Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP)
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Nationalrat

Lob und Tadel für ÖVP-Grünen-Pläne

Auf die Regierungserklärung von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) hat der Nationalrat am Freitag unterschiedlich reagiert. Während die Koalitionsparteien ÖVP und Grüne den Pakt lobten, gab es vonseiten der Opposition teils scharfe Kritik. Besonders schoss sich die FPÖ auf die neue Regierungskonstellation ein.

Die Stimmung vor der Regierungserklärung war etwas angespannt, aber Fronten bildeten sich kaum. Denn die Sitzordnung im Nationalrat lässt das zumindest physisch nicht zu. Denn im Plenarsaal sitzen die Koalitionsparteien nicht nebeneinander, wie es noch vor zwei Jahren unter der ÖVP-FPÖ-Regierung der Fall war. Die „zwei Welten“, wie Kurz das ÖVP-Grünen-Gespann nennt, werden neben so manch inhaltlichen Aspekten auch von den Klubs der FPÖ und von NEOS getrennt.

Thematisch zeigten sich ÖVP und Grüne mehr oder weniger geeint. Für Grünen-Chef Kogler gibt es keine zwei Welten, aber „zwei Sichtweisen“ auf diese eine Welt. „Das, was hier vorliegt, ist ein Pakt einer Regierung mit zwei unterschiedlichen Zugängen“, sagte Kogler. Kritik erntete die Regierung für diese „einzigartige Konstellation“ von FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl. Er habe es noch nie erlebt, „dass Parteien eigentlich nicht miteinander, sondern nebeneinander regieren“, so Kickl in seiner Rede.

Kickl kritisiert Regierung und lobt „Plagiate“

Der „einzige Kitt“, der die Regierung zusammenhält, sei, dass man die FPÖ von der Regierungsverantwortung „weghalten“ möchte. Kickl bezeichnete die ÖVP-Grünen-Koalition als „instabil“. Kritik übte der FPÖ-Klubchef auch am Inhalt des Regierungsprogramms. Maßnahmen zum Klimaschutz würden die Falschen treffen, das Bundesheer wird finanziell ausgehungert und man biete weiterhin „Anreize für eine Massenzuwanderung“, so Kickl.

Eindrücke von der ersten Nationalratssitzung 2020
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Kickl übte scharfe Kritik an der ÖVP-Grünen-Konstellation und nannte sie „instabil“

Lob hatte der FPÖ-Klubobmann für die türkis-grünen „Plagiate“ aus der Zeit der FPÖ-Regierungsbeteiligung parat (Stichwort: Steuerreform und Sicherungshaft). Das geplante Vorgehen gegen „Hasskriminalität“ und Rechtsextremismus ließ den FPÖ-Klubchef schon vor einem „schwarz-grünen Metternich“ warnen. Einen Ordnungsruf holte sich Kickl ein, weil er das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) „kommunistische Tarnorganisation“ nannte.

FPÖ-Klubobmann Kickl kritisiert Regierung

FPÖ-Klubchef Herbert Kickl hat das Programm und die ÖVP-Grünen-Regierung am Freitag im Parlament scharf kritisiert.

Kickl richtete seine Kritik auch an Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der in der Präsidentenloge Platz genommen hatte. Denn er habe seinen „Sanktus“ gegeben, dass die ÖVP sowohl das Innenministerium als auch das Verteidigungsressort besetzt. Der Sicherheitsbereich, so Kickl, sei nun ein „Filialbetrieb der ÖVP Niederösterreich“. Unter der ehemaligen ÖVP-FPÖ-Regierung war Kickl Innenminister und sein Parteikollege Mario Kunasek Verteidigungsminister.

SPÖ nennt Regierung „Wagnis“

Moderater im Ton, aber dennoch kritisch war auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Dass sie ÖVP-Bundeskanzler Kurz eine „zweite Chance“ für eine „faire Zusammenarbeit“ anbot, wurde in den Reihen der ÖVP mit Zwischenrufen quittiert. Inhaltlich lobte Rendi-Wagner zwar den angekündigten Kampf gegen die Klimakrise und gegen Rassismus. Auch der hohe Frauenanteil im Kabinett gefiel der SPÖ-Chefin. Dennoch sieht sie die Regierung als ein „Wagnis zulasten des sozialen Ausgleichs in Österreich“.

Rendi-Wagner mit lobenden Worten zu Regierungsplänen

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hat am Freitag nicht nur kritische, sondern auch lobende Worte für das Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen gefunden.

