Szene aus „Im Zentrum“ mit Claudia Reiterer.
ORF
EU-Außengrenze

Verhärtete Fronten in Flüchtlingsfrage

Die Lage der Flüchtlinge und Migranten an der griechisch-türkischen Grenze sorgt hierzulande weiter für verhärtete Fronten. ÖVP-Integrationsministerin Susanne Raab bekräftigte am Sonntag in der ORF-Sendung „Im Zentrum“, dass Österreich keine zusätzlichen Flüchtlinge aufnehmen werde. Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer ortete eine kleine Meinungsverschiedenheit, die Koalition sei jedoch nicht gefährdet.

Raab begründete ihre Position damit, dass Österreich in den vergangenen Jahren viele Flüchtlinge aufgenommen habe und die Integration dieser noch nicht abgeschlossen sei. Wie Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte sie, dass sich „ein Jahr 2015“ nicht wiederholen dürfe. Wenn man von Migration spreche, dürfe man die Aufgabe der Integration nicht ausblenden, so Raab. Sie plädierte für die schon oft genannte „Hilfe an Ort und Stelle“ und sagte, dass Österreich auch Griechenland finanziell, materiell und personell unterstütze.

Grünen-Klubobfrau Maurer erinnerte daran, dass die Bundesregierung bereits Gelder im Rahmen der humanitären Hilfe lockergemacht habe. Das „große Leid“ in der umkämpften syrischen Region Idlib und die „menschenunwürdigen Zustände“ in den Lagern auf den griechischen Inseln müssten auf europäischer Ebene diskutiert werden, so Maurer. Die Grünen seien „selbstverständlich“ dafür, dass man unbegleitete Minderjährige aus Griechenland nach Österreich holt. „Wir hätten den Platz“, sagte sie.

„Koalition wird halten“

„Wenn sich die Zustände dort (griechische Lager, Anm.) nicht bald bessern, haben wir eine Verantwortung, die Kinder dort aus dem Schlamm zu holen“, appellierte Maurer. Raab lehnte die Aufnahme solcher „besonders vulnerablen Gruppen“ allerdings ab. Dass einander die Positionen von ÖVP und Grünen widersprechen, bestätigten die Politikerinnen zwar, betonten aber auch, dass die Koalition daran nicht zerbrechen werde. „Die Koalition wird halten“, sagten beide auf eine entsprechende Frage.

Der Migrationsforscher Gerald Knaus forderte in der Diskussion sowohl ein neues Flüchtlingsabkommen mit der Türkei als auch Hilfe für Griechenland. Jene Flüchtlinge, die nicht in die Türkei zurückgebracht werden könnten, müssten dringend von den griechischen Inseln geholt werden, so Knaus. FPÖ-Klubchef Herbert Kickl plädierte für ein Aussetzen des Asylrechts. Seine Partei ist wie die ÖVP gegen die Aufnahme von Kindern und Frauen aus den Lagern in Griechenland. Das würde nur dazu führen, dass Männer nachzögen, so Kickl.

Machtkampf an Europas Grenzen – Härte vor Menschlichkeit?

Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP), FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl, Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer und Migrationsforscher Gerald Knaus diskutierten über die Migrationskrise an der EU-Außengrenze.

Kurz für „Hilfe vor Ort“

Schon zuvor äußerte sich Kurz ähnlich. „Wer Frauen und Kinder aufnimmt, nimmt genauso die Väter und die Männer auf“, sagte Kurz zum Ruf nach einer humanitären Aktion am Sonntag in der ORF-„Pressestunde“. Die Koalition mit den Grünen sieht auch der ÖVP-Chef trotz der Differenzen in dieser Frage nicht gefährdet.

Er setze weiterhin auf „Hilfe vor Ort“. Daher werde die Regierung alle Spenden, die bis Ostern über die ORF-Aktion „Nachbar in Not“ für die Flüchtlinge im syrischen Idlib gesammelt werden, aus ihrem Auslandskatastrophenfonds verdoppeln, so Kurz: „Die treffsicherste Hilfe ist vor Ort und nicht der Versuch der unbeschränkten Aufnahme in Europa.“

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte vor rund einer Woche gesagt, die Grenzen in die EU seien für Flüchtlinge und andere Migranten geöffnet. Daraufhin machten sich Tausende Menschen auf den Weg zur griechischen Grenze, wo noch immer viele von ihnen ausharren. Griechenland drängt die Geflüchteten immer wieder auch mit dem Einsatz von Tränengas zurück.

