Dissens im Dachverband der Sozialversicherungen

Die vom Chef des neuen Dachverbandes, Peter Lehner, beschworene Harmonie in den Sozialversicherungsträgern funktioniert doch nicht so klaglos. Barbara Teiber, Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten (FSG) in der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), warf Lehner, der auch Obmann der Selbstständigenkasse SVS ist, heute vor, „nichts als Verachtung“ für die Arbeitnehmer zu zeigen.

Lehner hatte gestern in einem Interview gemeint, dass seit der weitgehenden Bestätigung der Sozialversicherungsreform durch den Verfassungsgerichtshof inhaltlicher Konsens im Mittelpunkt stehe und im Dachverband in zwei Sitzungen nur einstimmige Beschlüsse gefallen seien. Gleichzeitig hatte der Obmann der Selbstständigenkasse SVS einen Risikoausgleich für die ÖGK ebenso abgelehnt wie eine Angleichung der Leistungen für die ÖGK-Versicherten an jene der Beamten und Selbstständigen.

„Nichts als Verachtung“ für Arbeitnehmer

Für Teiber hat Lehner damit klar zu erkennen gegeben, worum es bei der Kassenfusion gegangen sei: „Die guten Kuchenstücke für Selbstständige, Bauern, Beamte und Politiker, die Krumen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Privatwirtschaft“, so Teiber in einer Aussendung.

Für die Arbeitnehmer zeige Lehner „nichts als Verachtung", wenn er unterschiedliche Versicherungsleistungen für Arbeitnehmer der Privatwirtschaft auf der einen Seite und Bauern, Selbstständige, Beamte und Politiker auf der andere Seite gutheißt mit dem Argument, man habe Wahlfreiheit bei der Berufswahl. Das ist zynisch und lebensfern“.

Als Obmann des Dachverbandes habe Lehner im Sinne aller Versicherten zu agieren und sich nicht vor den Karren von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) spannen zu lassen, so Teiber. FSG-Vorsitzender Rainer Wimmer sagte, von der Sozialversicherungsreform würden nur die Vertreter der Wirtschaft profitieren.

Zweite Vorsitzende widerspricht Lehner

Nicht einer Meinung mit Lehner ist auch Ingrid Reischl, die zweite Vorsitzende, die sich mit Lehner halbjährlich abwechselt. Die Leistungen müssten von den Arbeitern und Arbeiterinnen und Angestellten bis zu den Selbstständigen über alle Krankenversicherungsträger hinweg gleich sein, sagte sie.

Das sei eine Frage der Gerechtigkeit „und damit eines unserer wichtigsten Ziele“, fügte die leitende ÖGB-Sekretärin hinzu. Und auch einen Risikostrukturausgleich zwischen den Trägern hält sie aus Fairnessgründen für notwendig.

Kritik auch von NEOS

Kritik kam auch von NEOS. NEOS-Gesundheitssprecher Gerald Loacker hielt Lehner vor, in seinen Interviews „nichts als heiße Luft in leeren Phrasen“ verbreitet zu haben. Er sehe keinerlei Ambitionen für ein solidarisches Gesundheitssystem, bei dem alle Versicherten für die gleiche Beitragslogik auch die gleiche Leistung bekommen, so Loacker in einer Aussendung.

Lehner weiche mit seiner Ablehnung für einen einheitlichen Leistungskatalog und einen Risikostrukturausgleich zwischen den Trägern von einer Studie seiner eigenen Wirtschaftskammer ab.

Wirtschaftsbund verteidigt Lehner

Der Generalsekretär des ÖVP-Wirtschaftsbundes, Kurt Egger, verteidigte hingegen Lehner und meinte, dass manche FSG-Funktionäre den Machtverlust in den Krankenkassen offensichtlich noch nicht überwunden hätten. Keine einzige Hiobsbotschaft der FSG, von angeblichen Privatisierungen oder höheren Selbstbehalten, sei bisher eingetroffen.