Filmszene aus „The Lodge“, im Bild: Grace (Riley Keough)
SquareOne Entertainment
„The Lodge“

Eiskaltes Fegefeuer

Ein einsames Haus, zwei Kinder, eine Mutter – mehr brauchen Severin Fiala und Veronika Franz nicht, um ihr Publikum das Fürchten zu lehren. So war es 2014 in „Ich seh, ich seh“. Und so ist es wieder in „The Lodge“, dem ersten englischsprachigen Horrorfilm des österreichischen Regieduos.

„The Lodge“ spielt, wie der Titel schon sagt, in einer Hütte, genauer gesagt in einer Blockhütte, einsam versunken im tiefverschneiten kanadischen Wald. Hier fährt kurz vor Weihnachten ein Jeep vor, darin ein Vater (Richard Armitage) mit seinen Kindern, Ayden (Jaeden Martell) und dessen jüngerer Schwester Mia (Lia McHugh).

Mit dabei ist auch die junge Freundin des Vaters, Grace, (gespielt von Elvis Presleys Enkelin Riley Keough) und ihr weißer Schoßhund. Es ist leicht zu sehen, dass die Kinder die Neue verachten. Sie halten zu ihrer Mutter (Alicia Silverstone), die der Vater für die andere verließ. Und gerade hier in der Hütte erinnert jeder Zentimeter an vergangene Zeiten mit der damals noch intakten Familie.

Filmszene aus „The Lodge“ – Frau blickt aus dem Fenster in die winterliche Landschaft
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„Wir sehen unsere Häuser als Charaktere, die im Spiel eine eigene Rolle übernehmen“, so Regisseurin Veronika Franz

Die Koffer sind noch nicht ausgepackt, da erhält der Vater eine Nachricht. Er wird in der Stadt, am Arbeitsplatz gebraucht. Ob die Freundin bei den Kindern bleiben kann? Es sind ja nur ein paar Tage. Der Vater fährt, und lässt die anderen in der Hütte zurück, wo sie langsam eingeschneit werden.

„Häuser als Charaktere“

„Wir sehen unsere Häuser als Charaktere, die im Spiel eine eigene Rolle übernehmen. Insofern sind sie ambivalent“, erklärte Regisseurin Franz im Gespräch mit ORF.at. „Ein Haus kann Heimat sein oder zu einem Ort der Angst und Depression werden.“ Dass dieses Haus jedenfalls keine Geborgenheit spendet, wird spätestens klar, wenn der Strom ausfällt, die Lebensmittelvorräte geplündert werden und die Weihnachtsdekoration verschwindet. Doch wer oder was ist hier am Werk? Hat Grace damit zu tun, in der die Kinder bei einer Google-Recherche die einzige Überlebende einer Selbstmordsekte erkennen?

Horrorthriller „The Lodge“ ab sofort im Kino

Mit ihrem Debütfilm „Ich seh ich seh“ feierte das Regieduo Veronika Franz und Severin Fiala einen großen internationalen Erfolg. Ihr neuer Film „The Lodge“ läuft nun in Österreich an.

Dutzende Schneeengel, Körperabdrücke, wie Kinder sie hinterlassen, erscheinen über Nacht vor der Terrasse. Und auch das Eis des Sees vor der Haustür ist brüchiger als gedacht: „Die Frage ist immer: Was verbirgt sich hinter den Oberflächen?“, so Fiala. „Die Ausstattung eines Hauses bedeutet für eine Familie Identität. Das war so bei ‚Ich seh, ich seh‘, und bei ‚The Lodge‘ ist es so ähnlich.“

Nichts für schwache Nerven

Im Innern der Hütte holt eine geheimnisvolle Kraft ihr erstes Opfer – und beginnt so einen Kampf um die Wahrnehmung. Wer ist Täter, wer Opfer, wer träumt, wer lebt – und wer ist längst gestorben? Die Hausbewohner scheinen ebenso verloren ahnungslos wie das Publikum. Bei ihrem Spiel der Täuschungen und falschen Fährten kennen Fiala und Franz kein Pardon: „The Lodge“ ist definitiv nichts für schwache Nerven und könnte Zuschauerinnen und Zuschauer, die empathisch auf Kinder und Hunde reagieren, verstören. Als Faustregel könnte gelten: Wer Michael Hanekes „Funny Games“ hasste, sollte „The Lodge“ lieber meiden.

Filmszene aus „The Lodge“
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Nichts für schwache Nerven: In „The Lodge“ scheint eine geheimnisvolle Kraft am Werk

„Ausgesetzt in dieser Einsamkeit wollten wir eine Fegefeuer-Situation schaffen“, bringt Franz ihr Vorhaben auf den Punkt, „eine Zwischenwelt zwischen Gut und Böse, zwischen Lüge und Wahrheit, das sollte dieses Haus sein. Draußen liegt die Landschaft wahnsinnig schön, dunkel und kalt: Ich stelle mir ja das Fegefeuer nicht heiß vor.“

Alptraumversion des Vertrauten

Das sich entwickelnde Kammerspiel hat der griechische Kameramann Thimios Bakatakis („The Lobster“, „The Killing of a Sacred Deer“) in hypnotische Bilder gepackt. Sein Blick bleibt dicht bei Kindern und Mutter. Eine angeschlagene Mutter, die wie in „Ich seh, ich seh“ auch nicht die „richtige“ Mutter ist. Sie ist nur eine Fast-Mutter, eine unheimliche Nachahmerin, vor der man sich fürchtet, zumal der Film Hinweise auf ein psychisches Leiden streut.

Gerade deshalb ist „The Lodge“ wohl auch so beklemmend. Er greift, ganz im Sinne des „Unheimlichen“ gemäß Sigmund Freud Vertrautes auf und wandelt es ab, was „The Lodge“ so heftig macht. Denn wer könnte schon von sich behaupten, nie Kind gewesen, in einem Haus gewohnt oder keine Mutter gehabt zu haben?

„Meine Mutter hat mit mir Erschrecken unter der Bettdecke gespielt“, erinnert sich Franz an eine Szene aus ihrer eigenen Kindheit. „Einmal hat sie es so gut gespielt, dass ich dachte, sie ist wirklich verwandelt. Das Vertraute, hatte sich verschoben. Mich hat’s gegruselt, noch lange danach. So funktionieren auch unsere Filme. Die bauen nicht auf Jump-Scares, also schnelle Schreckmomente, sondern auf Ängste, die in den Zuschauern liegen.“