An der Spanischen Grippe Erkrankte, 1918
AP/Library of Congress/Edward A. „Doc“ Rogers
Isolation

Eine Maßnahme seit Jahrtausenden

Zurzeit erleben wir die umfangreichsten Isolationsmaßnahmen der Geschichte: Hunderte Millionen Menschen stehen weltweit wegen des Coronavirus unter Quarantäne oder befinden sich in häuslicher Isolation. Die Praxis der Absonderung von Kranken aus Gemeinschaften wird bereits seit Jahrtausenden praktiziert – und war immer wieder mit Angst vor Fremden verbunden.

Bereits im Levitikus, dem dritten Buch Mose im Alten Testament, wird die Isolation von „Aussätzigen“ thematisiert. Der biblische Text definiert Verhaltensregeln für israelitische Priester. Es herrscht Unklarheit, worum es sich bei der beschriebenen Hautkrankheit genau handelte – unter anderen kommen Lepra, Lupus und Psoriasis infrage.

Gott erklärt Mose und seinem älteren Bruder Aaron, dem ersten Hohepriester, wie Erkrankte untersucht werden müssen. „Der Priester soll das Anzeichen auf der Haut untersuchen. Wenn das Haar an der kranken Stelle weiß wurde und die Stelle tiefer als die übrige Haut liegt, ist es Aussatz. Nachdem der Priester das Anzeichen untersucht hat, soll er den Erkrankten für unrein erklären.“ (Mos. 3, 3)

Ist ein Erkrankter unrein, so wird er von der Gemeinschaft abgesondert. Die Krankheit wird als göttliche Strafe begriffen, die auf andere Mitglieder der Gemeinschaft übergehen könnte. „Der Priester handelte hier nicht als Arzt“, schreibt der Medizinhistoriker Stefan Winkle in seinem Standardwerk „Geißeln der Menschheit“, „sondern als Anwalt des gefährdeten Volkes“. Damit sind zwei grundsätzliche Aspekte der Geschichte der Quarantäne bereits formuliert. Erstens ist sie ein Schutzversuch für die noch nicht Erkrankten, und zweitens erscheinen die Infizierten und Abgesonderten als dubiose Bedrohung.

Der schlechte Geruch der Krankheit

Der griechische Arzt Hippokrates von Kos formulierte im fünften Jahrhundert vor Christus die These, dass „Miasmen“, also vom Boden aufsteigende schlechte Gerüche bzw. verpestete Luft für die Übertragung von Krankheiten verantwortlich war.

Kupferstich-Darstellung von Hippocrates wie er die Verbrennung von Kleidern befiehlt
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Der griechische Arzt Hippokrates formulierte über Jahrtausende gültige Annahmen

Obwohl sich diese Annahme rund 2.000 Jahre später zum Beginn der mikrobiellen Ära als falsch herausstellte, trug sie deutlich zur Reduktion von Seuchen bei. Die These war die erste im engeren Sinne medizinische Grundlage für die Bekämpfung von Seuchen.

Analog zur Absonderung von Kranken beschreibt der Dichter Aischylos um dieselbe Zeit (472 v. Chr.) in „Die Perser“, dem ältesten erhaltenen Drama, wie sich die überlebenden persischen Krieger nach der verlorenen Seeschlacht von Salamis auf einer kleinen Insel verschanzen. Analog zur Isolation im Krankheitsfall versuchen sie, durch die geografische Absonderung der Bedrohung, in diesem Fall der griechischen Sieger, zu überleben. Doch diese Selbstisolation schlägt fehl, die Griechen, die die Götter auf ihrer Seite haben, erschlagen ihre persischen Feinde.

Pestzeiten

Die Pest manifestierte die Quarantäne als seuchenhygienische Methode. Auch hier blieb die Absonderung immer mit xenophoben Ängsten durchsetzt. 541 erfolgte der erste dokumentierte Ausbruch der Pest im arabischen Raum. Als sie 542 Konstantinopel erreichte, versuchte Kaiser Justinian I. die Seuche einzudämmen.

Neben sinnvollen Maßnahmen wie Erlässen zur Bestattung der Pesttoten folgten auch Gesetze gegen Personengruppen, die Justinian I. im Verdacht hatte, für den Ausbruch verantwortlich zu sein, unter anderem Juden, Samariter, Häretiker und Homosexuelle, wie die Historikerin Kelly Drews in einem Fachbeitrag zur Geschichte der Quarantäne ausführt.

Marco Polo in Venedig im 14. Jh.
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Venedig im 14. Jahrhundert zur Zeit des Pestausbruchs

Im 14. Jahrhundert fand ein verheerender Pestausbruch in Europa statt. Ausgehend von sizilianischen Hafenstädten, wo die Pest von Genueser Handelsschiffen 1347 eingeschleppt wurde, tötete die Pest innerhalb von wenigen Jahren rund 25 Millionen Menschen, gut ein Viertel der damaligen Bevölkerung.