Denn während bei Steuersenkungen für Reiche und Konzerne Milliarden eingeplant seien, sei für einen fairen Familienbonus kein Geld da. Die SPÖ-Chefin blieb folglich bei ihrer schon mehrfach geäußerten Kritik am Koalitionsabkommen, wenngleich sie mit der koalitionären Farbenlehre diesmal etwas durcheinandergeriet. „Es ist weitgehend ein schwarzes Regierungsprogramm mit türkiser Tarnfarbe – äh, grüner Tarnfarbe“, so Rendi-Wanger.

Finanzminister Blümel entgegnet Kritik

In seiner ersten Rede als Finanzminister hat Gernot Blümel (ÖVP) die Pläne der Regierung gegen die Kritik der Opposition verteidigt.

Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) trat der Kritik der SPÖ, wonach die Regierung Konzerne, nicht aber Menschen entlaste, entgegen. Die Koalition wolle Österreich attraktiv für Investitionen machen, um neue gute Arbeitsplätze im Land zu schaffen. So werde die Senkung der Körperschaftssteuer wesentlich dazu beitragen können, den Standort attraktiver zu gestalten. Beim Familienbonus betonte der Minister, dass auch der Mindestwert angehoben werde, von 250 auf 350 Euro pro Kind.

NEOS: „Absichtserklärung mit Leben füllen“

Für NEOS erklärte Klubchefin Beate Meinl-Reisinger neuerlich, der neuen Regierung eine hunderttägige Schonfrist einzuräumen. Das Ziel der Klimaneutralität begrüßte sie ebenso wie die angekündigte Schaffung einer mittleren Reife nach der 9. Schulstufe und das Integrationsministerium. Sie forderte allerdings die Nachbesserung des in vielen Punkten vagen Regierungsprogramms: „Da sind Absichtserklärungen drinnen, die mit Leben gefüllt werden müssen.“

NEOS-Chefin Meinl-Reisinger vermisst Finanzierung

NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger hat sich kritisch zu den Regierungsplänen geäußert. Ihr fehlen die Finanzierbarkeit der Maßnahmen sowie eine Pensionsreform.

Außerdem vermisste Meinl-Reisinger Angaben zur Finanzierbarkeit der Maßnahmen sowie eine Pensionsreform. „Wir haben eine steigende Lebenserwartung, gleichzeitig gehen wir früher in Pension als 1971.“ „Sehr enttäuscht“ war die NEOS-Chefin, dass die Grünen keine roten Linien bei Sicherungshaft und Bundestrojaner gezogen hätten.

Rückendeckung von Maurer und Wöginger

Zur Verteidigung des Koalitionsabkommens rückten die Klubchefs August Wöginger (ÖVP) und Sigrid Maurer (Grüne) aus. Wöginger betonte, dass das Regierungsprogramm zwar die unterschiedlichen Kräfteverhältnisse abbilde, dennoch seien die Schwerpunkte beider Parteien „sehr gut abgebildet“. Positiv hervorgestrichen wurde von ihm etwa das Pflegekapitel mit der von der Regierung als „Pflegeversicherung“ angekündigten Bündelung der unterschiedlichen Finanzströme.

Maurer lobte die von den Grünen durchgesetzten Inhalte und das „größte Klimaschutzressort, das es je gab“. Dafür habe man bei der Migration schmerzhafte Kompromisse eingehen müssen, räumte sie ein: „Die Sprache, in der diese Passagen formuliert sind, ist nicht die unsere. Es sind die Positionen, die dort formuliert sind, nicht die unseren.“ Sie wisse aber auch, wie dieses Kapitel mit einer Regierungsbeteiligung der FPÖ ausgesehen hätte, so Maurer.

Infrastrukturministerin Gewessler: Historischer Tag

Infrastrukturministerin Leonore Gewessler (Grüne) hat am Freitag angesichts des Regierungspakts von einem historischen Tag, was Klima- und Umweltschutz betrifft, gesprochen.

Auch Infrastrukturministerin Leonore Gewessler (Grüne) sprach von einem historischen Tag, was Klima- und Umweltschutz betreffe. Das Regierungsprogramm biete Chancen für ein Mehr an Lebensqualität, sauberer Luft, Gesundheit und Gerechtigkeit. Ambition der Regierung sei, an die Spitze des europäischen Klimaschutzes zu kommen. Schon im kommenden Jahr werde steuerlich mit sehr konkreten Vorhaben klargestellt, dass sich klimaschonendes Verhalten rechne.

