Ein türkischer Polizist mit Schutzmaske hinter passierenden Migranten
Reuters/Leonhard Foeger
„Europäischer Schild“

EU verspricht Griechenland Unterstützung

Die Europäische Union stellt Griechenland zur Bewältigung der angespannten Lage an seinen EU-Außengrenzen bis zu 700 Millionen Euro zur Verfügung. Das sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Dienstag bei einem Besuch an der griechisch-türkischen Grenze. In diesen Zeiten sei Griechenland der „europäische Schild“.

350 Millionen Euro seien sofort verfügbar. Weitere 350 Millionen könnten angefordert werden. Das Geld solle für das Migrationsmanagement, den Aufbau und das Betreiben der nötigen Infrastruktur genutzt werden. Sie sei fest entschlossen, den griechischen Behörden jede nötige operative Unterstützung zukommen zu lassen. Die griechischen Sorgen seien europäische Sorgen, betonte von der Leyen: „Diese Grenze ist nicht nur eine griechische Grenze, es ist auch eine europäische Grenze.“

Sie dankte den griechischen Grenzschützern und der Küstenwache. Zugleich drückte sie ihr Mitgefühl für die Geflüchteten aus, die „durch falsche Versprechen in diese verzweifelte Situation“ gelockt worden seien. In Richtung der Türkei sagte von der Leyen: „Diejenigen, die Europas Einheit testen wollen, werden enttäuscht werden.“ Nun sei die Zeit für „konzertierte Aktionen, kühle Köpfe und ein Handeln auf Grundlage unserer Werte“. „Die Türkei ist kein Feind, und Menschen sind nicht nur ein Mittel, um ein Ziel zu erreichen“, so von der Leyen.

Frontex weitet Einsatz aus

Die EU-Grenzschutzagentur Frontex will ihren Einsatz wegen der angespannten Lage an der Grenze noch ausweiten. Geplant sei, dass Frontex Griechenland auch bei der Sicherung der Landgrenze und bei anderen Aufgaben zur Seite stehen werde, sagte ein Sprecher am Dienstag in Warschau während einer Sondersitzung der Frontex-Leitung. Bereits am Montag hatte die Grenzschutzagentur auf Bitten Griechenlands eine rasche Intervention auf den Weg gebracht, deren Schwerpunkt auf dem Küstenschutz in der Ägäis liegen soll. Später bat Athen um weitere Hilfe bei der Sicherung der Landgrenze.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, EU-Ratspräsident Charles Michel und der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis an der griechisch-türkischen Grenze
AP/Greek Prime Minister’s Office/Dimitris Papamitsos
Von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel besuchten am Dienstag die griechisch-türkische Grenze

Von der Leyen sagte, geplant sei die Entsendung eines Versorgungsschiffs, sechs Patrouillenbooten sowie zweier Hubschrauber, eines Flugzeugs und dreier mit Wärmebildkameras ausgestatteter Fahrzeuge. Außerdem sollten die derzeit 530 Frontex-Grenzschützer an der Land- und Wassergrenze durch weitere hundert Einsatzkräfte verstärkt werden.

In einer Stellungnahme der Grenzschutzagentur hieß es, Frontex „unterstützt Griechenland in vollem Umfang bei der Bewältigung der derzeitigen Situation an seiner Außengrenze zur Türkei“ und sei bereit, „seine Hilfe für Griechenland auf andere operative Gebiete und andere Formen der Unterstützung innerhalb des Frontex-Mandats auszuweiten“.

Zahlreiche Grenzübertritte verhindert

Infolge der Eskalation des militärischen Konflikts in Nordsyrien hatte die Türkei am Wochenende erklärt, Flüchtlinge auf dem Weg in die EU nicht länger aufzuhalten. Zehntausende Migranten machten sich daraufhin laut türkischen Angaben auf den Weg an die Grenze zu Griechenland. Griechische Sicherheitskräfte hinderten seitdem Tausende Flüchtlinge auch unter Einsatz von Tränengas daran, über die Grenze zu kommen. Zwischen Samstag und Montag verzeichneten die griechischen Behörden nach eigenen Angaben mehr als 24.200 versuchte illegale Grenzübertritte – wobei eine Person auch mehrmals versuchen kann, die Grenze zu überschreiten, und dann mehrmals in der Zahl der Grenzübertritte aufscheint.

ORF-Reporter Kofler von der griechisch-türkischen Grenze

Wie ist man an der Grenze vorbereitet für den Fall, dass sich noch mehr Menschen von der Türkei in Richtung Griechenland aufmachen? ORF-Reporter Alexander Kofler berichtet.

