Mit „Parasite“ ging der Oscar erstmals an eine nicht englischsprachige Produktion: Filmemacher Bong Joon Ho gewann zusätzlich zur Königskategorie auch den Auslandsoscar sowie die Preise für die beste Regie und das beste Originaldrehbuch. Das gelang in der über 90-jährigen Geschichte bisher nur Walt Disney im Jahr 1954. Erstmals seit 1955 („Marty“) hatte der beste Film auch schon die Goldene Palme von Cannes gewonnen.
Die großen Favoriten gingen hingegen leer aus oder mussten sich mit weniger prestigeträchtigen Auszeichnungen zufriedengeben. Das Kriegsdrama „1917“ des Briten Sam Mendes ging mit zehn Nominierungen ins Rennen, konnte dann lediglich drei Nebenkategorien – „Beste Kamera“, „Bester Ton“ und „Beste visuelle Effekte“ – für sich entscheiden.
Auszeichnungen fast nur in Nebenkategorien
Scorseses „The Irishman“ war der größte Verlierer des Abends: Zehnmal war die Netflix-Produktion nominiert – und bekam dann gar keine Auszeichnung. Der Videostreamingdienst schnitt insgesamt nicht sonderlich gut ab. Netflix hätte die Chance auf 24 Oscars gehabt, geworden sind es zwei.
Quentin Tarantinos Werk „Once Upon a Time in Hollywood“ musste sich mit zwei Oscars begnügen – für das Produktionsdesign und für Brad Pitt als besten Nebendarsteller. Für andere chancenreiche Streifen gab es nur eine Auszeichnung: „Joker“, mit elf Nominierungen einer der großen Favoriten, konnte immerhin mit Joaquin Phoenix den Preis für den besten Hauptdarsteller gewinnen.
Die Hitler-Satire „Jojo Rabbit“ wurde für das beste Drehbuch ausgezeichnet, Laura Dern erhielt den Preis als beste Nebendarstellerin in „Marriage Story“, und „Little Women“ wurde ausgerechnet für die die besten Kostüme ausgezeichnet.
Fehlende Frauen
Schon zuvor hatte es Kritik gegeben, dass bei den Oscars vor allem weiße, ältere Männer nominiert waren, etwa unter den Hashtags „#OscarsSoMale“ und „#OscarsSoWhite“. In den Schauspielkategorien war mit Cynthia Erivo eine einzige Schwarze nominiert, und beim besten Film gab es keine nominierte Regisseurin. Mit den nun vergebenen Drehbuchpreisen stand auch fest, dass im letzten Jahrzehnt keine Drehbuchautorin mit einem Oscar ausgezeichnet wurde – das war zum letzten Mal in den 1960er Jahren der Fall gewesen.
Immerhin: Als erst dritte Frau überhaupt wurde die isländische Komponistin Hildur Gudnadottir mit dem Oscar für die beste Filmmusik („Joker“) ausgezeichnet. Rene Zellweger, die für ihre Rolle des Hollywood-Stars Judy Garland in „Judy“ als beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde, betonte in ihrer Rede die Wertschätzung gegenüber ihren Kolleginnen: „Es war bereits eine Ehre, in eurer Gesellschaft nominiert zu sein“, richtete sie ihren Kolleginnen Erivo, Scarlett Johansson, Saoirse Ronan und Charlize Theron aus.
Ironie und Spott bei der Gala
In zahlreichen Statements wurde die fehlende Diversität bekrittelt. Sängerin Janelle Monae sagte schon bei der Eröffnungsperformance: „Heute feiern wir all das Talent in diesem Raum. Wir feiern all die Frauen, die phänomenale Filme geschaffen haben. Und ich bin so stolz darauf, hier als schwarze, queere Künstlerin zu stehen und Geschichten zu erzählen.“
„Parasite“ überstrahlt Kritik
Dass in der Regiesparte in diesem Jahr erneut keine Frau nominiert war, thematisierten auch die Komiker Steve Martin und Chris Rock. „Weißt du, was heute fehlt?“, fragte Martin, woraufhin Rock kurzerhand antwortete: „Vaginas!“ Bissigen Spott gab es auch für die Tatsache, dass in den Schauspielkategorien mit Erivo eine einzige schwarze Darstellerin nominiert war. „Irre, wie sich die Oscars in den vergangenen 92 Jahren verändert haben: Damals gab es noch keine Nominierung für einen Schwarzen. Und heute gibt es eine“, sagte Rock.
Der Erfolg von „Parasite“ sorgte aber schließlich dafür, dass die Debatte über zu wenig Diversität eher in den Hintergrund geriet – auch weil ein zutiefst politischer Film der große Gewinner des Abends war: Im Zentrum der Geschichte über Klassenunterschiede steht eine Familie aus ärmlichen Verhältnissen, die sich geschickt im Leben einer reichen Familie einnistet. Mit viel schwarzem Humor prangert Bong soziale Ungerechtigkeiten an.
Politische Dankesreden
Für die meistkommentierte Dankesrede sorgte Joaquin Phoenix, der als bester Hauptdarsteller in „Joker“ ausgezeichnet wurde. Er sprach über die Ungerechtigkeit in der Welt, sei es bei Themen wie Rassismus, Geschlechterunterschiede, Rechte für queere Personen, Rechte für indigene Menschen und – hier wurde es recht ausführlich – Tierrechte. „Ich glaube, wir sind dann am besten, wenn wir einander unterstützen“, sagte er. Die Rede wurde auch als Reaktion auf seine Rolle als „Joker“ verstanden, bei der er einen frauenfeindlichen Psychopathen spielt.
Politisch wurde auch Pitt in seiner Dankesrede: „Ich habe 45 Sekunden“, sagte Pitt. „45 Sekunden mehr, als John Bolton im Senat hatte“, so der Schauspieler in Anspielung auf das Impeachment von US-Präsident Donald Trump. Der in Neuseeland geborene Taika Waititi wurde als erster Künstler indigener Abstammung in seiner Kategorie geehrt, er wiederum widmete seine Auszeichnung allen indigenen Kindern auf der Welt, die Kunst machen möchten.
Negativrekord bei Quote
Übrigens zog die Oscar-Gala in diesem Jahr weniger US-Publikum an als jemals zuvor. Nur 23,6 Millionen Menschen schalteten am Sonntagabend bei der im Sender ABC übertragenen Zeremonie ein. Das war ein deutlicher Rückgang im Vergleich zum Vorjahr, als 29,6 Millionen Menschen die Preisverleihung im Fernsehen verfolgt hatten. Besonders dramatisch wirkt der Rückgang im Vergleich zu den mehr als 43 Millionen Fernsehzuschauern im Jahr 2014.
Der historische Triumph des südkoreanischen Films „Parasite“ hatte zwar für eine gewaltige Überraschung gesorgt. Die glamouröse Show selbst aber enttäuschte viele Beobachter. Die „Washington Post“ merkte an, mit musikalischen Auftritten von Poplegende Elton John und Filmkomponist Randy Newman habe der Oscar-Abend so gewirkt wie in den vergangenen „zwei oder drei Jahrzehnten“.