Die Bandmitglieder von Oehl, der isländische Multiinstrumentalist Hjörtur Hjörleifsson und der Wiener Liedermacher Ari Oehl
Tim Cavadini
Popduo Oehl

Geheimtipp auf dem Weg nach oben

Rap-Rocker Casper ist ein Fan, die Hip-Hop-Legenden Fettes Brot sind Fans, Herbert Grönemeyer hat sie zu seinem Plattenlabel geholt: Das österreichisch-isländische Popduo Oehl hat sich in der deutschsprachigen Musikszene binnen kürzester Zeit einen Namen gemacht. Nun legen Sänger Ariel Oehl und Multiinstrumentalist Hjörtür Hjörleifsson ihr Debütalbum vor – und beweisen mit elf Pop-Perlen, dass sie verdientermaßen auf den Playlists der Stars stehen.

Manchmal dauert es Jahre, bis eine Karriere Fahrt aufnimmt. In anderen Fällen geht alles ganz schnell. Letzteres ist der Band Oehl („Öl“ ausgesprochen) passiert. Die erste Single „Neue Wildnis“ erschien Anfang 2018. Im Sommer desselben Jahres legte das Popduo das Lied „Keramik“ nach. Über Wege, die sich nicht mehr nachvollziehen lassen, kam der Song dem deutschen Rap-Rocker Casper zu Ohren – und der war sofort begeistert: „Es ist so (…) gut produziert und gut gemacht, wie es nur ein Isländer und ein Österreicher können“, sagte der Musiker („So perfekt“) im Herbst in einem Podcast. Kurz vor Weihnachten veröffentlichte Casper auf Instagram eine Liste mit seinen Lieblingsliedern des Jahres 2018. Auf Platz eins: „Keramik“ von Oehl.

Die Empfehlung bescherte Oehl Hunderttausende Plays auf Spotify und erregte die Aufmerksamkeit anderer Künstler. Fettes Brot präsentierten „Keramik“ in einer Sendung für den Schweizer Rundfunk. Das wiederum weckte das Interesse Grönemeyers. Der deutsche Superstar holte die Band zu seinem Plattenlabel Grönland Records, wo nun Oehls Debütalbum „Über Nacht“ erschienen ist.

Außerdem nahm er das Duo, das live als Quintett auftritt, im Herbst 2019 mit auf seine „Tumult“-Tournee durch die großen Hallen und Stadien im deutschsprachigen Raum. Und so begab es sich, dass die Band ihr erst viertes Konzert überhaupt nicht etwa vor 200 oder 2.000, sondern gleich vor über 20.000 Menschen spielte.

Schwermut und Leichtfüßigkeit

Mit „Über Nacht“ peilen Oehl den nächsten Karriereschritt an. Man will sich nicht mehr auf die Mundpropaganda von Casper und Co. verlassen müssen. Die Popgeschichte ist voll von Bands, die Generationen von Musikerinnen und Musikern inspirierten, kommerziell aber nie einen Nutzen daraus ziehen konnten. „Es wäre schön, wenn wir nicht die einflussreiche Band werden, die keiner kennt“, sagte Songwriter Ariel Oehl im Gespräch mit ORF.at.

Der Zauber der elf Songs auf Oehls erstem Langspieler liegt in der Verbindung von Schwermut und musikalischer Leichtfüßigkeit. In seinen Texten greift der Songwriter Themen wie Verlustangst, den Tod und die Suche nach dem Glauben auf. „Keramik“ etwa habe er für seinen kleinen Sohn geschrieben, sagte Oehl: „Im Lied geht es darum: Wie kann ich ihn so begleiten, dass für mich noch Platz in seinem Leben ist, wenn er erwachsen ist?“

Die Bandmitglieder von Oehl, der isländische Multiinstrumentalist Hjörtur Hjörleifsson und der Wiener Liedermacher Ari Oehl
Tim Cavadini
Songwriter Oehl (r.) und Bassist Hjörleifsson: Schwermütige Texte, verpackt in leichtfüßigen Pop

