Ärzte in Schutzkleidung in Rom
Reuters/Guglielmo Mangiapane
China, USA oder Italien?

Gegenseitige Anwürfe zu Coronavirus-Ursprung

Nachdem die weltweiten Konsequenzen der Coronavirurs-Epidemie immer deutlicher werden, erhält auch der Streit darüber, wer die „Schuld“ an dem Virus hat, neuen Auftrieb. So wurde jüngst spekuliert, ob das Virus bereits im November in Italien zum ersten Mal aufgetaucht sei und nicht als Erstes in China. In den gegenseitigen Schuldzuweisungen schwingen auch Verschwörungstheorien mit, etwa die Entstehung des Virus im Labor – in China und den USA.

Anlass für die jüngsten Spekulationen, dass das Virus bereits seit Längerem in Italien grassiert, hatte der bekannte italienische Experte Giuseppe Remuzzi in einem Interview mit dem öffentlichen US-Senderverbund National Public Radio (NPR) gegeben. Auf die Frage, warum Italien auf den Virusausbruch, der seit dem 21. Februar das Land heimsucht, komplett unvorbereitet war, antwortete Remuzzi, dass er Informationen von Allgemeinmedizinern bekommen habe.

„Sie erinnerten sich, dass es sehr seltsam verlaufende Lungenentzündungen gegeben hat – einige sehr schwer, besonders bei älteren Menschen im Dezember und gar bereits im November“, so Remuzzi. Das bedeute, so der Mediziner, dass das Virus zumindest in der nördlichen Region Lombardei bereits zirkuliert sei, noch bevor man von dem Ausbruch in China etwas hörte, so der Schluss Remuzzis.

Arbeiter in Schutzkleidung bei Desinfektionsmaßnahmen in Wuhan
Reuters
Arbeiter auf dem Fischmarkt in der chinesischen Provinz Hubei, wo das Virus seinen Ausgang genommen hat

Peking erfreut über Interview

Es sei unmöglich, etwas zu bekämpfen, von dessen Existenz man nicht einmal wisse, so Remuzzi weiter. Remuzzis Interview wurde von den chinesischen staatlichen Medien in der heftigen Auseinandersetzung mit den USA nur allzu gerne aufgegriffen, wie die „South China Morning Post“ („SCMP“) schreibt.

Das Virus nahm laut dem vorherrschenden derzeitigen Wissensstand im Dezember in der zentralchinesischen Provinz Hubei seinen Ausgang und breitete sich seither über den ganzen Globus aus. Doch die chinesische Regierung bemüht sich um die Verbreitung einer neuen Sichtweise, wonach die Pandemie nicht dort ihren Ausgang genommen habe, sondern in den Vereinigten Staaten.

China zeigt auf die USA

In einer Reihe von Twitter-Botschaften behauptete die chinesische Botschaft in Paris am Montag, das Virus sei womöglich bereits im September in den USA aufgetreten. Das wolle die US-Regierung jedoch vertuschen. „Wie viele Fälle von Covid-19 gab es unter den 20.000 Todesfällen durch die Grippe (in den USA) seit vergangenem September?“, heißt es in einem Tweet der chinesischen Botschaft in Paris, der ein erstes Auftreten des Virus in den USA im Herbst 2019 nahelegt.

Sie deutete zudem an, dass die USA versucht hätten, die Grippe als Deckmantel für die Ausbreitung des Coronavirus zu nutzen. Wissenschaftliche oder andere Belege für die Behauptungen nannte die Botschaft nicht. Bereits Mitte März hatte ein chinesischer Außenamtssprecher die Theorie verbreitet, dass die US-Armee im Oktober das Virus in die zentralchinesische Stadt Wuhan eingeschleppte habe. Die USA bestellten daraufhin den chinesischen Botschafter ein.

Donald Trump
AP/Alex Brandon
US-Präsident Trump und Vizepräsident Pence haben sich seit Längerem auf China eingeschossen

Trump: „China-Virus“, weil es von dort kommt

Die USA beschuldigen unterdessen China, hinter „absurden Gerüchten“ und „Verschwörungstheorien“ über die Entstehung des Virus zu stecken, die im Internet verbreitet werden. Die Beziehung der beiden Länder hat sich seit dem Handelskrieg weiter verschlechtert. Streit zwischen Washington und Peking gibt es auch über die Bezeichnung „China-Virus“ für das Coronavirus, die Präsident Donald Trump, Vizepräsident Mike Pence und auch Außenminister Mike Pompeo mehrfach verwendeten. Trumps einfache Erklärung für den von ihm gewählten Namen: Das Virus komme ja auch aus China. Auch Pompeo griff Peking verbal an. Er sieht den Ursprung der Falschinformationen ebenfalls in China.

Die Verknüpfung des Virus mit China sei eine „Art Stigmatisierung“, sagte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Geng Shuang, Mitte März. Die Regierung in Peking sei „zutiefst empört“ und stelle sich gegen Trumps Äußerungen, so Geng. Auch die WHO wandte sich strikt gegen den von den hochrangigen US-Politikern verwendeten „diskriminierenden Begriff“.

Der Streit zwischen Washington und Peking überschattete auch das Treffen der Außenminister der G-7-Staaten. Bei einer gemeinsamen Videokonferenz wollten die Politiker Leitlinien für das gemeinsame Vorgehen gegen den Erreger verabschieden. Dazu kam es aber nicht: Die USA bestanden schon in den Vorgesprächen darauf, dass in einer möglichen Abschlusserklärung die chinesische Herkunft des Virus genannt wird.

Fachleute: Nicht aus dem Labor

Laut Verschwörungstheorien soll das Virus von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen geschaffen worden und dann aus dem Labor entwichen sein. Als „Erfinder“ des Virus werden je nachdem entweder China oder die USA genannt. Stimmt alles nicht, so Forscher und Forscherinnen in der Fachzeitschrift „Nature“. Sie fanden nach einer genauen wissenschaftlichen Analyse des Virus keinen Hinweis, dass es nicht natürlich entstand. Es sei unwahrscheinlich, dass das Virus im Labor entstand, so die Conclusio.

Es unterscheidet sich substanziell von dem anderer bekannter Coronaviren bei Menschen und gleicht am ehesten dem Grundgerüst verwandter Viren in Fledermäusen und Schuppentieren, schreiben die Forscher. „Wenn irgendjemand versucht hätte, ein neues Coronavirus als Krankheitserreger zusammenzustellen, hätte er es wohl auf dem Grundgerüst eines bekannten Virus, das Krankheiten verursacht, aufgebaut“, so die Forschungsgruppe – mehr dazu in science.ORF.at.