Aus dem Verlauf dieses Pestausbruchs stammt auch unser heutiger Begriff Quarantäne.Die Stadtrepublik Venedig verordnete ankommenden Schiffen eine vierzigtägige Sperrfrist, bevor die Besatzung die Stadt betreten durfte. Quarantäne ist eine Kurzform des italienischen „quaranta giorni“. Auch der Begriff des Lazaretts stammt aus Venedig. Die Insel Lazzaretto Vecchio, etwas südlich der Stadt in der Lagune von Venedig gelegen, diente als Quarantänestation für die Pestkranken.

Quarantame und Kontumaz

Im Deutschen ist der Begriff erstmals unter der Variante Quarantame in Johann Christoph Adelungs „Grammatisch-kritischem Wörterbuch der hochdeutschen Mundart“ (1811) belegbar. Auch hier findet sich der Verweis auf die „Quarantäne“ von Handelsschiffen. Diese wurde vielerorts zur Steuerung des Handels missbraucht, indem fremden Schiffen bei der Ankunft in den Häfen eine Quarantänezeit verordnet wurde, einheimische Handelsschiffe von dieser Maßnahme aber verschont blieben.

Ein weiterer, inzwischen veralteter Begriff für Quarantäne ist Kontumaz. Besonders in Österreich war der Begriff lang verbreitet. So hieß der Wiener Auslandsschlachthof, der ab 1975 unter dem Namen Arena als Kulturinitiative genutzt wurde, die längste Zeit seines Bestehens Wiener Kontumazanlage.

Das Zeitalter der Mikroben

Auch im 19. Jahrhundert wucherten noch Seuchen, denen mit der Miasma-Theorie nicht beizukommen war. Die Cholera beispielsweise – auch hier war noch ein xenophober Unterton angelegt – war in Deutschland als „asiatisches Ungeheuer“ bekannt und forderte allein in Hamburg 1892 8.600 Todesopfer, nachdem das Trinkwasser der Stadt mit dem Choleraerreger verseucht worden war.

Symbolische Zeichnung der Cholera
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Choleradarstellung aus dem 19. Jahrhundert

Medizinische Fortschritte, welche die Sinnhaftigkeit von Quarantänemaßnahmen eindeutig untermauerten, wurden erst im 19. Jahrhundert gemacht. Der französische Chemiker Louis Pasteur war der Erste, der Mikroben im Mikroskop ausmachte, isolierte und sie in einer Nährlösung weiter züchtete. 1885 gelang ihm die erste erfolgreiche Wundschutzimpfung bei einem Buben, der von einem tollwütigen Hund gebissen worden war. Zudem geht auf Pasteur die Benennung jener Erreger zurück, die wir heute als Viren (von Latein Virus, Gift) kennen.

Deutscher Mediziner Robert Koch
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Robert Koch: Pionier der Mikrobiologie

In Deutschland arbeitete der Hygienemediziner Robert Koch, der zwanzig Jahre jünger war als sein französischer Kollege, an der Isolation der Erreger für grassierende Infektionskrankheiten. Ihm gelang beispielsweise die Beschreibung des Typhuserregers und die Unterscheidung zwischen Bakterien und Viren. Für seine Leistungen in der Begründung der Mikrobiologie erhielt er 1905 den Medizinnobelpreis.

Die Spanische Grippe

Mit der Beschreibung des Verhaltens der Krankheitserreger gelang den Hygienemedizinern des ausgehenden 19. Jahrhunderts eine Erkenntnis, die auch heute noch allen Quarantäneanordnungen zugrunde liegt: Vom Moment des Ansteckens mit einer Krankheit bis zum Zeitpunkt der ersten Symptome vergeht eine jedem Erreger eigene Inkubationszeit, in der der Erkrankte schon infektiös ist.

Die schlimmste Pandemie der Moderne war die Spanische Grippe, die laut Laura Spinney, Journalistin und Autorin des Sachbuchs „Die Welt im Fieber“, zwischen März 1918 und März 1920 500 Millionen Menschen, ein Drittel der Erdbevölkerung infizierte und, je nach Schätzung, für 50 bis 100 Millionen Tode verantwortlich war.

Zwar hatte die Medizin die Grundlage für die Verhinderung der Pandemie bereits erarbeitet, die von einzelnen Staaten gesetzten Quarantänemaßnahmen waren aber kaum koordiniert und in den allermeisten Fällen erst zu spät umgesetzt, um eine Ausbreitung der Krankheit zu verhindern.

Das Zeitalter der WHO

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde 1945 die UNO gegründet. Schon im Jahr darauf wurde mit dem Aufbau der Weltgesundheitsorganisation (WHO) begonnen, deren Aufgabe es ist, Empfehlungen auszusprechen, um Pandemien zu verhindern oder in ihrem Verlauf abzumildern.

Die gegenwärtige rasante Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 wurde von der WHO als Pandemie eingestuft. Erst am Mittwoch rief sie die Staatengemeinschaft zur Einigkeit auf, es sei zu früh, um die Maßnahmen im Kampf gegen die Krankheit zu lockern. Eines steht fest: Es wäre ein neues, positives Kapitel in der langen Geschichte der Seuchen, wenn eine Pandemie durch verantwortungsvolle Quarantänemaßnahmen in ihrem Verlauf verlangsamt werden könnte.