Wrackteile der Abgeschossenen Boeing 737-800
AP/Ukrainian Presidential Press Office
Boeing abgeschossen

Iran entschuldigt sich für „Tragödie“

Nach dem Eingeständnis, dass die Ursache des Absturzes des ukrainischen Passagierjets am Mittwoch nahe Teheran eine Luftabwehrrakete gewesen ist, hat sich der Iran offiziell entschuldigt. Die Regierung sprach von einer „Tragödie und einem unentschuldbaren Fehler“. Die Revolutionsgarden übernahmen die Verantwortung und machten eine Verkettung unglücklicher Umstände für den Abschuss verantwortlich.

Die Islamische Republik hatte erst Samstagfrüh eingeräumt, dass die Boeing 737-800 der Ukraine International Airlines (UIA) am Mittwoch kurz nach dem Start vom Flughafen der Hauptstadt Teheran irrtümlich abgeschossen worden war und doch keine – wie zuvor behauptet – technischen Gründe hatte. Der Luftwaffenchef der Revolutionsgarden, Amirali Hadschisadeh, sagte wenige Stunden später, die Maschine sei fälschlicherweise für einen Marschflugkörper im Anflug auf eine strategisch wichtige Militärbasis in Teheran gehalten worden.

Der iranische Präsident Hassan Rouhani schrieb im Kurzbotschaftendienst Twitter, sein Land bedaure den Abschuss „zutiefst“. Die interne Untersuchung der Streitkräfte habe ergeben, dass „wegen menschlichen Versagens abgeschossene Raketen bedauerlicherweise den grauenhaften Absturz des ukrainischen Flugzeugs und den Tod von 176 unschuldigen Menschen verursacht“ hätten. Die Ermittlungen dauerten an. Rouhani sprach von einer „großen Tragödie und einem unentschuldbaren Fehler“.

Einsatzkrädte am Absturzort eines ukrainischen Flugzeuges im Iran
AP/Ebrahim Noroozi
Das Flugzeug der Ukraine International Airlines wurde am Mittwoch kurz nach dem Start in Teheran abgeschossen

Telefongespräch mit Selenski

Rouhani hatte sich auch in einem Telefongespräch mit seinem ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenski offiziell bei der Ukraine entschuldigt. „Das Zugeben der ‚Raketenversion‘ als Ursache für die Katastrophe hat den Weg für die Fortsetzung der Ermittlungen ohne Verzögerungen und Behinderungen geöffnet“, sagte Selenski. Kiew werde an Teheran eine offizielle Note unter anderem mit Kompensationsforderungen senden, so Selenski weiter einer Mitteilung zufolge am Samstag.

Rouhani versicherte, dass alle Schuldigen für den Fehler des iranischen Militärs zur Verantwortung gezogen würden und mit juristischen Konsequenzen rechnen müssten. „Wir werden in jeder Hinsicht unsere juristischen Verpflichtungen einhalten“, teilte das iranische Präsidialamt mit. Laut Selenski sollen die Toten bereits in der kommenden Woche in die Ukraine zurückgeführt werden. Teheran habe zugesichert, das zu ermöglichen.

Außenminister sieht Mitschuld bei USA

Auch der iranische Außenminister Mohammed Dschawad Sarif entschuldigte sich. „Unser tiefes Bedauern, Entschuldigungen und Beileid gegenüber unserem Volk, den Familien aller Opfer und anderen betroffenen Nationen“, schrieb Sarif ebenfalls via Twitter. Es handle sich um einen „traurigen Tag“. Zugleich gab er den USA eine Mitschuld: Menschliches Versagen „zur Zeit der durch das Abenteurertum der USA verursachten Krise“ habe „zu einem Desaster geführt“.

Unterdessen kam es im Iran zu regierungskritischen Kundgebungen. Eine Gruppe von Protestierenden forderte am Samstag sogar den Rücktritt des obersten geistlichen Führers Ajatollah Ali Chamenei, der in der Islamischen Republik bisher als politisch unangreifbar galt. Dies zeigten auf Twitter veröffentlichte Videos.

Die halbamtliche Nachrichtenagentur Fars berichtete zudem, dass bei Protesten in Teheran Bilder von General Kassem Soleimani zerrissen wurden, dessen Tötung durch die USA noch vor wenigen Tagen eine Solidaritätswelle im Land ausgelöst hatte. Laut Fars nahmen 700 bis 1.000 Menschen an der Kundgebung teil. Sie hätten auch regierungskritische Slogans gerufen.

Revolutionsgarden nennen Details

Zuvor schilderte Luftwaffenchef Hadschisadeh in einer TV-Ansprache eine Verkettung unglücklicher Umstände, die zu der Flugzeugtragödie geführt hätten. Der am Mittwoch verantwortliche Offizier hätte die Gefahr durch den vermeintlichen Angriff melden wollen, doch genau zu dem Zeitpunkt habe es einen Defekt im Kommunikationssystem gegeben.

Der Offizier habe dann nur wenige Sekunden gehabt, um zu entscheiden, ob er Feuerbefehl geben soll oder nicht. „Und leider tat er es, was dann zu dem Unglück führte.“ Das militärische Kommunikationsproblem sei jedoch „keine Rechtfertigung und unverzeihlich“, so Hadschisadeh.

Luftwaffengeneral wollte „lieber tot sein“

„Als ich davon erfahren habe, wünschte ich mir, lieber selbst tot zu sein, statt Zeuge dieses Unglücks“, sagte Hadschisadeh. Er trage die „volle Verantwortung“ und sei bereit, alle Konsequenzen zu tragen. Gleichzeitig verteidigte dieser die zivile Luftfahrtbehörde, die tagelang den Abschuss geleugnet hatte. „Sie trifft keine Schuld, weil sie das Ganze aus technischer Sicht gesehen haben und nichts über den Ablauf wussten.“ Seiner Einschätzung nach hätte es aber an dem Tag landesweit ein Flugverbot geben sollen, weil sich das Land in einer Art Kriegssituation befunden habe.