Der türkische Präsident Recep Tayipp Erdogan hatte am Montag gedroht, „Millionen“ Flüchtlinge könnten sich demnächst auf den Weg in die EU machen. Beobachter und Beobachterinnen werten die Drohung als Versuch, die EU dazu zu bewegen, die türkische Militäroffensive in Syrien zu unterstützen und der wirtschaftlich angeschlagenen Türkei auch finanziell unter die Arme zu greifen. Europäische Staats- und Regierungschefs riefen Erdogan dazu auf, sich an das Flüchtlingsabkommen von 2016 zu halten, mit dem Geflüchtete an der Weiterreise in die EU gehindert werden sollten.

Das Verhalten Erdogans sei ein „Angriff auf die EU und Griechenland“, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Dienstag in Wien. Erdogan habe die Migranten bewusst an die Grenze geschickt, um die EU zu erpressen. Griechenlands Regierungschef Kyriakos Mitsotakis bekräftigte, dass es von der Türkei aus keine Grenzübertritte nach Griechenland geben werde. „Die Moral ist groß, wir machen unsere Arbeit, angesichts der nationalen Anstrengung ist das ganze Volk vereint – es wird niemand illegal passieren“, versicherte er in Alexandroupolis. „Griechenlands Grenzen sind auch Europas Grenzen.“

Scharfe Kritik an Erdogan

EU-Ratspräsident Charles Michel lobte das Vorgehen der griechischen Grenzschützer an der EU-Außengrenze zur Türkei ausdrücklich. Er wolle seine volle Unterstützung für all das zum Ausdruck bringen, was die Sicherheitskräfte und die Regierung in den vergangenen Tagen getan hätten, sagte Michel. „Was ihr tut, ist wichtig für Griechenland. Es ist auch entscheidend für die Zukunft der Europäischen Union“, so Michel. Selbstverständlich sei es auch wichtig, verhältnismäßig zu handeln und die menschliche Würde und das Völkerrecht zu respektieren.

Regierung wirft Erdogan „Erpressung“ vor

Die Regierungsspitze hat über die humanitäre Krise an der griechischen Grenze beraten. Dabei warf man dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan Erpressung vor.

Angesichts der angespannten Lage übte Griechenland scharfe Kritik an Erdogan. Die Situation sei von Erdogan provoziert worden, sagte der griechische Außenminister Nikos Dendias bei einem gemeinsamen Pressestatement mit Österreichs ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg. Es sei ein „verblüffend zynischer“ Schritt Erdogans gewesen, die Migranten bewusst Richtung EU-Außengrenze zu lotsen. Damit habe Ankara diplomatischen Druck auf Europa in „noch nie da gewesener Art und Weise ausgeübt“, so Dendias.

Schallenberg gegen weitere Gelder für Türkei

Schallenberg und Dendias sehen keine Notwendigkeit für zusätzliche finanzielle Unterstützung oder ein neues Flüchtlingsabkommen mit der Türkei. Der Pakt von 2016 sei aufrecht und die EU habe alles getan, um sich daran zu halten, so der Tenor der beiden Minister. „Ich sehe keinen Grund dafür, warum wir noch weitere Gelder zur Verfügung stellen sollten“, erklärte Schallenberg. Man könne darüber reden, wofür bestehende Gelder verwendet werden, er sei aber dagegen, noch mehr finanzielle Mittel locker zu machen.

Im Rahmen des EU-Flüchtlingspaktes hatte Ankara sechs Milliarden Euro zugesichert bekommen – ein „enorm großer Betrag“, so Schallenberg. Bisher sind laut EU-Kommission von den sechs Milliarden Euro 4,7 Milliarden vertraglich vergeben worden. 3,2 Milliarden Euro sind bereits ausgezahlt worden. 1,3 Milliarden Euro sind demnach noch gänzlich „unverplant“.

Ankara übe bewusst Druck aus, und „wenn der eine Druck macht, muss man mit Gegendruck reagieren, dann ist die Situation stabil“, sagte Schallenberg in Athen. „Wir haben jetzt eine Krise, die ein Drittstaat bewusst versucht heraufzubeschwören“, sagte er in Hinblick auf die Lage an der griechisch-türkischen Grenze. Nun sei man in einem „Krisenlösungsmodus“, im „Krisenmanagement“, so Schallenberg. „Das ist keine Normalität“, also brauche es auch „Krisenantworten – und das ist nicht die Diskussion um Asylverfahren und Verteilung“, machte Schallenberg erneut seine Ablehnung gegenüber einer etwaigen Quotenlösung in der EU klar.