EU-Kommissar Didier Reynders
APA/AFP/Ludovic Marin
Konferenz in Wien

Sorge um Rechtsstaat in Europa

EU-Justizkommissar Didier Reynders sind in den geplanten finanziellen Sanktionen bei EU-Fördermitteln das beste Instrument zum Schutz des Rechtsstaates. „Die beste Möglichkeit der Druckausübung ist das Finanzgesetz“, sagte Reynders am Freitag bei der Europäischen Rechtsanwälte-Konferenz in Wien. Die frühere Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein malte ein düsteres Bild der Lage des Rechtsstaates in Europa.

Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, die Ausschüttung von EU-Fördermitteln künftig an die Erfüllung von Rechtsstandards zu knüpfen. Polen und Ungarn, die wegen Rechtsstaatsverstößen am Pranger stehen, zählen zugleich zu den größten Empfängern von EU-Fördermitteln. „Das Ziel ist nicht, die Mitgliedsstaaten zu bestrafen, sondern das EU-Budget zu schützen“, sagte Reynders.

Er warnte aber davor, die Beschlusserfordernisse für solche Sanktionen zu erhöhen. Sollte dafür ein Beschluss mit qualifizierter Mehrheit der EU-Staaten erforderlich sein, würde das zu einer Politisierung des Verfahrens führen. Die EU-Kommission schlägt stattdessen vor, dass das Verfahren eingeleitet werden kann, wenn sich nicht eine qualifizierte Mehrheit der EU-Staaten dagegen ausspricht.

„Besorgt“ über polnisches Justizgesetz

Der frühere belgische Außenminister berichtete, dass die Kommission an weiteren Werkzeugen zum Schutz des Rechtsstaates arbeite, etwa auch einem Vertragsverletzungsverfahren. Zunächst sollen aber in Zusammenarbeit mit den Mitgliedsstaaten gemeinsame Standards entwickelt werden, die dann auch zu erfüllen seien. Das werde keine leichte Aufgabe, räumte er ein. Zugleich betonte er: „Wenn es um die Verteidigung unserer gemeinsamen Werte geht, kann es keine Abstriche geben.“ Die Rechtsstaatlichkeit sei von grundlegender Bedeutung, auch für das Funktionieren des EU-Binnenmarktes.

Mit Blick auf den Streit über die polnische Justizreform sagte er: „Jeder nationale Richter ist auch ein europäischer Richter.“ Er sei daher „besorgt“ über das neue polnische Justizgesetz. Zugleich versicherte Reynders, dass die EU-Kommission alle Maßnahmen ergreifen werde, um das effektive Funktionieren des Rechtsstaates in Polen sicherzustellen. Das Sanktionsverfahren nach Artikel 7 soll daher fortgesetzt werden.

Mahnende Worte von Zadic

Mahnende Worte kamen auch von Justizministerin Alma Zadic (Grüne). Sie bekräftigte in ihrem auf Englisch gehaltenen Referat, wie wichtig das Bekenntnis zum Rechtsstaat in Demokratien ist. „Leider zeigt die Entwicklung in einigen Mitgliedsstaaten (der EU, Anm.) und auch die Diskussionen der vergangenen Tage und Wochen in Österreich, wie zerbrechlich diese Bekenntnisse sind“, so Zadic.

„Erosion demokratischer Grundsätze“

„Es findet derzeit eine schleichende Erosion demokratischer und rechtsstaatlicher Grundsätze statt“, sagte Bierlein. In den Hauptstädten der Mitgliedsstaaten seien „illiberale und populistische Kräfte auf dem Vormarsch“. Die EU könne aber nicht mehr an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit haben, „als sie in den einzelnen Staaten vorfindet“, sagte sie.

Beim Artikel-7-Verfahren werde wohl „kein Ergebnis hervorkommen“, weil einander Polen und Ungarn wechselseitig zugesichert hätten, die erforderliche Einstimmigkeit im Rat der Mitgliedsstaaten zu verhindern. Immerhin habe aber die teilweise Rücknahme der Justizreform durch das polnische Parlament gezeigt, „dass sich die Europäische Union zumindest partiell durchzusetzen vermag“.

Wolff: „Beängstigend“

Der Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages, Rupert Wolff, bezeichnete es als „beängstigend“, dass gegen zwei Mitgliedsstaaten Rechtsstaatsverfahren eingeleitet worden seien. „Man stellt sich die Frage: Wie lange geht das noch gut? Was passiert, wenn die Kommission ein solches Verfahren verliert, wenn die betroffenen Mitgliedsstaaten beginnen, den EuGH zu ignorieren?“, fragte Wolff vor rund 200 Gästen aus 40 Staaten, darunter zahlreiche nationale Rechtsanwaltspräsidenten.

Unter den Teilnehmern waren auch Spitzenjuristen aus Polen und Ungarn, darunter der frühere polnische Verfassungsrichter Miroslaw Wyrzykowski, der für einen leidenschaftlichen Appell für den Rechtsstaat stehenden Applaus erhielt.