Tsai Ing-wen
AP/Chiang Ying-Ying
Taiwan

Präsidentin Tsai gewinnt Wahl

Die Wähler und Wählerinnen in Taiwan haben den Herrschaftsansprüchen Chinas über den Inselstaat eine klare Absage erteilt. Bei der Präsidentschaftswahl am Samstag wurde die pekingkritische Amtsinhaberin Tsai Ing Wen mit 57 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Ihr Herausforderer Han Kuo Yu kam auf lediglich 38 Prozent der Stimmen.

Schon zuvor hatte der Fernsehsender SET TV am Samstag nach Auszählung von mehr als der Hälfte der Stimmen gemeldet, dass Tsai 57,7 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Der Sender CtiTV gab Tsais Stimmenanteil mit 56,7 Prozent an. Beide Hochrechnungen basieren auf der Auszählung von mehr als zehn Millionen abgegebenen Stimmen. Als Wähler und Wählerinnen registriert waren rund 19 Millionen Taiwaner und Taiwanerinnen.

In ihrer Siegesrede vor ihren Anhängern am Samstag in Taipeh dankte die Amtsinhaberin allen, die sich an der Wahl beteiligt haben – egal, für wen sie gestimmt hätten. „Mit jeder Präsidentenwahl zeigt Taiwan der Welt, wie sehr wir unseren freien und demokratischen Lebensstil zu schätzen wissen.“ In einem Appell an die Weltgemeinschaft rief Tsai zu mehr Anerkennung für die von China isolierte Inselrepublik auf. „Alle Länder sollten Taiwan als Partner, nicht als Problem betrachten.“

Taiwans Staatschefin Tsai Ing Wen
ORF/Josef Dollinger
Präsidentin Tsai Ing Wen verlängert um eine weitere Amtszeit

Der Sieg der Unabhängigkeitsverfechterin und offenen Befürworterin der prodemokratischen Bewegung in Hongkong zeichnete sich zuletzt ab: Tsai lag in den letzten Umfragen deutlich vor ihrem Rivalen Han Kuo Yu von der oppositionellen Kuomintang-Partei. Dieser setzt sich für eine Annäherung an Peking ein. China und Taiwan hatten sich 1949 getrennt.

Stimmungswandel änderte Vorzeichen

Der 62-jährige Bürgermeister der südtaiwanischen Hafenstadt Kaohsiung galt aus diesem Grund als der Lieblingskandidat der Pekinger Führung. Die erhoffte Annäherung dürfte es nun nicht geben: Bereits nach Veröffentlichung der Hochrechnungen gestand Han vielmehr seine Niederlage ein und gratulierte Tsai zu ihrer Wiederwahl.

Seit dem Amtsantritt von Tsai Jahr 2016 hatten sich die Spannungen zwischen Peking und Taipeh verschärft. China sieht Taiwan als abtrünnige Provinz, die wieder mit der Volksrepublik vereinigt werden soll – notfalls auch mit Gewalt. Taiwan ist international zunehmend isoliert. Nur noch 15 Länder pflegen diplomatische Beziehungen mit Taipeh.

Vor rund einem Jahr hätte es angesichts der steigenden Sorgen vor einer offenen Konfrontation mit China schließlich auch kaum jemand für möglich gehalten, dass die Präsidentin wiedergewählt werden könnte. Insbesondere zwischen Mai und August drehte sich dann aber die öffentliche Meinung völlig um – zugunsten der amtierenden Präsidentin.

Psäsidentschaftskandidat der Kuomintang-Partei Daniel Han Kuo-yu
AP/Koki Kataoka
KMT-Spitzenkandidat Han Kuo Yu inszenierte sich im Wahlkampf als „Mann des Volkes“

Es hat viel damit zu tun, dass der Widerstand gegen den Druck Pekings zum mit Abstand wichtigsten Thema geworden ist. Denn als sich die Spannungen in Hongkong im Sommer verschärften und sich folglich in Gewalt entluden, waren in Taiwan auf einen Schlag alle Augen auf die Lage in der chinesischen Sonderverwaltungszone gerichtet. Rasch nahmen die Sorgen zu, auch Taiwan könnte das Schicksal Hongkongs ereilen. Schließlich hat Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping vor rund einem Jahr damit gedroht, Taiwan nach dem gleichen Autonomiemodell wie in Hongkong an die Volksrepublik anschließen zu wollen.

„Druck unvermindert fortgesetzt“

Mit der Neujahrsansprache brachte die Präsidentin jene sorgenvolle Stimmungslage zum Ausdruck, der sie nun ihr Wiederwahl verdankt. „In den vergangenen sechs Monaten konnte die Welt sehen, wie sich die Lage in Hongkong unter ‚ein Land, zwei Systeme‘ verschlechtert hat“, so Tsai. In den vergangenen Jahren hätten sich „Chinas diplomatische Offensive, der militärische Druck, die Einmischung und Infiltration unvermindert fortgesetzt“.

Sie hoffe, dass die Taiwaner von ihrem Wahlrecht Gebrauch machten und Taiwans Demokratie damit stärkten, sagte Tsai nach der Stimmabgabe in Taipeh. Ihr Konkurrent Han wollte sich nicht äußern. Im Wahlkampf hatte er den Urnengang jedoch als Entscheidung zwischen „Frieden oder Krise“ dargestellt.

Als dritter Kandidat war der 77-jährige James Soong von der kleinen konservativen People-First-Partei angetreten. Der Veteran der taiwanischen Politik kandidierte bereits zum vierten Mal, doch wurden ihm bereits im Vorfeld wenig Chancen eingeräumt.