Arzt untersucht einen Patienten
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Hohes Risiko, wenig Schutz

Arztpraxen im Krisenmodus

Im Zuge der Coronavirus-Krise organisiert sich das Gesundheitssystem neu. Die Spitäler bereiten sich auf eine Zunahme schwerer Covid-19-Fälle vor, verschiebbare Operationen werden abgesagt, Betten so gut wie möglich geräumt. Umso mehr sind nun die Ärzte im niedergelassenen Bereich gefordert. Ein Rundruf von ORF.at zeigt, mit welchen Schwierigkeiten sie derzeit kämpfen.

Vor allem Allgemeinmediziner sind nun noch stärker erste Anlaufstelle für Patienten und Patientinnen. Der große Ansturm vor eineinhalb Wochen habe sich inzwischen gelegt, so die Rückmeldung einiger Ärzte. Die meisten haben auf Terminpraxis und reduzierte, gestaffelte persönliche Patientenkontakte umgestellt. Es wird hauptsächlich telefoniert, gemailt und gefaxt – mehr dazu in kaernten.ORF.at.

„Es funktioniert besser als gedacht. Dennoch ist es stressiger als normal, viele Fragen auf beiden Seiten sind nötig“, berichtet Angelika Reitböck. Sie ist praktische Ärztin in Oberösterreich und Präsidentin des Österreichischen Hausärzteverbands. „Ich habe normale Öffnungszeiten, kläre aber telefonisch ab, ob ein direkter Kontakt notwendig ist“, erklärt ein Kollege aus Wien. Termine werden in seiner Ordinationen alle 30 Minuten vergeben, um im Wartezimmer direkten Kontakt von anderen Patienten zu vermeiden.

Mann in einem Wartezimmer
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Ärzte reduzieren den persönlichen Kontakt zu Patienten. Termine werden mit großem Abstand vergeben.

Mangelnde Schutzausrüstung „riesige Infektionsquelle“

Immer lässt sich aber eine persönliche Untersuchung eines Patienten nicht vermeiden. Für alle befragten Ärzte einhellig die größte Herausforderung ist derzeit die fehlende Schutzausrüstung von Masken über Schutzanzug und Brillen. „Akute Patienten werden nach wie vor in der Ordination begutachtet, jedoch ohne ausreichenden Schutz“, so eine Kassenärztin aus Wien. „Das ist eine riesige Infektionsquelle“, warnt ein Kollege, der seine noch vorhandenen Masken statt einiger Stunden für mehrere Tage verwendet und bei jedem Patientenkontakt wieder aufsetzt.

In einigen Fällen machen auch Nachbarn Druck auf Ärzte, aufgrund des Ansteckungsrisikos durch Patienten den Betrieb der Ordination einzustellen. Einige Arztpraxen mussten bereits schließen – wegen Erkrankung (allerdings nicht nur Covid-19) und Quarantäne. „Hausärzte fallen wie die Dominosteine“, warnt eine Allgemeinmedizinerin. Auch Reitböck fordert mehr Schutzausrüstung: „Denn wenn wir ausfallen, bricht relativ rasch nicht nur der Schutzwall vor dem Krankenhaus weg, sondern auch die Versorgung der Patienten draußen (Anm. im niedergelassenen Bereich) ist massiv gefährdet.“

Unklarheit über geschlossene Praxen

Laut Ärztekammer sind derzeit etwa 90 Prozent der Ordinationen in Wien offen. Ähnlich sei es in den Bundesländern. Wirklich belastbare Zahlen gebe es aber nicht. In Oberösterreich etwa hieß es am Montag vom dortigen Krisenstab, dass 27 Ordinationen aufgrund von Erkrankungen mit dem Coronavirus und Quarantänemaßnahmen geschlossen seien. Der Präsident der Salzburger Zahnärztekammer forderte eine behördliche Schließung der Zahnarztpraxen aufgrund mangelnder Schutzausrüstung – mehr dazu in salzburg.ORF.at.

Einige spezielle Fachrichtungen und Wahlärzte haben sehr wenige bis gar keine Patienten und schließen vereinzelt. Nach Vorgabe der Ärztekammer mussten die Facharztordinationen auf Notbetrieb umstellen. „Wir sind für Notfälle da und machen Telefondienst. Aber wir sagen alle Routinekontrollen ab“, erzählt eine Gynäkologin mit Kassenverträgen aus Wien.

Debatte über Vorsorge mit Schutzausrüstung

Kritik, dass zu wenig für den Pandemiefall mit Schutzausrüstung vorgesorgt wurde, können die Ärzte nicht nachvollziehen. Die Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz kritisierte im ORF.at-Interview, dass nach den eigenen Hygienevorschriften der Ärztekammer und dem Pandemieplan für Schutzausrüstung im Seuchenfall vorgesorgt werden müsse.

Medizinisches Personal mit Schutzausrüstung
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Schutzausrüstung ist derzeit Mangelware

Die Ärztekammer widerspricht: „Es müssen die hygienischen Vorschriften erfüllt werden, aber es gibt keine Vorgaben, in welcher Menge Schutzausrüstung vorhanden sein muss.“ Für einen Fall wie diesen könne man nicht vorbereitet sein, das sei allein aus logistischen Gründen nicht möglich, betonte die Ärztekammer auf ORF.at-Anfrage.

