Die Ombudsfrau für Wertefragen und Kulturkonflikte, Susanne Wiesinger
APA/Helmut Fohringer
Ombudsfrau freigestellt

Wiesinger-Buch schlägt weiter Wellen

Das Buch „Machtkampf im Ministerium“ der Ombudsfrau für Wertefragen und Kulturkonflikte im Bildungsressort, Susanne Wiesinger, schlägt am Tag vor seiner Veröffentlichung weiter Wellen. Das Ministerium bestätigte ORF.at am Sonntag, dass Wiesinger bereits von ihrer Tätigkeit in der Ombudsstelle freigestellt wurde – auch auf deren eigenen Wunsch, wie betont wurde. Die Opposition übte scharfe Kritik an ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann und der „parteipolitischen Message-Control“ der ÖVP.

Die Zusammenarbeit mit Wiesinger wäre im Februar ohnehin ausgelaufen, sagte der Generalsekretär im Bildungsministerium, Martin Netzer, gegenüber ORF.at. Nun habe man die Pädagogin früher freistellen müssen. Bereits am Samstag hatte sich Netzer in einer Aussendung „enttäuscht“ über Wiesingers „Bruch des Vertrauens“ gezeigt.

Das Rechercheportal Addendum – in dessen Buchverlag, der Edition QVV, das Buch am Montag erscheinen wird – berichtete am Sonntag, Wiesinger habe von ihrer Freistellung „aus den Medien erfahren“. Im Bildungsministerium stellt man das gegenüber ORF.at in Abrede: Wiesinger sei am Samstag über ihre Freistellung informiert worden, so Netzer. Bei dem Gespräch habe auch Wiesinger deutlich gemacht, ihre Tätigkeit frühzeitig beenden zu wollen, betonte der Generalsekretär.

Netzer: „Lösungsansätze für Regionen und Schulen“

Vor eineinhalb Jahren hatte Wiesinger mit ihrem Buch „Kulturkampf im Klassenzimmer – Wie der Islam die Schulen verändert“ für Aufsehen gesorgt. Unter der ÖVP-FPÖ-Regierung wurde die Wiener Pädagogin – die sich selbst als „Rote, sogar eine linke Rote“ beschrieb und ehemals Personalvertreterin in der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen war – zur Ombudsfrau für Wertefragen und Kulturkonflikte im Bildungsressort ernannt.

Ihren Posten hatte Wiesinger im Februar 2019 angetreten. Das Buch über Integrationsprobleme in den Klassenzimmern sei der Grund für ihr Engagement gewesen, so Netzer: „Ihr Buch war ein Problemaufriss. Die Idee war es, mit ihr Lösungsansätze für Regionen und Schulstandorte zu erarbeiten.“ Im vergangenen Jahr war Wiesinger deshalb in Schulen in ganz Österreich auf „Zuhörtour“.

In ihrer Zeit als Leiterin der Ombudsstelle hätte Wiesinger rund 160 Gesprächstermine mit Hunderten Lehrerinnen und Lehrern absolviert, berichtete Addendum, in dessen Buchverlag Edition QVV 2018 bereits „Kulturkampf im Klassenzimmer“ erschienen ist. Hinter dem Verlag steht Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz.

„Politische Vereinnahmung des Lehrkörpers“

In dem Buch habe Wiesinger ihre „Erfahrungen zu Papier gebracht – ein erschütterndes Fazit, das nun viel Staub aufwirbelt“, schrieb die „Kronen Zeitung“ am Samstagabend über den Inhalt. Laut der Zeitung klagt Wiesinger darin über die „politische Vereinnahmung des Lehrkörpers“ und „Message Control durch Beamte“. Zudem bekrittle sie das „Ignorieren brennender Probleme“ sowie „Versuche, sie, Wiesinger, zu steuern“.

Einzelne Buchauszüge „lesen sich stellenweise wie eine Anklage“, berichtete auch die „Presse am Sonntag“, der nach eigenen Angaben ebenfalls Passagen des Buches vorlagen. Von Anfang an habe sie einen „Berater des Ministeriums zur Seite gestellt“ bekommen, schreibt Wiesinger laut der Zeitung in dem Buch – allerdings nicht zur Unterstützung ihrer Arbeit, sondern um „mich zu kontrollieren“.

Ex-Schüssel-Sprecherin als Beraterin

Im Ministerium weist man die Kritik Wiesingers, man habe sie über einen Berater kontrollieren wollen, zurück. Wiesinger habe zu Beginn ihrer Tätigkeit deutlich gemacht, nicht mit dem Kabinett des damaligen ÖVP-Bildungsministers Faßmann zusammenarbeiten zu wollen. Daher habe man ihr eine externe Beraterin zur Verfügung gestellt, so Netzer.

Heinz Faßmann und Susanne Wiesinger
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Im Dezember 2018 wurde Wiesinger von Bildungsminister Faßmann als Ombudsfrau präsentiert

Es handelte sich um Heidi Glück, die frühere Pressesprecherin von Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP). Glück habe lange im Bildungsministerium gearbeitet und kenne die Rechtslage, so der Generalsekretär. Einen täglichen Kontakt zwischen Glück und Wiesinger habe es nicht gegeben. Auch ihr Büro habe die Pädagogin nicht im Bildungsministerium gehabt.