„Das ist keine Übertreibung“

Kurz warnte davor, dass sich Millionen Menschen auf den Weg machen könnten, „wenn die türkisch-griechische Grenze fällt“. „Wir haben Millionen Menschen, die sich auf den Weg machen wollen, wenn sie den Eindruck haben, dass sie durchkommen“, sagte der Bundeskanzler. Weltweit seien 100 Millionen Menschen auf der Flucht. „Das ist keine Übertreibung, sondern das ist Realität.“

Österreich sei vorbereitet, seine Grenze zu schützen, „falls es zu einem Grenzsturm kommt“. Die Forderung von NEOS, 500 Frauen und Kinder von den griechischen Inseln aufzunehmen, hält Kurz für „teilweise etwas unredlich“. Denn Österreich habe allein im Jänner und Februar 2.500 Asylanträge entgegengenommen.

Kurz will keine zusätzlichen Flüchtlinge aufnehmen

„Wer Frauen und Kinder aufnimmt, nimmt genauso die Väter und die Männer auf“, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in der ORF-„Pressestunde“.

Neben seinem Beitrag zum Schutz der EU-Außengrenze in Griechenland im Rahmen der EU-Grenzschutzagentur Frontex unterstützt Österreich Griechenland bilateral bei der Sicherung seiner Grenzen zur Türkei. Laut dem Bundeskanzleramt stellt die Regierung dafür 13 Beamte der Polizeisondereinheit Cobra, eine Drohne, ein gepanzertes Fahrzeug sowie eine Million Euro für humanitäre Hilfe zur Verfügung.

Grüne Abgeordnete fordert sofortiges Handeln

Nach einem Besuch in dem völlig überfüllten Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos forderte die stellvertretende Klubobfrau der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, ein „sofortiges Handeln“. Die Zustände, vor allem für Kinder, seien „verheerend“, sagte Ernst-Dziedzic heute gegenüber der APA. „Wir müssen unbedingt handeln, wie das dann konkret aussehen wird, ist eine Frage des demokratischen Diskurses.“ Es gehe nicht nur um Evakuierungen, vor allem brauche es finanzielle Mittel – und die müssten „gut investiert“ werden, so die grüne Nationalratsabgeordnete.

Heftige Kritik der Opposition

Die Opposition kritisierte die Aussagen von Kurz schwer. Die SPÖ sagte, dass Kurz Menschen gegeneinander ausspiele, anstatt „die unzumutbaren Zustände in griechischen Flüchtlingslagern nachhaltig zu entschärfen“. „Es wäre wichtig, gemeinsam Kooperationen in der EU zu suchen und zu stärken, anstatt populistische Alleingänge zu machen“, so Vizeklubchef Jörg Leichtfried. FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz kritisierte die Regierung angesichts der Kurz-Aussagen als „farblos und uneins“.

NEOS-Generalsekretär Nikola Donig findet es „zynisch“, dass Kurz sagte, ganz Europa stehe in der Flüchtlingskrise hinter Griechenland. „Wäre dem in den letzten Jahren so gewesen, hätten die EU-Mitgliedsländer die Elendslager nicht zugelassen und entschlossen gemeinsame Schritte sowohl bei der Kontrolle der EU-Außengrenzen als auch in der Asyl- und Migrationspolitik gesetzt“, so Donig.

Künstler richteten offenen Brief an Politik

Angesichts der Flüchtlingssituation an der türkisch-griechischen Grenze wandten sich zahlreiche österreichische Künstler an die Politik: Man dürfe den im Grenzgebiet und auf den griechischen Inseln gestrandeten Menschen die Hilfe nicht verwehren, heißt es in dem u. a. von Elfriede Jelinek, Michael Köhlmeier und Susanne Scholl unterzeichneten offenen Brief.

„Die Menschen an der türkisch-griechischen Grenze sind Kriegsflüchtlinge, egal, ob sie der türkische Staatspräsident an die Grenze bringen hat lassen oder ob sie von selbst dorthin geflohen sind“, heißt es in dem der APA vorliegenden, an den Bundespräsidenten, die Bundesregierung und an Landes- und EU-Politiker adressierten Aufruf. Sie brauchten „niemanden, der sie ihrem Elend überlässt oder sie wieder in den Krieg zurückschicken will, sie brauchen Unterstützung und Hilfe“. Österreich dürfe sich nicht auf seinen bisherigen Leistungen in Sachen Flüchtlingshilfe ausruhen, „sondern ist ganz im Gegenteil gefordert, Überzeugungsarbeit und einen eigenen Beitrag zur Bewältigung der Situation zu leisten“, heißt es unter anderem.