Deutsche Kanzlerin  Angela Merkel und Bundeskanzler Sebastian Kurz bei einer Pressekonferenz
APA/AFP/John Macdougall
Treffen in Berlin

Kurz und Merkel ringen um Einigkeit

Von Transitfragen über den nächsten EU-Finanzplan bis hin zur Rettungsmission „Sophia“: Das Themenspektrum beim Antrittsbesuch von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in Berlin war breit. Während sich Kurz und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zwar in puncto EU-Finanzrahmen einig waren, lagen ihre Positionen in vielen anderen Fragen weit auseinander.

Beim mehrjährigen Finanzrahmen der EU für die Jahre 2021 bis 2027 wolle man sich eng abstimmen, betonten Kurz und Merkel am Montag. „Wir sitzen hier im selben Boot“, so der Kanzler. Die EU-Kommission schlägt vor, dass der EU-Haushalt 1,114 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) aller – nach dem Brexit nunmehr – 27 EU-Staaten betragen soll. Das EU-Parlament fordert sogar 1,3 Prozent. Eine Gruppe von Nettozahlern, darunter Österreich, will allerdings nicht mehr als ein Prozent bereitstellen. Bei einer Videokonferenz mit anderen Nettozahlerstaaten bekräftigte Kurz seine Position erneut, wie er gegenüber der APA bestätigte.

Zuletzt war ein Kompromissvorschlag der finnischen Ratspräsidentschaft von 1,07 Prozent von den EU-Staaten abgelehnt worden. Nun will Kroatien, das im ersten Halbjahr 2020 den EU-Ratsvorsitz innehat, einen neuen Kompromissvorschlag liefern, um zu einer Einigung zu kommen. EU-Ratspräsident Charles Michel, der die Verhandlungen leitet, hat für den 20. Februar einen Gipfel der EU-Staats- und -Regierungschefs einberufen, wo er eine Einigung über den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen erzielen möchte.

Deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Bundeskanzler Sebastian Kurz bei einer Pressekonferenz
Reuters/Hannibal Hanschke
Deutsche Pläne für eine Finanztransaktionssteuer lehnt Kurz in Berlin neuerlich ab

Vertragsänderungen im Rahmen einer Reform der EU können sich sowohl Kurz als auch Merkel vorstellen. Entscheidend werde am Ende sein, wofür die EU das Geld ausgeben wolle, so Merkel. So dränge sie auf mehr Geld, etwa für Forschung, betonte die deutsche Kanzlerin. Zudem gehe es auch darum, Strukturhilfen für Ostdeutschland mit der langen Grenze zu Polen und Tschechien zu sichern.

Festgefahrene Positionen bei Mission „Sophia“

Weit auseinander lagen die Ansichten von Kurz und Merkel aber bei einer Handvoll weiterer Fragen: Hinsichtlich einer Wiederaufnahme der EU-Rettungsmission „Sophia“ konnten die beiden keinen Kompromiss finden. Während Kurz erklärte, dass durch Rettungsaktionen im Mittelmeer das Sterben im Mittelmeer nicht habe beendet werden können, erklärte Merkel, dass ihre Argumentation hier eine andere sei. „Ich glaube, dass es besser ist, eine staatliche Mission zu haben“ als private Schiffe, mit denen Menschen aus Seenot gerettet werden. Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne) sagte indes, dass er einen Neustart der EU-Marinemission „sehr begrüßen“ würde.

Streit um Seenotrettung

Dreieinhalb Jahre dauerte die umstrittene EU-Rettungsmission „Sophia“. Seit April ist die EU nicht mehr mit Schiffen im Einsatz, sondern beschränkt sich auf Luftraumüberwachung. Doch mittlerweile werden Stimmen laut, die Mission wieder aufzunehmen.

Der „Sophia“-Einsatz gegen Schlepper hatte ab 2015 Zehntausende Geflüchtete aus Seenot vor der libyschen Küste im Mittelmeer gerettet und nach Europa gebracht. Seit April 2019 ist die EU nicht mehr mit Schiffen im Rahmen von „Sophia“ im Einsatz, sondern beschränkt sich nur noch auf die Ausbildung der libyschen Küstenwache. Grund dafür ist, dass die EU-Staaten sich nicht auf ein System zur Verteilung Geretteter einigen konnten.