Generell sei die Ombudsstelle „weisungsfrei“ und arbeite „unabhängig vom Kabinett des Ministers“, sagte Netzer. Glück übte am Sonntag in der „Kronen Zeitung“ scharfe Kritik an Wiesinger: Das Buch sei „ein klarer Vertrauensbruch“. Und: „Sie hat ihre Rolle offenbar mehr als Maulwurf im Ministerium denn als Ombudsfrau angelegt. Das ist unmoralisch.“

Keine rechtlichen Schritte des Ministeriums

Die im Rahmen von Wiesingers „Zuhörtour“ zusammengetragenen Erkenntnisse hätten eigentlich in einen Bericht des Ministeriums einfließen sollen, dessen Präsentation Schlusspunkt von Wiesingers Tätigkeit als Ombudsfrau gewesen wäre. Dazu wird es nun nicht kommen. Einblick in das Buch beziehungsweise in die von Wiesinger gesammelten Daten habe man nicht gehabt, so Netzer. Das Einzige, was dem Ministerium vorliege, sei ein Zwischenbericht Wiesingers, den die Pädagogin Übergangsministerin Iris Rauskala präsentiert hatte.

Buch sorgt für Wirbel im Bildungsministerium

Ein am Montag erscheinendes Buch der Lehrerin Susanne Wiesinger sorgt für Wirbel im Bildungsministerium. Wiesinger wurde von ihrer Tätigkeit in der Ombudsstelle für Wertefragen und Kulturkonflikte freigestellt.

Rechtliche Schritte gegen Wiesinger wegen Nichterfüllung ihres Auftrags werde man keine einleiten, sagte Netzer gegenüber ORF.at. Ob es ein Disziplinarverfahren – etwa wegen Bruchs des Amtsgeheimnisses – geben werde, sei Sache der zuständigen Stelle in der Wiener Bildungsdirektion. Wiesinger ist Landeslehrerin in Wien und sei vom Ministerium nur „ausgeliehen“ worden. Das Ministerium verwies darauf, dass Wiesinger „wiederholt“ erklärt habe, „nach ihrer Funktion als Ombudsfrau wieder in die Schulpraxis zurückkehren zu wollen“. Die Entscheidung darüber müsse die Wiener Bildungsdirektion treffen.

Die Ombudsstelle für Wertefragen und Kulturkonflikte soll laut Netzer erhalten bleiben. Wer Wiesinger an der Spitze nachfolgen soll, stehe noch nicht fest. Ebenfalls noch nicht entschieden ist, ob eine andere Expertin oder ein anderer Experte die Arbeit am von Wiesinger begonnenen Bericht weiterführen wird. „Das wäre auf alle Fälle im Sinne des Ministeriums“, so Netzer.

Faßmann: Buch ist „Themenverfehlung“

Bildungsminister Faßmann hatte sich bereits am Samstag „außerordentlich irritiert“ über Wiesingers Vorgehensweise gezeigt. Gegenüber der „Presse am Sonntag“ bezeichnete Faßmann das Buch als „Themenverfehlung“. Nur im ersten Teil gehe es um die Abläufe im Bildungsressort. Im restlichen Buch beschreibe Wiesinger, was sie auf ihrer „Zuhörtour“ durch Österreichs Schulen gehört habe.

Kritik von FPÖ, SPÖ und NEOS

Die FPÖ kritisierte Wiesingers medial kolportierte Entlassung indes als „Versuch, kritische Stimmen mundtot zu machen“. „ÖVP-Minister Faßmann bestraft Susanne Wiesinger anscheinend dafür, dass sie ihre Meinung niedergeschrieben hat“, erklärte FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl am Sonntag in einer Aussendung. FPÖ-Parteichef Norbert Hofer forderte Faßmann auf, die Entscheidung bezüglich Wiesinger zu überdenken.

Die SPÖ sah die kolportierte Abberufung Wiesingers als „direkte Auswirkung der Message Control des Systems Kurz“. „In den Schulen, besonders in jenen, wo die Herausforderungen groß sind, ist viel zu tun. Da kann der richtige Weg nur sein, dass man die Probleme der Lehrerinnen und Lehrer ernst nimmt. Parteipolitische Message Control ist hier völlig fehl am Platz“, so SPÖ-Bildungssprecherin Sonja Hammerschmid laut Aussendung.

NEOS-Bildungssprecherin Martina Künsberg Sarre kündigte eine parlamentarische Anfrage an. Wiesinger habe den Auftrag gehabt, einen unabhängigen Bericht über die Situation an den österreichischen Schulen zu erarbeiten. „Das wollte die ÖVP aber offenbar von Anfang an unbedingt verhindern. Vielmehr sollte Wiesingers Arbeit, wie sie schreibt, ausschließlich die politischen Positionen der Volkspartei untermauern“, so Künsberg Sarre weiter. Dass Wiesinger nun „diskreditiert“ und „vor die Tür gesetzt“ werde, sei inakzeptabel.