UNO Sicherheitsrat
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UNO-Sicherheitsrat

Türkei droht Syrien mit „harter Tour“

Nach der jüngsten Eskalation des Konflikts zwischen Syrien und dem NATO-Mitglied Türkei hat Ankara im UNO-Sicherheitsrat in New York mit Vergeltungsschlägen gedroht. „Wenn sie es auf die harte Tour lernen wollen, können sie das haben. Die Türkei will keinen Krieg. Aber die Türkei wird nicht zögern, Gewalt anzuwenden, wenn ihre Sicherheit bedroht ist“, so der türkische UNO-Botschafter Feridun Hadi Sinirlioglu am Freitag (Ortszeit).

Jede Provokation von syrischer Seite werde mit aller Macht beantwortet werden, sagte der Diplomat am Freitag bei einer Dringlichkeitssitzung weiter. Die Sitzung war kurzfristig nach einem Luftangriff auf die türkische Armee in der nordsyrischen Provinz Idlib einberufen worden. Dabei waren am Donnerstag nach türkischen Angaben mindestens 33 Soldaten getötet worden.

Nach dem Vorfall forderte Ankara Beistand der NATO und der internationalen Gemeinschaft und griff als Vergeltung in der Nacht zu Freitag syrische Regierungstruppen an, bei denen am Freitag nach jüngsten Angaben der oppositionsnahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in Großbritannien 31 syrische Soldaten getötet wurden. Am Freitag wurde zudem nach Angaben des türkischen Verteidigungsministeriums ein weiterer türkischer Soldat im Norden Syriens getötet.

„Volle Unterstützung“ von USA

Die USA stärkten der Türkei für mögliche weitere militärische Manöver den Rücken. „Die Türkei hat unsere volle Unterstützung, um in Selbstverteidigung auf ungerechtfertigte Angriffe auf türkische Beobachtungsposten zu reagieren, die zum Tod ihrer eigenen Streitkräfte geführt haben“, sagte die amerikanische UNO-Botschafterin Kelly Craft. Das gelte auch für die kommenden Tage. Auch US-Außenminister Mike Pompeo teilte mit, die USA stünden nach dem „verachtenswerten“ Angriff an der Seite des NATO-Bündnispartners.

Der russische UNO-Botschafter Wassili Nebensja äußerte Bedauern über den Tod der türkischen Soldaten, sagte dabei aber auch, dass diese sich außerhalb eines Beobachtungspostens aufgehalten hätten. „Als klarwurde, dass es passiert ist, ergriff die russische Seite umfassende Maßnahmen, um die Feindseligkeiten zu beenden.“ Er betonte, dass es sich trotz allem bei der Region Idlib um syrisches Staatsgebiet handle.

Letztes großes Rebellengebiet

Idlib ist das letzte große Rebellengebiet in dem Bürgerkriegsland. Die Türkei unterstützt in dem Konflikt islamistische Rebellen mit Tausenden Soldaten im Nachbarland. Mit Russland als Schutzmacht der syrischen Regierung hatte sie ein Abkommen getroffen, um in Idlib eine Deeskalationszone einzurichten, und hatte dort Beobachtungsposten eingerichtet. Eigentlich gilt auch eine Waffenruhe. In den vergangenen Wochen war Syrien mit russischer Unterstützung weiter in dem Gebiet vorgerückt.

Am Vortag war zunächst über türkische Medien vermeldet worden, dass die Türkei ihre Grenzen Richtung Europa für Flüchtlinge öffnen könnte. Daraufhin sollen sich laut türkischen Nachrichtenagenturen bereits Hunderte Flüchtlinge auf den Weg in Richtung der EU-Grenzen gemacht haben. Das sorgte für Unruhe in der Union – Griechenland und Bulgarien verstärkten die Sicherheitsvorkehrungen an ihren Grenzen. Brüssel forderte Ankara auf, die Verpflichtungen aus dem EU-Türkei-Flüchtlingspakt einzuhalten.

Vage Kehrtwende

Am Freitag ruderte die Türkei zurück – aber nur teilweise. „In der Flüchtlings- und Migrationspolitik unseres Landes, das die meisten Flüchtlinge in der Welt aufgenommen hat, gibt es keine Änderung“, hieß es in einer am Freitag veröffentlichten Stellungnahme des Außenministeriumssprechers Hami Aksoy. Er warnte aber, dass die Migrationsbewegungen in der Türkei Richtung Außengrenzen „im Falle einer Verschlechterung der Situation“ stetig zunehmen könnte. Die Entwicklungen in der syrischen Region Idlib und die Massenvertreibungen dort hätten „den Migrationsdruck, der auf unserem Land lastet“, noch erhöht.

