Es hätten Wochen und Monate der Entdeckung werden können. Die Fondation Beyeler in Basel mit ihren exzellenten Kunstkontakten in die Welt hat eine der sicherlich aufregendsten Schauen zum Werk Edward Hoppers auf die Beine gestellt. Neben den klassischen Sujets rund um die Vereinzelung des Menschen in der modernen US-Zivilisation wollte man mit Leihgaben großer Museen und Sammlungen der USA die Hopperschen Landschaften entdecken. Für die Landschaften Hoppers gilt wohl, was man zuletzt auch über die Bilder eines Herbert Brandl im Wiener Belvedere 21 (21er Haus) gesagt hat: Es sind Bilder, befreit von Menschen und befreit von dem, was bei Brandl „Zivilisationsmüll“ heißt.
„Auf unbestimmte Zeit geschlossen“
Mit 14. März hat die Fondation so wie viele Museen in Europa auf „unbestimmte Zeit“ geschlossen. Ob man die regulär bis Mitte Mai laufende Hopper-Schau wird sehen können, bleibt im Moment offen. Im Moment bleibt der virtuelle Eindruck, der aber ebenso deutlich macht, warum der zwischen den 1920er und 1960er Jahren so wirkungsmächtige Maler aus dem Bundesstaat New York gerade jetzt das Gefühl einer Zeit und einer Gesellschaft trifft. Auf der Website und in den Sozialen Netzwerken werde man digitale Angebote zur Hopper-Schau ebenso machen wie zur Sammlungspräsentation „Stilles Sehen – Bilder der Ruhe“, so die Fondation Beyeler in einer Aussendung.
Orte der Verlassenheit
„Die Landschaften von Edward Hopper sind, wie alle seine Gemälde, von Melancholie und Einsamkeit bestimmt. Oft vermitteln sie das Gefühl von Unheimlichkeit und Bedrohung“, schreiben die Ausstellungsmacher zur Konzeption der Schau. Hoppers Landschaftsbilder erscheinen in ihrer satten Farbgestaltung und der Inszenierung des Lichtes nicht nur Orte totaler Stille. Es sind Bilder der Verlassenheit, Bilder, die bei aller Schönheit von Leerstellen erzählen.
Das verbindet die Landschaftsbilder mit den Gemälden Hoppers, die den Menschen in alltäglichen Räumen inszenieren. Doch trotz aller satten Farbigkeit bleiben alle Charaktere, auch wenn sie mitunter zu zweit im Bildraum auftauchen, vereinzelt. Die Gestalten bei Hopper haben das, was man in diesen Tagen wohl den Hygieneabstand nennt.
Dass Hoppers Menschen nun von manchen Bildbearbeitern im digitalen Raum getilgt werden, erscheint dabei fast wie ein Widerspruch: Eine „Infektionsgefahr“ wegen zu viel Zwischenmenschlichkeit gäbe es bei Hopper ohnedies nicht. Zu inwendig stehen seine Gestalten in den Räumen – mit wenig Aussicht auf Kontakt. Jeder hat bei Hopper einen festen, eigenen Platz. Doch bis zum Nächsten, so es ihn gibt, können Welten liegen.
Hopper und das bewegte Bild
Oft wurde die Wirkung der Arbeiten Hoppers auf das Kino untersucht. Nicht nur Alfred Hitchcocks „Der unsichtbare Dritte“ dockt an der Unheimlichkeit der Leerstellen bei Hopper an. Jeder Film eines Christian Petzold wirkt in der Darstellung des Menschen so, als wäre er aus einem Hopper-Tableau rausgeschnitzt.
Der deutsche Filmemacher Wim Wenders, der in seinen großen Filmen der 1970er und 1980er Jahre mit seinem niederländischen Kameramann Robby Müller ja so etwas wie die Entschleunigung des Blicks im Bewegtbildkino zelebrierte, zeigt jetzt mit einer filmischen Annäherung an Hopper, wie sehr er bei diesem US-Maler in eine Schule des Sehens und der Inszenierung gegangen ist.
Die Dokumentation „Zwei oder drei Dinge, die ich zu Edward Hopper weiß“, die extra für die Ausstellung in Basel geschaffen wurde und mit Mitteln des Kinos die Hopperschen Bildsettings erkundet, ist nun so etwas wie eine Einladung für einen virtuellen Einstieg in die Welt des Edward Hopper geworden. „Vor diesen Frames von Edward Hopper“, so Wim Wenders, „fragt man sich, was sind das für Geschichten und Filme, die wir alle noch nicht erzählt haben.“ Die Geschichten hinter den Bildern der Coronavirus-Krise kennen wir auch nur zum Teil. Im Versuch, die Bilder der Gegenwart zu sortieren und einzuordnen, helfen vielleicht die großen Ikonen der Vergangenheit – auch wenn sie mehr Rahmen als Trost bereitstellen.