Der FDP-Politiker Thomas Kemmerich
Reuters/Wolfgang Rattay
Thüringen

Großes Taktieren für Neustart

FDP-Politiker Thomas Kemmerich tritt als Ministerpräsident zurück, die Große Koalition in Berlin spricht ein Machtwort: Im Thüringen-Debakel sind am Wochenende zwar Weichen gestellt, aber noch keine Lösungen präsentiert worden. Die AfD brachte ein Manöver ins Spiel, um Rot-Rot-Grün zu verhindern. Aber auch die anderen Parteien taktieren bereits.

Nach drei Tagen erklärte Kemmerich am Samstag seinen sofortigen Rücktritt vom Amt des Ministerpräsidenten, in das er mit den Stimmen der AfD gewählt worden war. Der Schritt, den er am Freitag noch abgelehnt hatte, erfolgte gleichzeitig mit dem Treffen des Koalitionsausschusses in Berlin, bei dem die Spitzen von Union und SPD mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel über Thüringen berieten.

Jetzt gehe es darum, schnell für stabile und klare Verhältnisse zu sorgen, hieß es in einem Beschluss des Koalitionsausschusses. Als nächster Schritt müsse „umgehend ein neuer Ministerpräsident im Landtag gewählt“ werden. „Aus Gründen der Legitimation der Politik“ seien unabhängig davon „baldige Neuwahlen“ erforderlich. Die Parteien der Großen Koalition bekräftigten: „Regierungsbildungen und politische Mehrheiten mit Stimmen der AfD schließen wir aus.“

AfD-Taktik gegen Rot-Rot-Grün

Die AfD hingegen brachte sich bereits erneut in Stellung. Der AfD-Fraktionsvorsitzende im deutschen Bundestag, Alexander Gauland, hatte der Thüringer AfD empfohlen, bei einer neuerlichen Ministerpräsidentenwahl den Ex-Regierungschef Bodo Ramelow (Linke) zu wählen, „um ihn sicher zu verhindern“. Er dürfte das Amt dann nicht annehmen, wenn er Stimmen von der AfD erhalte, so Gauland. Der Thüringer AfD-Fraktionsgeschäftsführer Torben Braga sagte jedoch am Sonntag, dass er nicht davon ausgehe, dass auch nur ein Abgeordneter der Partei für Ramelow stimmen werde.

Die Linke in Thüringen verurteilte die von Gauland angekündigte Taktik zur Verhinderung von Rot-Rot-Grün. Der AfD gehe es „überhaupt nicht um die Demokratie“, schrieb Ramelow im Kurzbotschaftendienst Twitter. „Vor dem Rücktritt Kemmerichs wollte man mich aus dem Amt jagen und nun wählen? So agieren Demokratieverächter!“ Gaulands Aufforderung zeige die Absicht der AfD, „die demokratischen Institutionen kaputtzumachen“, sagte Thüringens Linken-Chefin Susanne Hennig-Wellsow.

Sitzverteilung im Landtag (Tortengrafik)
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Ramelow werde daher erst wieder als Kandidat aufgestellt, „wenn wir eine demokratische Mehrheit garantieren können“. Die Linke will dazu das Gespräch mit CDU und FDP suchen. Der Linken-Bundesvorsitzende Bernd Riexinger rief die CDU auf, Ramelows Wiederwahl zu ermöglichen. Die Linke sei nicht gegen Neuwahlen in Thüringen, bei denen sie laut Umfragen deutlich zulegen könnte, sagte Riexinger am Sonntag. Kurzfristig wäre es aber die bessere Lösung, Ramelow würde erneut ins Amt gewählt.

Lindner fordert „unabhängige Persönlichkeit“

Die SPD beharrt auf der Wahl des Linken-Politikers Ramelow zum Thüringer Ministerpräsidenten – zumindest für eine Übergangszeit bis zu Neuwahlen. Das machten die Bundesvorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken deutlich. Sie forderten CDU und FDP auf, für die dafür notwendige Mehrheit im Landtag zu sorgen. Die SPD stellte sich damit gegen eine Forderung des FDP-Chefs Christian Lindner. Dieser schlug vor, „wie seinerzeit in Österreich eine unabhängige Persönlichkeit an die Spitze der Regierung zu wählen“ – gemeint war die nach der „Ibiza-Krise“ zur Bundeskanzlerin ernannte Verfassungsgerichtshof-Präsidentin Brigitte Bierlein.

FDP-Chef Christian Lindner
APA/AFP/Adam Berry
FDP-Chef Lindner will für Thüringen eine „unabhängige Persönlichkeit“ als Regierungsspitze

Ramelow warnte indes vor dem Abgleiten Thüringens in eine fundamentale Staatskrise. Das Land habe nun mit Kemmerich einen geschäftsführenden Ministerpräsidenten ohne Minister und mit Staatssekretären aus den Reihen von Linkspartei, SPD und Grünen. Als zurückgetretener Ministerpräsident könne Kemmerich „weder die Vertrauensfrage stellen noch Minister ernennen“, so Ramelow in der „Bild“-Zeitung (Montag-Ausgabe).

Das sei alles eine einzige Katastrophe. Zugleich streckte Ramelow die Hand in Richtung der bürgerlichen Parteien aus. „Ich werde auch in Abstimmung mit CDU und FDP das Land bis zu Neuwahlen regieren“, versprach Ramelow. Diese seien wegen der Fristen jedoch erst nach der Sommerpause möglich, fügte er hinzu. Für eine Neuwahl ist eine Zweidrittelmehrheit nötig. Rot-Rot-Grün verfügt im Landtag nur über 42 der 90 Sitze.

„Keine Stimmen der CDU für Herrn Ramelow“

Wenn Ramelow wieder Ministerpräsident werden möchte, benötigt er bei der Abstimmung eine Mehrheit. Rot-Rot-Grün fehlen dazu aber vier Stimmen. Daher braucht Ramelow in den ersten beiden Wahlgängen, in denen die absolute Mehrheit nötig ist, Stimmen von CDU und FDP. Stimmen für Linken-Politiker widersprächen allerdings dem Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU, der eine Zusammenarbeit mit Linkspartei und AfD verbietet.

„Es wird keine Stimmen der CDU für Herrn Ramelow oder jemand anders von der Linken geben, um Ministerpräsident zu werden“, bekräftigte CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak am Sonntagabend im ZDF. „Herr Ramelow hat keine Mehrheit in diesem Parlament, und deswegen gibt es auch keine Unterstützung für Herrn Ramelow von der CDU.“

An Montag will in Erfurt die Linke über das weitere Vorgehen beraten, danach die Vertreter von Rot-Rot-Grün. In Berlin tagen die Gremien der Bundes-CDU. Es dürfe bei einer erneuten Ministerpräsidentenwahl nicht auf die Stimmen der AfD ankommen, hieß es vonseiten der Linken. Die CDU-Landtagsfraktion und das CDU-Präsidium hatten erst am Freitag ausgeschlossen, Ramelow aktiv mitzuwählen.