Zuletzt hatten sich mehrere Politiker für die Wiederbelebung der Militärmission zwecks Kontrolle des UNO-Embargos, um Waffenlieferungen an die Kriegsparteien in Libyen zu unterbinden, ausgesprochen. Vor allem Österreich und Italien sind aber dagegen. Kurz sagte, eine Argumentation wie die von Merkel sei für ihn „nicht nachvollziehbar“. Die Einhaltung des Waffenembargos könne besser aus der Luft und zu gegebener Zeit auch an Land in Libyen überwacht werden.

Kurz durchkreuzt deutsche Pläne

Für Unmut auf deutscher Seite sorgte indes, dass Kurz die deutschen Pläne für eine Steuer auf Aktienkäufe auf EU-Ebene weiterhin vehement ablehnt. Die vom deutschen Finanzminister Olaf Scholz (SPD) vorgeschlagene Finanztransaktionssteuer werde sein Land so nicht akzeptieren, sagte er. Merkel betonte, Deutschland werde trotzdem weiter Gespräche führen – und zeigte sich dabei kompromissbereit. „Es darf nur nicht so sein, dass mit einer Veränderung dann gleich fünf andere Länder wieder abspringen“, betonte die Kanzlerin. Die Finanztransaktionssteuer sei „eine sehr schwierige Kiste“.

Über diese Steuer wird auf EU-Ebene seit 2011 verhandelt. Unter den Staaten gab es keine Mehrheit, einige Länder versuchen nun, die Abgabe per „vertiefte Zusammenarbeit“ einzuführen. Nach Scholz’ Vorschlag soll bei Aktienkäufen eine Steuer von 0,2 Prozent anfallen. Es sollen jedoch nicht alle Finanzgeschäfte besteuert werden.

„Politische Augenwischerei“

Kurz kritisierte, die Pläne aus Berlin und Paris hätten mit den ursprünglichen Vorschlägen aus zahlreichen EU-Ländern nichts mehr zu tun. „Wir sind dagegen, hochspekulative Geschäfte und Derivate von einer Finanztransaktionssteuer auszunehmen und stattdessen die Realwirtschaft und die Kleinanleger zu bestrafen“, sagte er am Wochenende der Zeitung „Welt“. Er wäre „vorsichtig, die möglichen Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer jetzt schon zu verplanen“, betonte Kurz. Scholz rechnet mit Einnahmen von 1,5 Milliarden Euro jährlich. Das Geld ist zur Finanzierung der Grundrente vorgesehen, auf das sich die Koalition nach langen Verhandlungen geeinigt hatte.

Kurz trifft Merkel in Berlin

Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ist für einen zweitägigen Antrittsbesuch zu seiner Amtskollegin Angela Merkel nach Deutschland gereist. Zu besprechen gab es vieles – etwa die Themen Klimapolitik und Migration.

Die SPD-Fraktion warf Kurz „politische Augenwischerei“ vor. Auch die SPD wünsche sich eine umfassendere Steuer – dafür werde es in absehbarer Zeit aber keine Mehrheit in Europa geben, sagte Fraktionsvize Achim Post der Deutschen Presse-Agentur. Auch das deutsche Finanzministerium verteidigte Scholz’ Pläne: International habe sich eine solche Steuer bewährt, fast die Hälfte der G20-Staaten habe sie. Es sei nicht einzusehen, warum beim Kauf eines Apfels Steuern anfielen, bei Aktien aber nicht, sagte ein Sprecher am Montag.

Außerdem habe man über die Transitfrage gesprochen, erklärte Kurz. Der Transitverkehr durch Tirol über die Brenner-Route sei für Österreich sehr problematisch und viermal so hoch wie in der Schweiz. Hier brauche man Unterstützung für die Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene, sagte der Kanzler im Vorfeld des Treffens mit Merkel.

Kurz hält ähnliche Koalition in Deutschland für realistisch

Gefragt, ob er Deutschland das Modell einer Koalition mit den Grünen empfehlen würde, meinte Kurz auf der Pressekonferenz mit Merkel, er wolle sich „ganz bewusst“ nicht einmischen in die deutsche Politik. Er räumte jedoch ein, er habe sich dazu „verleiten lassen, eine Wette einzugehen, nämlich dass ich mir durchaus vorstellen kann, dass nach der nächsten Wahl in Deutschland vielleicht eine ähnliche Koalition realistisch ist“.

Merkel konstatierte, dass sich die Gesprächsbasis ihrer CDU mit den deutschen Grünen nach den Sondierungsgesprächen nach der Bundestagswahl 2017 verbessert habe, man aber erst die Wahlen abwarten müsse. Der Vorsitzende der deutschen Grünen, Robert Habeck, wies Kurz’ Koalitionsspekulationen daraufhin zurück.