebstahlschutzes geschuldet“, so Auer. Dazu gibt es sogar eine internationale Norm: die ÖNORM EN ISO 17480. Sie behandelt „Leichte Handhabbarkeit – Leichtes Öffnen“ und legt Anforderungen und Empfehlungen für die leichte Handhabbarkeit von Verpackungen fest, so Auer. Darunter fallen auch „Gestaltungsaspekte für die Handhabbarkeit beim Öffnen, einschließlich Lage der Öffnung, Öffnungsmethoden sowie instrumenten- und nutzerzentrierte Evaluierungsverfahren“. Das Problem ist aber, dass oft einander unterschiedliche Anforderungen an die Verpackung gegenüberstehen – und so „verliert“ die Benutzerfreundlichkeit eben mitunter gegen andere Ansprüche.

Die Chemnitzer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überlegten bei ihrer Untersuchung, wieso die Benutzerfreundlichkeit beim Design mitunter in den Hintergrund gerät. Neben der Kostenfrage offenbarte sich ein Grund auch bei den Konsumenten selbst: Die Erscheinung einer Verpackung ist zwar kaufentscheidend, viele Konsumentinnen und Konsumenten greifen zu einem Produkt, das ihnen gefällt. Eine schwierige Handhabe einer Verpackung aber schien kaum Anlass zu geben, aktiv zu werden. Kaum ein Proband gab an, sich bei Herstellern oder Händlern je darüber beschwert zu haben.