Im Song „Über Nacht“ verarbeitet Oehl den Tod einer langjährigen Freundin. Dabei nimmt er einen Umweg über die griechische Mythologie. „Dorthin, wo ich hinwill, fährt keine Bahn. Kein freundliches Gesicht, nur der Fährmann. Was würd’ ich geben dort, Orpheus zu sein. Wer sich zu früh umdreht, verfällt dem Schein.“ In der allerersten Single „Neue Wildnis“ verbergen sich zwei Zeilen aus Rainer Maria Rilkes „Herbsttag“, zudem findet sich ein Bezug auf ein Gedicht der deutschen Schriftstellerin Elisabeth Borchers.

Der Bass als lebendiger Organismus

Die Alltagssprache sei ihm ein wenig zu langweilig, sagte Oehl im Interview. „Es muss immer ein bisschen mehr sein. Durch die Referenzen bekommt das Ganze eine gewisse Tiefe. Es sättigt die Texte und macht sie weniger flüchtig.“ Was niedergeschrieben etwas verkopft klingt, ist in den Texten elegant umgesetzt. Jeder Satz wirkt wohlüberlegt und auf das Wesentliche reduziert. Oehl zufolge hat das viel mit der „behäbigen“ deutschen Sprache zu tun: „Bis ein deutscher Satz gesungen gut klingt, braucht es einfach.“ Mit englischen Texten würde Oehls Musik „viel glatter klingen“, ergänzte Hjörleifsson. „Beim Liedermachen braucht man immer etwas, das widerstrebt und Spannung schafft. Die deutsche Sprache ist da ein gutes Instrument.“

Die Musik dagegen ist alles andere als behäbig. Jedes Instrument bekommt Raum, um sich zu entfalten. Hjörleifssons Bass bewegt sich wie ein lebender Organismus durch die Synthesizerflächen. In Zusammenspiel mit den Beats und Rhythmen machen sie viele der Stücke auf „Über Nacht“ tanzbar und schaffen ein Gegengewicht zur Schwere der Texte. Ein Beispiel hierfür liefert der Song „Wolken“, in dem leichte Melodien auf düstere Worte treffen. Nicht beeindruckende Wolkenformationen am blauen Himmel werden besungen, sondern „graue Wolken“, die einem die Stimmung trüben.

Albumhinweis

„Über Nacht“ von Oehl ist bei Grönland Records erschienen. Live zu sehen ist die Band das nächste Mal am 14. Februar im Club Milla in München. Das nächste Konzert in Österreich geben Oehl am 5. März in der Kulturbackstube Innsbruck. Eine FM4-Session mit Oehl gibt es auf fm4.ORF.at.

Verantwortlich für die Produktion zeichnet Marco Kleebauer. Der Oberösterreicher ist eine Hälfte des Popduos Leyya und hat sich in den vergangenen Jahren als Produzent etabliert. Kleebauer war bei den letzten beiden Bilderbuch-Alben als Produzent an Bord, im Vorjahr veröffentlichte er zudem seine erste Soloplatte „Magnolia“. Auf Oehls „Über Nacht“ ist er auch als Songwriter dabei – und sei Teil der Band geworden, wie Oehl und Hjörleifsson sagten. Ebenfalls auf dem Album zu hören ist die andere Hälfte von Leyya: Sängerin Sophie Lindinger steuerte zu einigen Songs den Hintergrundgesang bei.

Schallplatte mit „Bedienungsanleitung“

„Über Nacht“ ist auch auf Schallplatte erschienen, als weißes Vinyl – und mit einer „Bedienungsanleitung“, wie Songwriter Oehl gegenüber ORF.at erklärte: „Eine Seite haben wir ‚nachts‘ betitelt, die andere ‚morgens‘. Der optimale Zeitpunkt, unser Album zu hören, ist 20 Minuten vor Mitternacht. Und um Mitternacht dreht man die Platte um und hört 20 Minuten am Morgen.“