Bild einer Schulnachricht mit Ziffernnoten.
picturedesk.com/EXPA/Jakob Gruber
Semesterzeugnis

Debatte über Ziffernnoten reißt nicht ab

Kurz vor der Vergabe der Semesterzeugnisse in den nächsten fünf Bundesländern reißt die Debatte über die Sinnhaftigkeit von Ziffernnoten in der Volksschule nicht ab. In Vorarlberg, wo die Ferien am Freitag beginnen, drohen jenen Lehrerinnen, die alle Kinder der dritten Klasse ausschließlich mit „Gut“ benoten wollen, dienstrechtliche Konsequenzen.

Ab dem Jahreszeugnis der zweiten Klasse müssen künftig verpflichtend Ziffernnoten vergeben werden, beschlossen wurde das von der vergangenen ÖVP-FPÖ-Regierung. An der Vorarlberger Volksschule Lustenau-Kirchdorf, wo es bisher im alternativpädagogischen Zweig erst ab der vierten Klasse Ziffernnoten gab, setzt man aus Protest gegen die ausgeweitete Notenpflicht auf Aktionismus: Alle Kinder der dortigen dritten Klasse sollen im Semesterzeugnis mit „Gut“ beurteilt werden.

Auch wenn die neue Regelung erst ab dem Jahreszeugnis schlagend wird, drohen Lehrerinnnen und Lehrern, die Einheitsnoten vergeben, disziplinarrechtliche Strafen – vom einfachen Verweis über Geldstrafen bis zur Kündigung – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at.

Eltern wollen Zeugnis nicht annehmen

In einer anderen Vorarlberger Volksschule will ein Teil der Eltern das Ziffernnotenzeugnis gar nicht in Empfang nehmen. In einem Manifest an das Bildungsministerium fordern sie die schulautonome Entscheidungsmöglichkeit für die alternative Leistungsbeurteilung ohne Ziffernnoten, unterstützt werden sie vom Direktor der Schule – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at.

Nachdem sich am Dienstag die Grünen in Vorarlberg hinter die Lehrerinnen gestellt haben, kommt jetzt Rückendeckung aus weiteren Parteien. Die Vorarlberger SPÖ-Bildungssprecherin Manuela Auer unterstützt ebenfalls den Protest für die Beibehaltung der alternativen Beurteilungsmethoden. Auch die Vorarlberger NEOS-Klubobfrau Sabine Scheffknecht stellt sich demonstrativ hinter die inhaltlichen Anliegen der Lehrerinnen und Lehrer. „Die Rückkehr zum Notenzwang, also zur verpflichtenden Beurteilung von Volksschulkindern mit Ziffernnoten, ist ein bildungspolitischer Rückschritt“, sagte Scheffknecht in einer Aussendung.

Eltern starten Petitionen

Unterstützung für die Aktion kommt auch vom Landeselternverband. Die jüngste Gesetzesänderung habe jahrelange gemeinsame Bemühungen von Eltern und Lehrkräften um aussagekräftige und motivierende Beurteilungen zunichtegemacht, so der Landeselternverband. Die aktuelle Gesetzgebung sei ein Schlag gegen alle Reformbemühungen und gegen die Schulautonomie – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at.

In Wien, wo die Schulnachrichten schon vorigen Freitag verteilt wurden, macht sich der Landeselternverband gegen die Ziffernnotenpflicht stark. Auch Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) spricht von einer „Zwangsbeglückung“ – mehr dazu in wien.ORF.at.

Faßmann schließt Diskussion auf Regierungsebene aus

ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann hält Ziffernnoten jedoch für wichtig und schließt eine neue Diskussion auf Regierungsebene aus: „Die Ziffernnote ist so etwas wie eine Rückmeldung an Schüler und Schülerinnen, aber natürlich auch an Eltern, wie die Lernerfolge des Kindes sind. Zusätzlich gibt es eine verbale Beurteilung, die eine Ziffernnote noch einmal zusätzlich interpretiert. Ich glaube, das ist eine vernünftige Regelung.“

Noten seien immer ein emotionales Thema, so Martin Netzer, Generalsekretär im Bildungsministerium gegenüber „Wien heute“. Weil Transparenz in der Notenvergabe wichtig sei, gebe es jetzt das System der Kompetenzraster, durch das die Noten besser nachvollziehbarer würden. „Damit sind wir insgesamt sicher auf einem guten Weg.“

Widerstand gegen Ziffernnoten

Die ÖVP-FPÖ-Regierung hat Ziffernnoten ab der zweiten Volksschule eingeführt. In Wien regt sich an vielen Schulen Widerstand gegen die Maßnahme.

