Arbeiter bei der Qualitätskontrolle von verzinkten Coils
APA/Barbara Gindl
Coronavirus

Die neuen Regeln für Kurzarbeit

Immer mehr Unternehmen steigen wegen der Coronavirus-Epidemie auf Kurzarbeit um. Bundesregierung und Sozialpartner, die ein neues Modell dafür verhandelt haben, appellieren an sie, das eher zu tun, als Personal abzubauen. Die Meldungen beim Arbeitsmarktservice (AMS) waren zuletzt enorm gestiegen. Mit dem neuen Kurzarbeitsmodell kann die Arbeitszeit nun vorübergehend auch auf null gesenkt werden, der Bund zahlt schneller dazu als bisher.

Etwa 74.000 neue Meldungen hatte das AMS zuletzt binnen drei Tagen registriert, Arbeitsplätze sind in praktisch allen Branchen in Gefahr. „Unser Appell richtet sich an alle betroffenen Unternehmen in dieser herausfordernden Zeit: Bitte kündigen Sie niemanden, sondern melden Sie stattdessen Kurzarbeit an, um Arbeitsplätze in Österreich zu sichern“, lautete am Donnerstag der neuerliche Aufruf von Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP) und den zuständigen Landesrätinnen und Landesräten aller neun Bundesländer.

Das neue Modell soll Kurzarbeit laut Regierung im Kern „schneller (verfügbar) und leistbarer“ werden. Beschlossen wurde es letztes Wochenende, aktuell stehen über das AMS 400 Mio. Euro dafür zur Verfügung. Alle Unternehmen sollen es in Anspruch nehmen können, unabhängig von Größe und Branche. Anträge seien ab sofort möglich, hieß es am Donnerstag.

Unter dem Strich mindestens zehn Prozent

Kurzarbeit bedeutet eine vorübergehende Senkung der Regelarbeitszeit, die Rahmenbedingungen müssen in Österreich von den Sozialpartnern verhandelt werden. Voraussetzung ist laut Definition der Arbeiterkammer (AK) eine „wirtschaftliche Störung“, wie sie aktuell durch die Coronavirus-Epidemie gegeben ist.

Hinsichtlich Kurzarbeit und Rechtssicherheit sagte Christoph Klein, Direktor der AK Wien bzw. Bundesarbeitskammer, am Donnerstag im Telefoninterview mit Ö1, dass der Verwaltungsrat des AMS „nach extrem komplizierten Vorarbeiten“ die Richtlinie zur Umsetzung des Kurzarbeitsmodells bereits beschlossen habe. Das Ganze sei ein „kompliziertes juristisches Gebäude“, das für Unternehmen und Arbeitnehmer allerdings möglichst einfach handhabbar sein müsse.

Maximal sechs Monate

Die Kernpunkte sind: Die öffentliche Hand übernimmt via AMS die Lohnnebenkosten für Unternehmen schon mit dem ersten Monat und nicht – wie bisher – erst ab dem vierten. Arbeitgeber zahlen nur die tatsächlich geleisteten Stunden. Außerdem kann die Arbeitszeit mit dem neuen Modell während eines Durchrechnungszeitraums (vorerst drei mit Verlängerungsoption auf sechs Monate) auch einmal auf null gesenkt werden. Unter dem Strich müssen am Ende zehn Prozent stehen.

Einige Rechenbeispiele für beide Seiten

Klein rechnete gegenüber dem Ö1-Journal vor: Bei einer Normalarbeitszeit von 38,5 Wochenstunden, wie sie in vielen Kollektivverträgen steht, entsprächen diese zehn Prozent 3,85 Stunden pro Woche, „über die drei Monate hinweg (…) etwas mehr als 50 Stunden“. Faktisch bedeute das, dass Unternehmen ihr Personal wochenlang nach Hause schicken könnten, „erst in den letzten zwei Wochen fährt dann die Arbeitszeit langsam wieder hoch“. Im äußersten Fall könnten Menschen über sechs Monate Kurzarbeit leisten, sie bekommen dafür laut dem AK-Direktor je nach Höhe 80 bis 90 Prozent ihrer Normalbezüge – Audio dazu in oe1.ORF.at.