Erster Auftritt der Regierungsspitze im Parlament

Vor den Reaktionen hatte Bundeskanzler Kurz in seiner Rede von einer neuen Form der „Kompromissfindung“ gesprochen, beide Parteien hätten „ihre Handschrift durchgesetzt“. Man schlage jetzt ein „neues Kapitel in diesem Land auf“, sagte der Bundeskanzler. Es folgten Danksagungen und eine Bewertung der globalen Machtverhältnisse („EU ein unglaubliches Erfolgsprojekt, aber oft entscheidungsschwach“).

Rasch kam er inhaltlich auf die geplanten inhaltlichen Schwerpunkte zu sprechen: Steuersenkung, „Reduktion der Schuldenquote Richtung 60 Prozent“, Kampf gegen illegale Migration, Bildung, Pflege sowie Klimapolitik. Auch gehe es darum, so Kurz, die Wirtschaft, den Sozialstaat sowie einen „respektvollen Umgang mit der Schöpfung“ in Einklang zu bringen. Einmal mehr sagte er, man habe das „Beste aus beiden Welten vereint“.

Regierungserklärung von Kurz

Bundeskanzler Kurz (ÖVP) gab zum Auftakt des ersten Nationalrats seine Regierungserklärung ab und informierte die Abgeordneten über die kommende Legislaturperiode.

Anschließend stellte Kurz die ÖVP-Regierungsmitglieder vor: Finanzminister Blümel („wird dafür sorgen, dass Steuerlast sinkt“), Wirtschaftsministerien Margarete Schramböck (Fokus auf „Digitalisierung“), Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger („starke Stimme des ländlichen Raums“), Familienministerin Christine Aschbacher („Maßnahmen für Arbeitsmarkt“), Bildungsminister Heinz Faßmann („Profi im Bereich Bildung“), Staatssekretär Magnus Brenner („Experte für erneuerbare Energie“), Innenminister Karl Nehammer („militärische Verantwortung“) und Verteidigungsministerin Claudia Tanner („für die Sicherheit Österreichs“) sowie Integrationsministerin Susanne Raab und Außenminister Alexander Schallenberg.

Regierungsbank im österreichischen Parlament
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Kogler während seiner Rede, Kurz (r.) sowie Mitglieder der neuen Regierung

Kogler hebt Unterschiede hervor

Während sich der Kanzler mit gut 20 Minuten Redezeit begnügte, nahm sich Kogler mehr als eine halbe Stunde Zeit. Er dankte der Bevölkerung „für die Geduld, dass eine neue Regierung zusammengekommen ist“. Immerhin seien es hundert Tage gewesen. Kogler nahm auf Kurz’ Aussage Bezug, man habe „das Beste aus beiden Welten“ vereint. In Wahrheit gebe es nur eine Welt – „was es aber natürlich gibt, sind mehrere Sichtweisen auf diese Welt – in diesem Fall zwei“, so Kogler. Es handle sich um eine Regierung mit zwei unterschiedlichen Zugängen, dennoch sei es ein guter Pakt im Sinne eines Gesamtkompromisses.

Erklärung von Kogler

Auch Vizekanzler Kogler (Grüne) gab seine Regierungserklärung ab – seine Rede dauerte deutlich länger als jene von Kurz.

Gegen „Spaltung“

Kogler versprach in seiner Rede eine „wehrhafte Demokratie“. Auch thematisierte er die Hasskampagne gegen Justizministerin Alma Zadic (Grüne): „Österreich ist nicht so. Wer seine Heimat liebt, der spaltet sie nicht.“ Heimat sei der Ort, „wo Hirne weit genug denken können, um zu erkennen, dass das sinnvoll ist, was hier gelungen ist“. Der Opposition bot er die Zusammenarbeit an: „Wir strecken unsere Hand aus“, so Kogler.

Regierungsbank im österreichischen Parlament
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Außenminister Schallenberg (4. v. r.) ist die einzige Person, die bereits der Vorgängerregierung unter Brigitte Bierlein angehörte

Vorgebracht wurden vom Vizekanzler diverse Maßnahmen, die ihm im Regierungsprogramm wichtig seien, darunter auch welche, die bisher nicht so im Vordergrund standen wie das Nein zum Mercosur-Abkommen und eine verstärkte Bekämpfung des Steuerbetrugs. Auch dass abgasarme Autos „relativ billiger“ und große „Stinker“ „relativ teurer“ werden, erschien Kogler erwähnenswert.

Wie Kurz für die ÖVP stellte er die grünen Regierungsmitglieder vor: Gewessler übernehme das „Superministerium Klimaschutz“, Sozialminister Rudolf Anschober („16-jährige Regierungserfahrung“) und Ulrike Lunacek (als Kulturstaatssekretärin „kompetent“) und „last but not least Zadic“, deren Werdegang er einmal mehr lobte.