Atomanlage Buschehr
Reuters/Mehr News Agency/Majid Asgaripour
Atomabkommen

Europa erhöht Druck auf Iran – und auf USA

Angesichts der Verstöße des Iran gegen das internationale Atomabkommen erhöhen Deutschland, Frankreich und Großbritannien den Druck auf Teheran: Sie aktivierten am Dienstag den im Vertrag enthaltenen Streitschlichtungsmechanismus, wie das Auswärtige Amt in Berlin mitteilte. Ziel sei es, das Atomabkommen mit dem Iran „durch konstruktiven diplomatischen Dialog“ zu retten, hieß es in Richtung US-Präsident Donald Trump.

Das 2015 geschlossene Abkommen soll den Iran am Bau einer Atombombe hindern. Nach dem einseitigen Ausstieg der USA im Mai 2018 zog sich auch der Iran schrittweise aus der Vereinbarung zurück. Nach dem in Wien vereinbarten Atomabkommen kann jeder Vertragspartner die „Gemeinsame Kommission“ anrufen, wenn er glaubt, dass ein anderer Partner gegen die Vereinbarung verstößt. Die Kommission hat dann 15 Tage Zeit, den Streit zu schlichten. Sie kann diese Frist aber auch ausdehnen, wenn alle Beteiligten dem zustimmen.

Wird sie nicht verlängert, eskaliert der Fall, was am Ende zur Wiedereinsetzung der UNO-Sanktionen gegen den Iran führen kann – falls der UNO-Sicherheitsrat nicht dagegen entscheidet. In europäischen Diplomatenkreisen war in den vergangenen Wochen indes mehrfach darauf verwiesen worden, dass der Start des Mechanismus keinen Automatismus zurück zur Wiedereinsetzung der UNO-Sanktionen bedeutet. Der Streitschlichtungsmechanismus ist die einzige Eskalationsstufe, die das Atomabkommen vor einer Aufkündigung oder einer Wiedereinsetzung der UNO-Sanktionen enthält.

EU-Außenchef mahnt zu Rettung des Abkommens

Die EU betonte die Notwendigkeit einer Einigung. Es seien nun „intensive Anstrengungen aller“ nötig, um das Abkommen zu erhalten, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Dienstag. Angesichts „der anhaltenden gefährlichen Eskalation“ in der Golfregion sei die Rettung des Abkommens „wichtiger den je“.

Borrell sagte, er werde als Koordinator der dafür vertraglich vereinbarten Kommission die Aufsicht über die Schlichtung haben. Er unterstrich ausdrücklich das Ziel der drei europäischen Staaten, den als JCPOA bekannten Vertrag zu retten. „Der Streitschlichtungsmechanismus benötigt intensive Bemühungen und guten Willen von allen. Als Koordinator erwarte ich von allen Teilnehmern am JCPOA, dass sie dieses Verfahren in diesem Geiste angehen.“

Der Iran reagierte auf den Start des Streitschlichtungsverfahrens verärgert. Teheran drohte Europa mit „Konsequenzen“. Wenn die Europäer versuchen sollten, den im internationalen Atomabkommen vorgesehenen Schlichtungsmechanismus „zu missbrauchen, müssen sie bereit für die Konsequenzen sein“, teilte das iranische Außenministerium mit.

Johnson bringt neuen Deal ins Spiel

Der britische Premierminister Boris Johnson brachte in einem BBC-Interview eine neue Variante ins Spiel: US-Präsident Trump könnte ein neues Atomabkommen mit dem Iran aushandeln. „Wenn wir es abschaffen, dann lasst es uns ersetzen, und lasst es uns ersetzen mit dem Trump-Deal“, sagte Johnson. „Das wäre ein guter Weg nach vorne.“ Trump sei ja nach eigener Auffassung großartig darin, Deals zu machen, so Johnson. Aus Sicht der US-Amerikaner habe das jetzige Nuklearabkommen „viele, viele Mängel“. Einer davon sei, dass es von Trumps Vorgänger Barack Obama ausgehandelt worden sei. Er wolle jedenfalls keinen militärischen Konflikt zwischen Großbritannien, den USA und dem Iran. „Lasst uns die Sache herunterschrauben!“

Streit über britischen Botschafter

Großbritannien liegt derzeit selbst mit dem Iran im Clinch, nachdem der britische Botschafter in Teheran, Rob Macaire, kurzzeitig festgesetzt wurde, nachdem er nach eigenen Angaben an einer Trauerkundgebung in Teheran für die Absturzopfer der abgeschossenen ukrainischen Passagiermaschine teilgenommen hatte, unter denen auch Briten waren.

„Ein britischer Botschafter nimmt an einer illegalen Kundgebung teil, macht Bilder und Videos … das ist für uns in keiner Weise akzeptabel“, sagte Justizsprecher Gholam-Hossein Ismaili laut Nachrichtenagentur ISNA. Macaire war eigenen Angaben zufolge an einer Trauerkundgebung für die Absturzopfer, aber nicht an einer Demonstration beteiligt. ISNA-Angaben zufolge hat er das Land am Mittwoch verlassen.

Trump will „maximalen Druck“

Trump hatte den Ausstieg aus dem Atomabkommen unter anderem damit begründet, dass es weder das Raketenprogramm des Iran noch dessen Verbindungen zu extremistischen Gruppen im Nahen Osten begrenze. Der US-Präsident will den Iran mit einer Politik des „maximalen Drucks“ zu Verhandlungen über eine solch umfassende Vereinbarung zwingen.

Die Europäer stehen dagegen auf dem Standpunkt, dass sich die Führung in Teheran eher auf der Basis eines für die Wirtschaft des Iran profitablen Atomabkommens zu weitgehenderen Verhandlungen bewegen ließe. Die US-Sanktionen, die sich unter anderem gegen den für den Iran lebenswichtigen Erdölexport richten, haben den Aufschwung durch das Atomabkommen von 2015 jedoch zunichtegemacht und belasten die Wirtschaft des Landes schwer.

Als Reaktion darauf hält der Iran seit Juli zunehmend Verpflichtungen aus der Vereinbarung nicht mehr ein. Zuletzt kündigte die Führung in Teheran an, künftig auch die Auflagen zu Menge und Höhe der Urananreicherung nicht mehr zu beachten. Der Iran befolgt allerdings weiter die Auflage, der internationalen Gemeinschaft Einblick in sein Atomprogramm zu geben. Damit herrscht noch immer weitgehend Transparenz darüber, wie stark das Land mit seinem Atomprogramm voranschreitet.

Kerry-Appell an Europäer

Unterstützung bekamen die europäischen Staaten vom ehemaligen US-Außenministers John Kerry: Sie dürften dem Druck aus Washington „nicht nachgeben“, sagte er. Das Atomabkommen sei „der stärkste, transparenteste und am besten zu überprüfende Nuklearvertrag“ der Welt. „Wir dürfen nicht zulassen, dass ein Lügner das zerstört“, sagte Kerry mit Verweis auf Trump, den er für die Eskalation in der Golfregion verantwortlich macht. Mit seinem einseitigen Ausstieg aus dem internationalen Atomabkommen im Mai 2018 habe Trump eine höchst gefährliche Entwicklung in Gang gesetzt.

Kerry übte auch heftige Kritik an der von Trump angeordneten Tötung des einflussreichen iranischen Generals Kassem Soleimani. Trump habe diese Entscheidung bereits im vergangenen Juni gefällt, sagte Kerry. Jetzt betreibe der US-Präsident „eine Vertuschungsaktion“, so Kerry. Die Welt dürfe nicht „durch Lügen an den Rand eines Krieges gebracht werden“.