Bei einer Arbeitnehmerin bzw. einem Arbeitnehmer mit einem Bruttolohn von 2.000 entstünden dem Dienstgeber im Regelfall 3.000 Euro Lohnkosten, beim aktuellen Rechenbeispiel zur Kurzarbeit nur noch 300 Euro, und das, wie Klein betonte, auch nur in Monaten mit Sonderzahlungen. Stehen die nicht an, mache das Unternehmen über die Zahlungen des AMS sogar einen kleinen „Gewinn“. In der ZIB2 Mittwochabend hatte Klein ähnliche Fälle durchgerechnet und versichert: „Die Geldseite schaut fantastisch aus.“

Christoph Klein (AK Wien) zum Kurzarbeitsmodell

Christoph Klein, Direktor der Wiener Arbeiterkammer, erklärt, wie das von der Regierung beschlossene Kurzarbeitsmodell funktioniert und welche Kosten dabei übernommen werden.

„Es hilft uns durch die Krise und nach der Krise“

AK-Präsidentin Renate Anderl bedankte sich in einer Aussendung bei allen Verhandlungsparteien „für die rasche und konstruktive Zusammenarbeit“. Es habe „sich einmal mehr gezeigt, wie gut die Sozialpartnerschaft funktioniert“. Gleichzeitig rief sie Unternehmen mit Bedarf dafür auf, das neue Kurzarbeitsmodell anzuwenden: „Nutzen wir dieses großartige und flexible Instrument bestmöglich, es hilft uns durch die Krise und nach der Krise.“ Modellrechnungen der AK sowie die neuen Regeln sind auf ihrer Website nachzulesen, ebenso Fragen und Antworten.

Für die Wirtschaftskammer (WKÖ) lobte Renate Scheichelbauer-Schuster, Spartenobfrau für Gewerbe und Handel, dass das Kurarbeitsmodell auch für Lehrlinge anwendbar ist. Das sei „ein wichtiges Signal für unsere Tausenden Ausbildungsbetriebe und ihre rund 45.000 Lehrlinge“. Sie unterstrich auch die Relevanz von Überbrückungsfinanzierungen und eines Entgegenkommens der Banken als „außerordentlich wichtig“.

Die Gewerkschaft PRO-GE strich am Donnerstag per Aussendung positiv hervor, dass auch Zeitarbeitsunternehmen das neue Modell in Anspruch nehmen können. „Der Einsatz von Kurzarbeit wird in Österreich Tausende Arbeitsplätze retten“, hieß es von der Produktionsgewerkschaft. „Einzig, die Unternehmen müssen diese auch vereinbaren und nicht die Beschäftigten kündigen.“ Es sei „sehr positiv“, dass auch Zeitarbeitsfirmen diese Möglichkeit in Anspruch nehmen können.

Rekordwerte bei AMS-Anträgen

Die zahlreichen Appelle an Unternehmen, auf Kurzarbeit umzusteigen, anstatt Personal abzubauen, haben ihre Gründe. Laut AMS-Vorstand Johannes Kopf war die Zahl der gemeldeten Arbeitslosen zwischen Sonntag- und Dienstagabend um beinahe 49.000 gestiegen, mit Mittwoch waren es etwa 74.000. Sehr viele davon, rund 29.000, kämen aus der Tourismuswirtschaft, so Kopf am Donnerstag. Im Tourismus ging die Wintersaison vorzeitig zu Ende, Ausgangsbeschränkungen, Sperren von Restaurants und Hotels sowie teilweise über Skiorte verhängte Quarantänen inklusive.

Viele Saisonkräfte würden üblicherweise erst nach Ostern arbeitslos, und das nur bis Anfang Juni, dem Beginn der Sommersaison. Betroffen ist laut dem AMS-Chef mit rund 8.000 Meldungen aber auch die Bauwirtschaft, eine gleichermaßen „dynamische Branche“, in der schnell Jobs gestrichen werden, sobald Aufträge ausbleiben. Zur Einordnung der Zahlen: Ende Februar gab es in Österreich bei sinkender Tendenz knapp 400.000 Personen ohne Job, Schulungen mit eingerechnet. Am Donnerstag hieß es auf der Website des AMS weiterhin: „Bitte um Verständnis, unsere Telefone sind überlastet.“ Dort finden sich seither allerdings auch nötige Dokumente sowie Fragen und Antworten zum aktuellen Kurzarbeitsmodell.