Unterstützer der taiwanesischen Präsidentin Tsai Ing-wen
AP/Chiang Ying-ying
Wahl in Taiwan

Stimmungswandel ändert alle Vorzeichen

Die Beziehungen zwischen Taiwan und der Volksrepublik China haben sich in den letzten Jahren markant verschlechtert. In der Bevölkerung dominiert die Sorge, dass dem Inselstaat das Schicksal Hongkongs drohen könnte – schließlich will Peking da wie dort viel mehr Einfluss. Ausgerechnet jetzt finden in Taiwan Parlaments- und Präsidentenwahlen statt – und zuletzt gab es einen fast unglaublichen Stimmungswandel.

Schließlich hätte es vor einem Jahr noch niemand für möglich gehalten, dass Präsidentin Tsai Ing-wen wiedergewählt werden könnte. Innerhalb der seit 2016 laufenden Legislaturperiode legten ihre Umfragewerte einen Senkrechtstart hin. Insbesondere zwischen Mai und August drehte sich die öffentliche Meinung völlig um – zugunsten der amtierenden Präsidentin.

Es hat viel damit zu tun, dass der Widerstand gegen den Druck Pekings zum mit Abstand wichtigsten Thema geworden ist. Denn als sich die Spannungen in Hongkong im Sommer aufzubauen begannen und sich folglich in Gewalt entluden, waren in Taiwan auf einen Schlag alle Augen auf die Lage in der chinesischen Sonderverwaltungszone gerichtet. Rasch nahmen die Sorgen zu, auch Taiwan könnte das Schicksal Hongkongs ereilen.

„Druck unvermindert fortgesetzt“

Mit der Neujahrsansprache brachte die Präsidentin jene sorgenvolle Stimmungslage zum Ausdruck, die ihr höchstwahrscheinlich zur Wiederwahl verhelfen wird. „In den vergangenen sechs Monaten konnte die Welt sehen, wie sich die Lage in Hongkong unter ‚ein Land, zwei Systeme‘ verschlechtert hat“, so Tsai. In den vergangenen Jahren hätten sich „Chinas diplomatische Offensive, der militärische Druck, die Einmischung und Infiltration unvermindert fortgesetzt“.

Die Präsidentin von Taiwan, Tsai Ing-wen
Reuters/Ann Wang
Präsidentin Tsai Ing-wen hat beste Chancen auf eine Wiederwahl – die Proteste in Hongkong brachten ihr Zuspruch

Die Proteste in Hongkong und die harte Linie Pekings lassen Taiwan als das letzte Bollwerk von Demokratie und Freiheit gegen das diktatorische System erscheinen – und die Wahlkämpferin Tsai als Vorkämpferin. Mit ihrer entschiedenen Abwehrhaltung gegen Peking trifft die 63-Jährige wohl den Nerv der Wählerinnen und Wähler. Die schwere Niederlage ihrer Fortschrittspartei (DPP) bei der Kommunalwahl 2018 scheint vergessen.

Wirbel um Shootingstar

Auch die Problemthemen – etwa Pensionskassenreform oder Wirtschaftslage – schienen wie weggeblasen, fortan ging es nur mehr um die blanke Existenz Taiwans in der „neuen Ära“ eines selbstbewusst auftretenden Xi Jinping. Ein Umstand, der zusammen mit dem Wahlsieg 2018 auch die Hoffnungen der oppositionellen Kuomintang-Partei (KMT) auf einen Machtwechsel bestärkte. Spitzenkandidat Han Kuo-yu avancierte mit reichlich Populismus als „Mann des Volkes“ zum Polit-Shootingstar.

Anhänger der oppositionellen Kuomintang-Partei
Reuters/Tyrone Siu
Eine Anhängerin der oppositionellen KMT inmitten eines Fahnenmeeres – die Partei steht für mehr Nähe zur Volksrepublik

Doch wurde Han nicht nur die chinafreundliche Haltung seiner Partei zum Verhängnis. Auch durch seinen Besuch bei Regierungschefin Carrie Lam im chinesischen Verbindungsbüro in Hongkong setzte er Signale, die dem momentanen Diskurs im Land zuwider gingen. Zudem sorgte sein Immobilienbesitz (und jener seiner Frau) für Wirbel. Der politische Gegner ortete Bereicherung in jener Zeit, als die KMT noch an der Macht war. Auch das Bild des „Mannes des Volkes“ bekam auf diese Weise ordentliche Kratzer.

Vor der Wahl in Taiwan

Die Wahl in Taiwan wird von China mit Sorge verfolgt. ORF-Korrespondent Josef Dollinger berichtet.

„Konsens von 1992“

Was Han auch von Präsidentin Tsai unterscheidet, ist sein Festhalten am „Konsens von 1992“. Damit ist eine widersprüchliche Formel Pekings gemeint, wonach beide Seiten damals anerkannt haben sollen, dass es nur ein China gibt, auch wenn beide etwas anderes darunter verstehen. Dabei steht die Frage einer möglichen Vereinigung im Raum. Der „Konsens“ galt lange als Grundlage für die historische Annäherung zwischen Taiwan und China.

Psäsidentschaftskandidat der Kuomintang-Partei Daniel Han Kuo-yu
AP/Koki Kataoka
KMT-Spitzenkandidat Han Kuo-yu inszeniert sich als „Mann des Volkes“ – seine Chancen stehen trotzdem schlecht

Aber mit Tsais Wahl zur Präsidentin 2016 sprachen sich die Taiwanesen gegen eine Fortsetzung dieser Annäherungspolitik ihres Vorgängers Ma Ying-jeou von der Kuomintang-Partei aus. Die Juristin, frühere Vizeministerpräsidentin und erfahrene Verwaltungspolitikerin setzte von Anfang an auf Distanz. Nicht zuletzt hat ihre DPP ihre Wurzeln in der Unabhängigkeitsbewegung in Taiwan.

Beziehungen zu 15 Staaten

Aktuell pflegen lediglich fünfzehn Staaten offizielle diplomatische Beziehungen mit Taiwan – diese liegen hauptsächlich in Mittelamerika.

„Das ist unsere Wahl, nicht jene Chinas“

Als Reaktion auf Tsais Wahl 2016 fror China die Beziehungen zu Taiwan weitgehend ein. Indem Peking dann versuchte, Taiwan international noch stärker zu isolieren und die letzten diplomatischen Verbündeten abspenstig zu machen, wuchs die Verärgerung der Taiwanesen nur noch.

Mit einer Wiederwahl Tsais würde das Inselvolk jetzt einmal mehr demonstrieren, dass es sich nicht einschüchtern lässt – und trotz „Eiszeit“ mit Peking vor allem den Status quo bewahren will.

Taiwans Außenminister Joseph Wu schickte wenige Tage vor der Wahl zuletzt noch eine Warnung in Richtung Peking. China solle nicht zu viel in das Resultat hineininterpretieren, wurde Wu in der „South China Morning Post“ („SCMP“) zitiert. Militär und Regierung würden die Lage nach den Wahlen genau beobachten, kündigte der Außenminister an – und betonte: „Das ist unsere Wahl, nicht jene Chinas.“