Iranische Bürger demonstrieren gegen die Regierung
Reuters/Wana News Agency
Iran

Ziviler Druck und diplomatische Krise

Die iranische Führung gerät wegen des Abschusses einer ukrainischen Passagiermaschine zunehmend auch im eigenen Land unter Druck. Nach Protesten in zahlreichen Städten am Samstag legten am Sonntag mehrere Medien nach. Wegen der Verhaftung des britischen Botschafters bahnt sich auch eine diplomatische Krise an.

„Entschuldigen und zurücktreten“, forderte die moderate „Etemad“ am Sonntag auf ihrer Titelseite. Einträgen auf Twitter zufolge versammelten sich vor der Universität in Teheran und in anderen Städten auch wieder zahlreiche Demonstrierende – wie sie es schon beim Gedenken am Samstagabend getan hatten. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

Der Iran hatte am Samstag nach tagelangem Leugnen zugegeben, dass der Absturz der ukrainischen Passagiermaschine am Mittwoch nicht auf einen Defekt zurückging, sondern durch einen Raketenbeschuss verursacht wurde. Das sei unabsichtlich geschehen. Die Revolutionsgarden übernahmen die Verantwortung. Alle 176 Insassen starben, darunter viele Iraner und Iranerinnen mit doppelter Staatsbürgerschaft.

Britischer Botschafter: „Illegal, in allen Ländern“

Nach dem Eingeständnis und der offiziellen Entschuldigung kam es in mehreren iranischen Städten zum Samstagabend hin zu Protesten, darunter in Teheran, wo Tausende gegen den politischen und religiösen Führer Ajatollah Ali Chamenei demonstrierten und „Tod dem Diktator“ skandierten. Die Polizei setzte Tränengas gegen die Demonstranten und Demonstrantinnen ein. Die Proteste wurden aufgelöst – davor wurde der britische Botschafter festgenommen.

Druck auf iranisches Regime wächst

Nach dem versehentlichen Abschuss einer ukrainischen Passagiermaschine im Iran wächst der Druck auf das iranische Regime. Hunderte Demonstranten fordern den Rücktritt des obersten geistlichen Führers.

Nach Angaben der iranischen Nachrichtenagentur Mehr wurde Botschafter Rob Macaire wegen der „Beteiligung an der Anstiftung“ der Proteste für mehrere Stunden verhaftet. Macaire ist nach eigenen Angaben beim Gedenken an die Opfer des Abschusses anwesend gewesen, sei aber nach rund fünf Minuten wieder gegangen, als erste regierungsfeindliche Slogans ertönt seien, erklärte er auf Englisch und Farsi auf Twitter.

Eine halbe Stunde später sei er festgenommen worden. Das iranische Außenministerium teilte am Sonntag mit, dass Macaire als „unbekannter Ausländer bei einem illegalen Zusammentreffen“ verhaftet worden sei. Nach 15 Minuten sei die Identität überprüft worden und er konnte gehen. Zuvor teilte Macaire mit, dass die Festnahme von Botschaftern „illegal, in allen Ländern“ sei. Der Iran bestellte ihn trotzdem am Sonntag in das Außenministerium. Mit seiner Teilnahme habe er gegen diplomatische Vorschriften verstoßen.

Internationale Kritik an Festnahme

Der britische Außenminister Dominic Raab hatte angesichts der Verhaftung schon zuvor von einem „eklatanten Verstoß gegen internationales Recht“ gesprochen. Eine Sprecherin des US-Außenministeriums warf Teheran vor, das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen zu verletzen, und forderte eine Entschuldigung gegenüber London. Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell mahnte auf Twitter die „umfassende Einhaltung der Wiener Konvention“ an.

Österreichs Außenministerium verurteilte ebenso die Festnahme des britischen Botschafters. „Die Verhaftung steht im vollkommenen Widerspruch zur Wiener Diplomatenrechtskonvention“, hieß es auf Anfrage von ORF.at. Auch Deutschland und Frankreich kritisierten das Vorgehen der iranischen Behörden. Es werde erwartet, dass der Iran seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkomme, hieß es in einer kurzen Mitteilung des Pariser Außenministeriums. Die Bundesregierung in Deutschland bezeichnete die Festnahme als „völlig inakzeptablen Verstoß gegen internationales Recht“.

Nach der Wiener Diplomatenrechtskonvention genießen Botschafter und Botschafterinnen sowie andere Entsandte im Gastland diplomatische Immunität. Sie sind damit vor straf-, zivilrechtlicher oder administrativer Verfolgung geschützt. Außerdem heißt es in Artikel 29: „Die Person des Diplomaten ist unverletzlich. Er unterliegt keiner Festnahme oder Haft irgendwelcher Art.“

Parlament soll Abschuss der Boeing untersuchen

Das iranische Parlament soll die Vorgänge im Zusammenhang mit dem Abschuss der Passagiermaschine untersuchen. Die Parlamentsausschüsse für Sicherheit und Außenpolitik sollten sich mit diesem „schwerwiegenden Zwischenfall“ befassen und nach Wegen suchen, wie ähnliche Katastrophen in der Zukunft vermieden werden könnten, sagte Parlamentspräsident Ali Larijani am Sonntag. Er äußerte sich nach einer nicht öffentlichen Stellungnahme des Chefs der Revolutionsgarden, Hossein Salami, vor dem Parlament.

Einsatzkrädte am Absturzort eines ukrainischen Flugzeuges im Iran
AP/Ebrahim Noroozi
Das Flugzeug der Ukraine International Airlines wurde am Mittwoch kurz nach dem Start in Teheran abgeschossen

Die Teheraner Tageszeitungen, deren Berichterstattung im Allgemeinen regierungstreu ist, kritisierten den Abschuss der Boeing in ihren Sonntag-Ausgaben als „unverzeihlichen“ Fehler. Die Zeitung „Iran“ veröffentlichte die Namen sämtlicher Opfer des Unglücks, unter denen zahlreiche in ihrer Heimat und im Ausland lebende Iraner waren.

In einem Kommentar der ebenfalls moderaten Tageszeitung „Jomhuri-ye Eslami“ hieß es: "Diejenigen, die die Veröffentlichung der Ursache für den Flugzeugabsturz verzögert und das Vertrauen der Bevölkerung in das Establishment beschädigt haben, sollten entlassen werden oder zurücktreten. "Die Zeitung „Jawan“, die den Revolutionsgarden nahe steht, entschuldigte sich „zutiefst“ für den „schmerzlichen Fehler“.