Grüne für Schulautonomie

Innerhalb der aktuellen Koalition gibt es allerdings ebenfalls Kritik am Beschluss der vorigen. Die Bildungssprecherin der Grünen, Sybille Hamann, spricht sich gegenüber ORF.at für eine Rückkehr zur Schulautonomie aus. Dass die Bildungsdirektion in Vorarlberg die betreffenden Lehrerinnen mit dienstrechtlichen Konsequenzen bedrohe, sei absurd.

Die FPÖ, unter deren Mitregierung die Änderung beschlossen wurde, spricht sich weiter klar für Ziffernnoten aus. „Dass dies einer Stärkung des Leistungsgedankens dient, wird wohl gerne von mancher Seite negiert“, so der freiheitliche Unterrichtssprecher Hermann Brückl in einer Aussendung. „Denn es hat sich noch ein jedes Kind darüber gefreut, mit einem Einser nach Hause zu kommen. Darüber hinaus sind etwaige verbale Beurteilungen eine gute Ergänzung und können Verbesserungspotenzial in verschiedenen Bereichen aufzeigen“, so Brückl.

Kritik von SPÖ und NEOS

Kritik kam von SPÖ-Bildungssprecherin Sonja Hammerschmid, die in einer Aussendung den Zwang zu Ziffernnoten in den Volksschulen kritisierte. Der Zwang zu Ziffernnoten stehe im krassen Widerspruch zur aktuellen Bildungsforschung. „Dass Ziffernnoten zur Beurteilung ungeeignet sind, ist in der Pädagogik seit Jahrzehnten unumstritten, da sie schon bei den Jüngsten einen enormen Leistungsdruck aufbauen und noch dazu wenig aussagekräftig sind. Das ist dem Lernerfolg nicht zuträglich.“

Auch NEOS-Bildungssprecherin Martina Künsberg Sarre sprach sich in einer Aussendung vorige Woche gegen Ziffernnoten aus. „Die Bundesregierung ist auf dem Holzweg, wenn sie glaubt, dass durch Ziffernnoten Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern gehoben werden. Das ist genau das Gegenteil von entwicklungspsychologischen Erkenntnissen und ist vor allem eine weitere Benachteiligung für Kinder aus bildungsfernen Schichten." Es brauche dringend moderne Konzepte – „die Einführung eines echten Chancenindex für mehr als 100 Schulen wäre ein erster, wichtiger und richtiger Schritt“.

Zusätzlich zu Noten auch Verbalbeurteilung

In allen Volksschuljahrgängen ist durch die Neuregelung zusätzlich zu den Ziffernnoten eine Verbalbeurteilung vorgesehen. Formale Kriterien, wie diese auszusehen hat, gibt es nicht. Im dazugehörigen Erlass heißt es nur, dass die schriftliche Erläuterung in jedem Pflichtgegenstand darüber Aufschluss geben muss, in welchem Ausmaß die Kinder die im Lehrplan vorgesehenen Kompetenzen erreicht haben. Vom Bildungsministerium gibt es als Hilfestellung Kompetenzraster samt Formulierungsvorschlägen für die Lehrer.

Bis zur Neuregelung konnten sich die Schulen in den ersten drei Volksschulklassen autonom anstelle von Ziffernnoten für eine schriftliche „Leistungsinformation“ entscheiden. Im Vergleich dazu gibt es mit der Neuregelung also maximal zwei Zeugnisse (zweite und dritte Klasse) und eine Schulnachricht (dritte Klasse) mehr, in denen die Leistung der Kinder mit Ziffernnoten bewertet werden muss.