Atma Flüchlingslager in Idlib
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Die Flüchtlinge in der Türkei werden erneut zum Faustpfand im Syrien-Konflikt

Am Abend versicherte dann der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, er habe von der Türkei eine „Zusicherung“ erhalten, dass Ankara sich an seinen Teil des Flüchtlingspakts zwischen der EU und der Türkei halten wird. Das teilte Borrell am Freitag nach einem Telefonat mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu mit. „Deeskalation bleibt der Schlüssel“, so Borrell. „Menschliches Leid und der Verlust von Menschenleben müssen aufhören“, forderte er.

Erdogan will Putin treffen

Am Freitag liefen die diplomatischen Leitungen heiß. Laut dem Kreml telefonierte Erdogan mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, ein Unterstützer des syrischen Machthabers Baschar al-Assad. Beide Seiten kündigten ein Treffen in der ersten März-Woche an. Sie zeigten sich nach Kreml-Angaben ernsthaft besorgt wegen der Lage in Idlib. Bei dem Gespräch von Erdogan und Putin sei es darum gegangen, wie die Vereinbarung für die Deeskalationszone in der Rebellenhochburg umgesetzt werden könne, teilte der russische Außenminister Sergej Lawrow mit. Dazu sollten auch die Außen- und die Verteidigungsminister beider Länder ihre Kontakte intensivieren.

Flüchtlinge an der türkisch-griechischen Grenze
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Flüchtlinge nahe der türkischen Grenze zu Griechenland

Erdogan sprach auch mit Bulgariens Regierungschef Bojko Borissow. Das Nachbarland der Türkei hatte – wie auch Griechenland – die Sicherheitsvorkehrungen an den Grenzen verstärkt, nachdem es Berichte über die mögliche Grenzöffnung gegeben hatte. Während des Telefonats habe Erdogan klargestellt, dass es „zu diesem Zeitpunkt keine direkte Bedrohung für Bulgarien gibt“, teilte die Regierung in Sofia mit. Am Montag soll es auch ein Treffen geben.

Auch der ungarische Regierungschef Viktor Orban telefonierte nach Angaben seines Kabinetts mit Erdogan. Laut Orban-Sprecher Bertalan Havasi habe Erdogan dem ungarischen Premier gegenüber den enormen Druck betont, der auf der Türkei laste. Aus diesem Grund könne die Türkei einen Teil der sich im Lande aufhaltenden Migranten nicht länger zurückhalten. Nach dem Telefonat habe Orban sein Sicherheitskabinett einberufen, wo eine Entscheidung über die Verstärkung des ungarischen Grenzschutzes getroffen wurde.

Fast eine Million Menschen auf der Flucht

In der syrischen Grenzprovinz Idlib sind wegen der Kämpfe zwischen Rebellen und der syrischen Armee fast eine Million Menschen auf der Flucht. Die Situation ist laut NGOs und UNO dramatisch. Laut NGOs erfroren mehrere Kinder auf der Flucht. Die Türkei kämpft in Syrien Seite an Seite mit teils islamistischen Rebellen. Ihnen stehen die Truppen des syrischen Regimes gegenüber, das mit Russland und dem Iran verbündet ist.

Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos
Reuters/Alkis Konstantinidis
Ein Flüchtlingslager mit selbst gebauten Unterkünften auf der griechischen Insel Lesbos

Die Türkei hat in den vergangenen Jahren fast 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien, wo 2011 ein Bürgerkrieg begonnen hat, aufgenommen, zuletzt aber ihre Grenzen geschlossen. 2015/16 kamen Hunderttausende Menschen aus Syrien, aber auch aus anderen Staaten Asiens und Afrikas nach Europa.

Karte Syrien und Nachbarländer, Zahl der Flüchtlinge
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: UNHCR

Die EU sagte Ankara 2016 daraufhin sechs Milliarden Euro für die Versorgung syrischer Flüchtlinge in der Türkei zu. Das war Teil eines Flüchtlingspakts, der die türkische Seite verpflichtete, alle neu auf den griechischen Inseln ankommenden Geflüchteten zurückzunehmen und stärker gegen Schlepperbanden vorzugehen. Die Türkei kritisierte die Auszahlung der Gelder regelmäßig als zu langsam, Erdogan drohte auch mehrfach mit der Aufkündigung des Paktes. Die EU wies die Vorwürfe zurück.