Bücher
ORF.at/Magdalena Miedl
Wiederentdeckt

Die vergessenen Bestsellerautorinnen

Stella Benson, Else Ury, Auguste Groner. Nie gehört? Dabei haben diese Autorinnen Bestseller geschrieben, die von der Literaturgeschichte aber zu Unrecht vergessen worden sind. Eine deutsche Verlegerin möchte das ändern – und ist nicht allein mit ihrer Initiative.

„Wir bieten hiermit an, nicht ausreichend bekannte oder gar nicht mehr verfügbare, großartige Texte von Autorinnen, die schon gemeinfrei sind, zu veröffentlichen.“ Ein Tweet des Berliner Frohmann Verlages war Ausgangspunkt für ein Projekt, das Wellen schlägt: Christiane Frohmann, seit acht Jahren Verlegerin in Berlin, hat sich vorgenommen, ein Unrecht auszugleichen. Viele Autorinnen, die zu Lebzeiten die Leserinnen- und Leserschaft begeisterten, sind seit Jahrzehnten vergriffen und kommen im literarischen Kanon nicht vor.

„Solange diese Bücher nicht verfügbar sind, ist die Perspektive auf die Welt nicht vollständig“, so die Buchhändlerin Paula Bolyos, Mitbegründerin der feministischen Buchhandlung Chicklit in Wien, gegenüber ORF.at. „Wenn man wieder liest, was Frauen sich gedacht haben, verändert das den Blick auf die Geschichte.“ Die Idee, die eigene Geschichte sichtbar zu machen, stammt zwar schon aus der zweiten feministischen Bewegung der 1960er Jahre – aber weiterhin sind dann, wenn jemand den Versuch eines allgemeingültigen Bildungskanons unternimmt, die Empfehlungslisten bedrückend einseitig.

Wider die Einseitigkeit

Als der Journalist Thomas Kerstan etwa in der Wochenzeitung „Die Zeit“ im Sommer 2018 seinen Vorschlag eines Bildungskanons unterbreitete, schrieb er dazu: „Meinem Kanon wird sicher vorgeworfen werden, die Werke ‚toter weißer Männer‘ seien überrepräsentiert. Das liegt daran, dass die stilprägenden, typischen, populären Werke der Vergangenheit vorwiegend von Männern stammen.“

Die Wiener Buchhandlung Chicklit ist seit 2012 in den ehemaligen Räumlichkeiten der feministischen Zeitschrift „AUF“ zu Hause, als Projekt des Vereins zur Förderung feministischer Projekte. Dass „AUF“ die Räume beziehen konnte, geht auf die Initiative der legendären SPÖ-Frauenpolitikerin Johanna Dohnal zurück.

Es dauerte damals nur wenige Tage, bis sich um die Autorin Sibylle Berg eine Gruppe von Frauen unterschiedlicher Disziplinen formierte, die unter dem Hashtag „#DieKanon“ einen Gegenentwurf bot. Denn die stilprägenden Werke der Vergangenheit stammten nicht unbedingt vorwiegend von Männern. Es waren nur vor allem die Bücher von Autoren, die wieder aufgelegt wurden.

Ansätze, dieses Ungleichgewicht zu verändern, gab es in den vergangenen Jahren viele, besonders in den Sozialen Netzwerken. Unter dem Hashtag „#frauenlesen“ empfehlen einander Twitter-User schon seit Jahren Bücher von Autorinnen, das Projekt „#vielfaltdurchlesen“ spannt den Bogen noch weiter, und unter dem Hashtag „#Vorschauenzählen“ schauen die Literaturwissenschaftlerinnen Berit Glanz und Nicole Seifert den Verlagen beim Anteil der Autorinnen an den Neuerscheinungen auf die Finger.

asdf
ORF.at/Magdalena Miedl
Buchhändlerin Bolyos: „Wenn man wieder liest, was Frauen sich gedacht haben, verändert das den Blick auf die Geschichte“

Wundervolle Wiederentdeckungen

„Wir beobachten einen eindeutigen Trend zu mehr Veröffentlichungen von Frauen, im Vergleich zu unserer Anfangszeit 2012“, sagte Bolyos, „und die Bücher werden auch gekauft.“ Mindestens so lohnend die Neuerscheinungen ist aber der Blick zurück. Bolyos empfiehlt gleich mehrere Verlage, die sich um die Wiederentdeckung vergriffener Autorinnen bemühen: Der AvivA Verlag etwa hat unter anderem Alma Karlin im Programm, 1889 im heutigen Celje in Slowenien geboren und zu ihrer Zeit eine der berühmtesten europäischen Reiseschriftstellerinnen.

Ein anderer ist der Wiener Kleinverlag Das vergessene Buch (dvb), der unter anderem die Österreicherin Maria Lazar wieder auflegt, etwa das Werk „Die Eingeborenen von Maria Blut“, in dem Lazar den provinziellen Antisemitismus im Austrofaschismus demaskiert, und demnächst auch ihr Hauptwerk „Leben verboten“ in der ungekürzten Originalfassung von 1933.

Die Lieblingsbücher der Großmütter

Frohmanns Projekt „regain“, das sie mit ihrem Tweet im Februar angestoßen hat, startet demnächst: Wer der Verlegerin eine Autorin oder auch einen Autor vorschlägt, soll die Veröffentlichung auch mitbetreuen. Voraussetzung ist, dass der Titel gemeinfrei ist, das heißt Urheberin oder Urheber des Werks schon seit 70 Jahren tot sind. Die erste Runde an Vorschlägen hat 22 Namen ergeben, darunter „Nesthäkchen“-Autorin Else Ury und die Wiener Krimiautorin Auguste Groner.

Als erstes Buch der Reihe ist für Anfang Juni die Wiederveröffentlichung von Stella Bensons „Living Alone“ geplant, über eine Hexe, die im London des Ersten Weltkriegs einen Charity-Verein aufmischt und sich unter anderem mit einer deutschen Hexe ein Luftgefecht liefert – was äußerst vielversprechend klingt. Vielleicht sei es also höchste Zeit, die eigenen Großmütter zu befragen, was sie in ihrer Jugend gern gelesen haben, so Frohmann: „Die hat nämlich nie einer gefragt.“