Die Neidhart Fresken
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Covid-19 und wir

Wenn nichts mehr selbstverständlich ist

Die „Coronavirus-Krise“ stellt die Gesellschaft vor eine große Herausforderung. Nichts, was im Alltag selbstverständlich gewesen ist, ist es im momentanen Sonderzustand. Werden wir ausreichend versorgt sein? Wie lange werden Maßnahmen dauern? Welches Handeln ist das richtige? Diese Fragen beschäftigen gerade alle. Verunsichert würden wir von der momentanen Situation vor allem deshalb, so ein Experte, weil wir verlernt haben, für uns selbst zu sorgen.

„Das Bemerkenswerteste an unserer jetzigen Situation ist, dass der Mensch in der arbeitsteiligen Gesellschaft verlernt hat, für sich selbst zu sorgen“, sagt Johannes Domsich im Gespräch mit ORF.at. Der Kunsthistoriker und Kulturhistoriker berät mittlerweile Unternehmen wie Energieversorger in Kommunikationsangelegenheiten. Im Moment bekommt Domsich mit, wie sehr gerade die lebensnotwendige Infrastruktur einer Gesellschaft gefordert ist.

„Wir sind gewohnt, dass es für jeden Bereich unseres Lebens einen Zuständigen gibt. Den Hausarzt, das Gesundheitssystem, jemand, der fertiges Essen zur Verfügung stellt. Wenn die Leute nun zurückgeworfen werden auf sich selbst, reagieren sie entweder mit extremer Romantik, also wenn man sich etwa die verschiedenen ‚Prepper‘-Foren anschaut, wo Menschen ungewöhnliche Vorräte anlegen, frei nach dem Motto ‚be prepared‘, worauf auch immer.“

Leider gingen die „Prepper“ auch davon aus, dass in Ernstfällen gewisse Dinge immer noch funktionierten. „Die anderen Menschen reagieren mit Panik auf den Umstand, auf sich selbst zurückverwiesen zu sein“,so Domsichs Befund.

Kulturhistoriker Johannes Domsich
ORF.at
Johannes Domsich, Kulturwissenschaftler und Krisenberater: „Haben verlernt, auf uns selbst zu schauen“

Was ist wichtig in der Krise?

Gute Krisenkommunikation baue für ihn darauf auf, dass man im Vorfeld Szenarien durchgespielt hat, „damit essenzielle Dinge auch in Notfällen funktionieren: Der Strom muss funktionieren, die Wasserversorgung, und wir beide führen unser Gespräch über ein funktionierendes Telekommunikationssystem.“ Richtige Kommunikation gewährleiste, dass gerade diese Strukturen nicht überbelastet würden.

„Es braucht die Sicherheit des öffentlichen Raums, die Sicherheit der Strom- und Wasserversorgung, und da sind wir eines der am besten vorbereiteten Länder der Welt“, ist Domsich überzeugt: „Die Bevölkerung geht auch jetzt bei allen anderen Irritationen davon aus, dass diese Dinge funktionieren.“ Richtige Krisenkommunikation gebe Antworten zur jeweils aktuellen Situation: „Das ist wichtiger, als bestimmte Aussagen mantraartig zu beschwören.“

„Lehren aus der Kulturgeschichte“

„Wenn wir in die Kulturgeschichte schauen, dann haben Pandemien nicht immer nur die Alten betroffen. Die sogenannte Spanische Grippe hat ja ganz junge Menschen betroffen. Bei der Pest haben die an sich schon Immunen überlebt. Und letztlich sind wir ja die Nachfahren dieser immunen Personen“, erinnert Domsich.

„Wir haben eigentlich jahrhundertelange Muster, wie man auf Krisen reagiert: Isolation, Distanz und in der Vorstellungswelt früherer Jahrhunderte Reue“, erläutert der Kulturhistoriker und erinnert dabei an die Vorstellung in der Gegenwart, dass man Pandemien schon in den Griff bekommen könne.

„Sind gewohnt, dass alles schnell geht“

„Grundlegend ist der Mensch der Gegenwart verzweifelt, weil wir gewohnt sind, dass alles schnell geht, aber es wahrscheinlich doch lange dauern wird, bis wir einen Impfstoff haben. Da flippen wir schon aus“, so Domsich über die momentane mentale Lage.

Isolation in jeglicher Form biete die Chance, sich auf jene Dinge zu besinnen, die wirklich wichtig seien, erkennt auch Domsich. „Viele Menschen kommen gerade in der jetzigen Situation drohender Isolationen drauf, wie wichtig soziale Nähe ist.“ Wenn die arbeitsteiligen Abläufe versagten, würden wir erst merken, „was wir alles nicht können oder eben nicht mehr können“.