Nur wenige Stunden vor Hadschisadehs TV-Ansprache hatte der Iran eingeräumt, tatsächlich für den Absturz des Flugzeugs verantwortlich zu sein. Das Militär habe die Maschine „unbeabsichtigt“ abgeschossen, es handle sich um einen „menschlichen Fehler“, hieß es in einer in der Früh veröffentlichten Presseerklärung der iranischen Armee. Nach Angaben der Streitkräfte gab es an dem Unglückstag mehrere US-Drohungen, iranische Ziele anzugreifen. Daher habe im iranischen Militär „höchste Alarmbereitschaft“ geherrscht.

Jörg Winter (ORF) aus Teheran

Der Iran war nach dem Boeing-Absturz zunächst sehr zurückhaltend, öffnet sich jetzt aber doch den internationalen Untersuchungsbehörden. Warum dieser Schwenk? Jörg Winter berichtet.

Die für den Abschuss verantwortliche Person werde vor ein Militärgericht gestellt, es werde wegen des „unbeabsichtigten Abschusses“ juristisch vorgegangen. Außerdem müssten die Details des Vorfalls öffentlich erläutert werden. Auch die Streitkräfte entschuldigten sich bei den Familien der Opfer und versprachen, dass solch ein „Fehler“ nicht mehr vorkommen werde.

Vorwürfe als „Psychospielchen“ bezeichnet

Laut einem Bericht der halbstaatlichen Nachrichtenagentur FARS sei zunächst der religiöse und politische Führer des Iran, Chamenei darüber informiert worden, dass die Passagiermaschine abgeschossen worden war. Nach einem Treffen des Nationalen Sicherheitsrats habe er gesagt, dass die Information öffentlich gemacht werden solle.

AUA streicht Teheran-Flüge

Mehrere ausländische Fluggesellschaften, auch Lufthansa und die AUA, haben derzeit ihre Flüge nach Teheran eingestellt. Laut AUA-Angaben vom Freitag sind die Teheran-Flüge derzeit bis einschließlich 20. Jänner gestrichen.

Vor dem nun erfolgten öffentlichen Eingeständnis hatte der Iran einen Abschuss der Maschine vehement bestritten und erklärt, eine technische Ursache habe zu der Katastrophe geführt. Ein Abschuss sei technisch und wissenschaftlich absurd, hatte der Leiter der iranischen Luftfahrtbehörde, Ali Abedsadeh, erklärt. Die Untersuchungen würden bald erweisen, dass die Amerikaner mit solchen Gerüchten nur versuchten, das international angekratzte Image von Boeing nicht noch weiter zu beschädigen.

Regierungssprecher Ali Rabiei hatte gesagt, die US-Regierung solle bei der technischen Aufklärung der Absturzursache mithelfen, statt Lügen zu verbreiten und „Psychospielchen“ zu betreiben. Die zivile Luftfahrtbehörde des Iran hatte am Donnerstag überraschend schnell einen vorläufigen Bericht vorgelegt, worin von einem technischen Problem kurz nach dem Start die Rede war.

Erst noch hartnäckige Dementis

Mehrere Länder wie Großbritannien und Kanada äußerten in der Folge die Vermutung, das Flugzeug könnte abgeschossen worden sein. Auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg wollte die Abschussthese nicht ausschließen und forderte eine umfassende Untersuchung. Am Freitag hieß es dann auch von US-Seite: „Wir glauben, dass es wahrscheinlich ist, dass dieses Flugzeug durch eine iranische Rakete abgeschossen wurde.“

Einsatzkräfte bei der Absturzstelle des ukrainischen Flugzeugs nahe Teheran
AP/Ebrahim Noroozi
Von iranischer Seite war zunächst von einem technischen Defekt die Rede

Der Iran blieb zunächst bei seinem Dementi und lud mehrere ausländische Expertenteams, auch eines von Boeing, nach Teheran ein, um zusammen mit iranischen und ukrainischen Experten die Blackboxen der Maschine zu untersuchen. Am Freitag hatten die Ermittlungen dann begonnen. Iranische und ukrainische Experten nahmen ihre Arbeit in einem Labor auf dem Flughafen Mehrabad in der Hauptstadt Teheran auf.

Europäische Airlines sollen Luftraum des Iran meiden

Die Boeing der ukrainischen Fluggesellschaft UIA war Mittwochfrüh in der Nähe von Teheran abgestürzt, alle 176 Insassen wurden getötet. Bei den Opfern handelte es sich vor allem um iranischstämmige Kanadier, Afghanen, Briten, Schweden und Ukrainer. Die UIA wies inzwischen auch Andeutungen zurück, wonach das Flugzeug von seiner normalen Route abgewichen sein könnte. Der Flug sei strikt auf Kurs gewesen, hieß es am Samstag. Vor dem Start habe es keine Warnung aus Teheran über eine mögliche Bedrohung gegeben.

Die Europäische Flugaufsicht (EASA) forderte am Samstag indessen die europäischen Airlines auf, den iranischen Luftraum zu meiden. Das gelte bis auf Weiteres, teilt die Aufsicht mit. Bisher hatte sie lediglich darauf hingewiesen, dass die iranischen Behörden den Airlines einen Überflug des iranischen Luftraums unterhalb von 25.000 Fuß (rund 7.600 Metern) verboten hat.