„Das ist eine Pandemie im Ausmaß der Spanischen Grippe vor 100 Jahren. Es ist undenkbar, Schutzkleidung in diesen Massen lagernd zu haben“, so auch eine praktische Ärztin. „Derzeit bräuchte ich pro Tag für mich und einen Mitarbeiter sechs Masken. Das sind in der Woche 30. Das ist eine völlig unrealistische Zahl.“

Schutzmasken selber nähen

Vonseiten des Bundes laufen derzeit Bemühungen, Schutzausrüstung vorrangig für Spitäler und Ärzte zu kaufen. Üblicherweise ist das Sache der Krankenhäuser und Ordinationen selbst. Auch jetzt versuchen die Ärzte, selbst etwas auf die Beine zu stellen.

In Wien gibt es etwa von einer Ärztin eine Initiative, selbst Masken zu kaufen. „Die Bestellungen gibt es, aber es ist unrealistisch. Man muss etwa eine Million Euro Vorfinanzierung leisten“, erzählt ein Kollege. Auch eine Einkaufsgesellschaft von Ärzten in Wien versucht derzeit, eine Lieferung mit Schutzausrüstung zu bekommen.

Andere legen selbst Hand an und nähen sich Schutzmasken selbst. „Damit kann ich zumindest die Patienten vor einer möglichen Ansteckung durch mich schützen“, sagte eine Allgemeinmedizinerin. Selbst ist sie aber mit diesen Masken weiterhin einem Ansteckungsrisiko ausgesetzt.

Bessere Information für Bevölkerung gefordert

Ein großer Wunsch der Mediziner ist eine noch bessere Information der Bevölkerung etwa in Bezug auf mögliche Tests. „Wissen Sie, wie viele Leute am Tag mich anrufen und nach einem Test fragen?“, sagt eine Allgemeinmedizinerin. Das sei bei der Hotline 1450 sicher ähnlich. Ein Kollege kritisiert, dass es immer wieder Fehlinformationen durch Mitarbeiter der Hotline gebe.

Es sei auch schwierig, Patienten, die noch voll im Berufsleben stehen, aber aufgrund von Vorerkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes als Risikopatienten gelten, zu informieren, dass sie „entgegen ihren Wünschen trotz der momentanen Coronavirus-Pandemie keinen Anspruch auf eine Krankmeldung haben“, betonte Reitböck.

Arzt: „Kein Zugang zu Tests“

Die Ärzte widersprechen zudem der Aussage von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), dass Ärzte Tests anfordern könnten. Es gebe in Österreich für jeden Arzt die Möglichkeit, einen Test für einen Patienten – unabhängig vom Vorliegen eines Verdachtsfalles – nach seiner eigenen medizinischen Entscheidung anzuordnen, meinte Anschober Sonntagabend in der ORF-Sendung „Im Zentrum“: „Das letzte Wort hat der Arzt.“

„Im Zentrum“: Testen, schützen, helfen – Wie stark ist unser Gesundheitssystem?

Erstmals fand die ORF-Sendung „Im Zentrum“ ohne Studiogäste und ohne Publikum statt. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden via Skype bzw. Leitung ins Studio live zugeschaltet.

Das sei bis jetzt nicht möglich, reagieren die Ärzte skeptisch – mehr dazu in steiermark.ORF.at. „Ich habe keinen Zugang zu den Tests“, so auch ein praktischer Arzt im ORF.at-Rundruf. Auch die niedergelassene, niederösterreichische Ärztin Cornelia Tschanett kann das in der Praxis noch nicht beobachten: „Wir wären froh, wenn alle mit einer eindeutigen Symptomatik einen Test bekommen würden.“ Das sei auch wichtig, damit Patienten nicht ungeschützt in die Spitäler kommen, so Tschanett in „Im Zentrum“. Mit der anlaufenden Testoffensive der Regierung könnte sich das nun ändern.

Gegenseitige Vernetzung

Die Mediziner im niedergelassenen Bereich setzen derzeit auf Kooperation, und gegenseitige Information. Viele sind bezirksweise über Soziale Netzwerke miteinander verbunden. „Wir halten uns auf dem Laufenden über Schließungen und wie wir uns gegenseitig helfen können“, erzählt eine praktische Kassenärztin aus Wien.

Weniger Patienten bedeutet auch weniger Einnahmen. Auch wenn von den meisten Ärzten die finanzielle Problematik als „sekundär“ bezeichnet wird, ist das dennoch ein Thema. Entsprechend fordern die Ärzte nicht nur einhellig mehr Schutzausrüstung – auch für ihre Mitarbeiter, sondern klare Regelungen für ärztlichen Rat am Telefon.

Die Österreichische Gesundheitskasse etwa werte ärztliche Dienste am Telefon gleich wie den persönlichen Kontakt, so die Ärzte. Nach Verhandlungen mit den kleineren Kassen übernehmen diese nun auch dafür die Kosten, allerdings nur die Hälfte – zehn statt 20 Euro. Der Aufwand sei aber durch den erhöhten Kommunikationsbedarf via Telefon und Mail höher.